Wenige Tage nach dem Attentat von Wien kam es zu Hausdurchsuchungen bei angeblichen Muslimbrüdern. Die "Operation Luxor" geht in ihren Ermittlungen Jahre zurück.

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Am Anfang stand ein vermeintliches Nazitreffen: Im April 2014 wurden die Behörden auf ein einschlägiges Treffen in Wien aufmerksam gemacht. Davon existieren Fotos, die dutzende Männer mit einem schräg von sich gestreckten rechten Arm zeigen. Doch auf den zweiten Blick wurde klar, dass die Männer keinen Hitlergruß vollführten, sondern den "R4bia-Gruß". Dieser gilt als Erkennungszeichen von Anhängern der islamistischen Muslimbruderschaft. Bei diesem werden vier Finger gestreckt und der Daumen angewinkelt.

So schildert das Landesamt für Verfassungsschutz (LVT) Steiermark den Beginn der 2019 aufgenommenen Ermittlungen gegen die mutmaßliche hiesige Szene der Muslimbruderschaft. Die entsprechenden Akten liegen dem STANDARD vor. Zur Erinnerung: Im November vergangenen Jahres fanden im Rahmen der "Operation Luxor" in etwa 60 Wohnungen und Firmensitzen Hausdurchsuchungen statt. 30 Personen und mehrere Vereine und Stiftungen werden als Beschuldigte geführt.

Die tausenden Seiten an Ermittlungsergebnissen liefern vor allem zwei Erkenntnisse: Das ideologische Weltbild mancher Beschuldigter ist durchdrungen von antimodernem und antisemitischem Gedankengut. Bei anderen wiederum findet sich nichts Einschlägiges. Und: Soweit das bisher nachvollzogen werden kann, konnten die Ermittler wohl die Vorwürfe der Terrorfinanzierung nicht wirklich erhärten. Im Raum stehen auch Mitgliedschaften in einer terroristischen Vereinigung und staatsfeindlichen Verbindung.

Geld aus Katar

So wurden mehrere Veranstaltungen von den Behörden dokumentiert, bei denen Beschuldigte mit ausländischen Szenegrößen oder Politikern zusammentrafen. Bei Demonstrationen, an denen Beschuldigte beteiligt waren, kam es zu Verbrennungen von Israel-Fahnen. Bei einem aufgezeichneten Telefongespräch stellt ein Beschuldigter das Existenzrecht Israels infrage. Eine Predigt eines Beschuldigten wird folgendermaßen zitiert: "Die größte Strömung des Salafismus, wovon mehrere (...) Mörder herstammen, ist trotzdem gut (...)" Wiewohl angemerkt wird, dass die Aussage "aus dem näheren Kontext" gerissen sein könnte. Ein anderer Beschuldigter spricht darüber, dass die Scharia als die Verfassung anzusehen sei. Ein weiterer soll Verbindungen zu einer Moschee haben, in der auch der zu 20 Jahren Haft verurteilte Prediger Mirsad O. verkehrte.

Bei einzelnen Beschuldigten wurden Bargeldfunde sichergestellt. Viele Konten, die eingefroren wurden, wurden wieder geöffnet. Was die Terrorfinanzierung angeht, steht im Raum, dass über eine der Muslimbruderschaft zugehörige Firmenkonstruktion aus Katar "deutlich mehr als eine Mio. Euro" an hiesige Organisationen geflossen sein sollen, die diese wiederum auf Umwegen der palästinensischen Terrororganisation Hamas zukommen lassen haben sollen. Auch Geld nach Ägypten soll geflossen sein. Konkrete Nachweise sind noch nicht auffindbar.

Ein Drahtzieher als Argument

Ansonsten ist den Behörden viel daran gelegen, den staatsfeindlichen und terroristischen Charakter der Muslimbruderschaft vor allem auch außerhalb Österreichs darzulegen. Dies geschieht durch Gutachten, Studien, aber auch Wikipedia-Artikel. Dass von der Muslimbruderschaft hierzulande terroristische Gefahr ausgeht, wird von Experten bezweifelt. Aber: "Dass die Muslimbruderschaft (...) in Österreich bislang noch keine terroristischen Straftaten verübt hat, hindert nicht die Annahme einer terroristischen Vereinigung von Mitgliedern der Muslimbruderschaft (...) in Österreich", heißt es in den Akten. Denn es gebe ja auch andere Organisationen, die nicht hier, aber in ihren Herkunftsländern Anschläge durchführen.

Unter anderem wird der Fall eines verurteilten Terroristen angeführt. Dieser hat als Hamas-Mitglied 2016 zwei Palästinenser via Facebook angestiftet, in Israel Attentate auszuführen. Die Sache scheiterte. Der Drahtzieher stellte 2016 in Österreich einen Asylantrag und wurde kurz darauf wegen der erwähnten Straftat festgenommen.

Anonyme Tipps

Für das Verfahren wesentliche Infos – etwa, wer die Köpfe der Bruderschaft in Österreich seien – beziehen die Ermittler auf Grundlage eines anonymen Hinweisgebers. Dieser könnte sich unter den Beschuldigten selbst befinden. Es dürfte sich um jemanden handeln, der die Szene gut kennt. Wesentliche Ausführungen in abgehörten Telefongesprächen jener Person decken sich mit jenen, die unter Verweis auf den Hinweisgeber angeführt werden. Kurze Zeit nach dem abgehörten Telefongespräch wurde der Hinweisgeber ins Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in Wien zur Einvernahme geladen.

Jener Beschuldigte, der zugleich Hinweisgeber sein könnte, öffnete den Beamten bei der Hausdurchsuchung die Türe laut Protokoll offenbar selbst, es soll auch zu "keinen Beschädigungen" gekommen sein. Andere Betroffene berichteten wiederum von einem brachialen Vorgehen der Behörden. In diesem Fall kam es auch zu keiner Sicherstellung des Kontos.

Der Anwalt des Betroffenen kann die Recherchen des STANDARD auf Anfrage "weder bestätigen, noch dementieren". Sein Mandant "will zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben". (Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, 10.2.2021)