Michael Maar, auf der Suche nach dem guten Stil.

Isolde Ohlbaum

Der eine mag die Gurke, der andere mag die Tochter des Gärtners", dieses polnische Sprichwort schickt Michael Maar seiner über 600 Seiten dicken Stilkunde deutschsprachiger Autoren Die Schlange im Wolfspelz voran. Ganz so einfach macht er sich seine Tour de Force durch Jahrhunderte literarischer Zeugnisse dann aber nicht. Obwohl guter Stil schwerer zu beschreiben sei als schlechter, wie er festhält, versucht er es doch abseits bloßer Geschmacksurteile.

Zumindest in einem ersten Schritt geht der Germanist und Literaturkritiker dabei auch sehr strukturiert vor: wägt Ideen, misst Worte, isoliert einzelne Laute. Denn in einem besonders erhellenden ersten Teil ordnet Maar seine Gedanken nicht nach Autoren, sondern nach Bausteinen der Sprache.

Vom Beistrich über das Semikolon zum Bindestrich, vom stummen h zum Wort arbeitet er sich hoch, dann durch die einzelnen Wortarten hindurch, geht über zum Satz und landet bei Rhythmus und Wiederholung: "Der Wunsch, die Wiederholung zu vermeiden, ist fast immer schlimmer als die Wiederholung selbst. Wehe dem, der das Fahrrad im nächsten Satz durch den Drahtesel ersetzt!"

Von Kleist bis Herta Müller

So launig und selbstbewusst wie dieses trägt Maar alle seine Urteile vor. Wobei im Werkzeugkasten die in vielen Jahren angelesenen Bonmots nur so scheppern. Darunter von Paul Valéry (zwischen zwei Wörtern wähle man das geringere), Friedrich Nietzsche (den Stil verbessern heiße, den Gedanken verbessern), Kafka (der gute Stilist sei jener, der "sein Schlechtes am besten verstecke") oder Botho Strauß: "Das Abwechslungsreich blieb unerobert bisher in der Geschichte." Es könnte hier lange so weitergehen.

Maars Beispiele reichen von Kleist bis Herta Müller. Er gräbt sich plötzlich tief in Feinheiten eines Autors, Textes oder Satzes hinein und ist oft schon zwei Zeilen später ebenso tief in einen anderen verstrickt. Schopenhauer und Kafka sind für ihn "unfehlbare Stilisten". Leser lernen, dass Heinrich Mann "jedes einzelne Wort in die möglichst untypische Ecke stellt".

Den österreichischen Autoren spricht Maar ein besonderes Talent zur wörtlichen Rede zu. Bis auf Stifter, der sei dafür groß in der Wiedergabe von Geräuschen. Doderer? Breche "fast jedes Gesetz der Erzählkunst. Aber er kann es."

Doch kann es "keiner schräger und skurriler" als Clemens J. Setz, wobei dessen Absurditätsprinzip Maar zuweilen "maschinös" vorkommt und manche Setz-Erzählungen in ihm deshalb "nichts als interesseloses Missgefallen wecken". Bei Lavant haben es ihm besonders erotische Gedichte angetan. Letzteren beiden sind wie weiteren 48 Autoren von Jean Paul bis Martin Mosebach und Brigitte Kronauer überhaupt eigene Porträts gewidmet. Die werden schon mal sehr subjektiv und spezifischer, als es einem beim Schmökern Freude macht.

Ohne Jelinek und Handke

Natürlich fehlen einem dann auch manche Namen (etwa Elfriede Jelinek oder Peter Handke); mit anderen (Hildegard Knef lobt Maar sehr) hätte man zudem nicht wirklich gerechnet. Man merkt, wie Maar Vergnügen an seinen Einschätzungen und Querverweisen hat, 60 Seiten gelten allein Sexszenen von explizit bis verklausuliert. Weil Maar nicht nur hier alle Beispieltexte ausgiebig zitiert, bietet Die Schlange im Wolfspelz eine Fülle von Anregungen nicht nur für guten Stil – sondern auch für Autoren, die man nun aber wirklich einmal lesen will. (Michael Wurmitzer, 11.2.2021)