Wegen angeblichen Verstoßes gegen Meldeauflagen wurde Alexej Nawalny zu mehrjähriger Haft verurteilt.

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Staatsnahe Propagandisten in Russland haben in den vergangenen Wochen den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny zunehmend als Landesverräter dargestellt. Landesverrat wird seit 2012 in Russland sehr breit definiert: So politisch gewünscht, wäre es nach aktuellen russischen Maßstäben kein Problem, Nawalny damit zusätzlich zwölf bis 20 Jahre in Haft zu bringen.

"Millionen Menschen stellen sich die wichtigste Frage: Wo sind Ermittlungen wegen Landesverrats?", fragte der rechtsnationale Autor Nikolaj Starikow vergangene Woche in seinem Videoblog. Er verwies auf ein vom Inlandsgeheimdienst FSB geleaktes Video, in dem ein Treffen des engen Nawalny-Mitarbeiters Wladimir Aschurkow mit einem britischen Diplomaten gezeigt wurde.

Außenministerium spricht von "Einflussagenten"

Zwar sei die Aufforderung von Nawalny-Mitstreitern in Richtung EU, Kreml-nahe Geschäftsleute mit Sanktionen zu belegen, kein Landesverrat, sagte der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitri Peskow, am Dienstag. "De facto gibt es aber eine offensichtliche Einschätzung einer überwältigenden Mehrheit unserer Landsleute in Bezug auf diese Handlungen mancher."

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Russlands Präsident Putin geht weiter hart gegen Alexej Nawalny vor.
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Aber auch die verschärfte Rhetorik des russischen Außenministeriums, das sich schon bisher besonders gegen Nawalny engagiert hatte, weist in Richtung Landesverrat. "Wir müssen aufhören, sie als Opposition zu bezeichnen, Opposition ist etwa anderes. Das sind Einflussagenten", wechselte am Dienstag Ministeriumssprecherin Marija Sacharowa im Staatsfernsehen in den Geheimdienstjargon des Kalten Kriegs. Der Begriff bezog sich seinerzeit auf Agenten, die insbesondere im Auftrag östlicher Geheimdienste die öffentliche Meinung im Westen zu beeinflussen versuchten.

Politisches Klima verschärft sich

Das politische Klima in Moskau ändere sich im Moment radikal, schilderten am Wochenende die auf die Geheimdienste spezialisierten russischen Buchautoren Irina Borogan und Andrej Soldatow im Gespräch mit der APA. Putins Präsidentschaft gehe davon aus, dass im Kampf gegen die Opposition nun vor allem die Methoden von Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten funktionierten. "In dieser neuen Atmosphäre könnte es auch zu einer Anklage wegen Landesverrats kommen. Das wäre aber eine politische und keine juristische Entscheidung", sagte Soldatow.

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In Russland halten die Proteste nach der Inhaftierung des Kreml-Kritikers Nawalny an.
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Der Buchautor Soldatow verwies auf einen in diesem Zusammenhang relevanten Unterschied zwischen Russland und Westeuropa: Landesverrat habe für die Bevölkerung in Russland traditionell eine deutlich größere und emotionalere Bedeutung, das Verbrechen werde im russischen Strafrecht auch strenger sanktioniert als etwa Mord. "Wir haben bei unseren Recherchen einmal normale Bürger befragt, ob sie das als richtig empfinden. Sie bejahten mehrheitlich", schilderte der Autor.

Haftbefehl gegen wichtigen Mitstreiter

Unterdessen geht Russland weiter gegen Nawalnys Unterstützer vor. Einem Bericht zufolge wurde ein internationaler Haftbefehl gegen einen wichtigen Nawalny-Mitstreiter erlassen. Er richte sich gegen Leonid Wolkow, der sich derzeit im Ausland aufhalte, meldete die russische Nachrichtenagentur Interfax am Mittwoch. Wolkow hatte seine Landsleute aufgerufen, sich am Valentinstag zu kurzen Protestkundgebungen in der Nähe ihrer Wohnungen zu versammeln. Sie sollten die Taschenlampen ihrer Handys einschalten und Kerzen anzünden und Bilder davon in den sozialen Medien zeigen.

Die Ehefrau von Nawalny ist am Mittwoch nach Deutschland geflogen. Julia Nawalnaja war im Jänner zusammen mit ihrem Ehemann nach dessen Genesung nach einem Giftanschlag von Deutschland aus nach Moskau zurückgekehrt. Dort wurde Nawalny bekanntlich noch auf dem Flughafen festgenommen. In der vergangenen Woche waren Zehntausende auf die Straße gegangen, um gegen Nawalnys Inhaftierung zu demonstrieren. Er wurde zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen habe. (red, Reuters, APA, 10.2.2021)