Britney Spears kämpft um die Unabhängigkeit von ihrem Vater.

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Im Jahr 1980 veröffentlichte Lou Reed sein zehntes Soloalbum. Das Cover zeigte den New Yorker Musiker aufgeschwemmt, mit einem Gesicht wie fünf Tage ohne Schlaf. Ein Lied hieß The Power of Positive Drinking – ein Hinweis darauf, dass immerhin Reeds Zynismus noch intakt war. Unterhalb seines müden Antlitzes stand der Albumtitel wie eine Warnung Growing Up in Public.

Über das Aufwachsen in der Öffentlichkeit muss man Britney Spears nichts erzählen. Der US-amerikanische Popstar verbrachte die meiste Zeit seines Lebens im Rampenlicht. Ihre Karriere begann mit etwa acht Jahren, heute ist sie fast gleich alt wie Lou Reed zur Zeit des erwähnten Albums; und viel besser als er damals dürfte sie sich nicht fühlen.

55 Stunden Glück

Seit 2008 steht die heute 39-Jährige unter der Vormundschaft ihres Vaters. Eingebrockt hatten ihr das psychische Krisen, Drogengebrauch und ein Lebensstil, der vor Gericht als generell wenig gefestigt betrachtet wurde – zudem verlor sie das bis dahin geteilte Sorgerecht für ihre zwei Kinder aus der geschiedenen Ehe mit dem Rapper und Wrestler Kevin Federline.

Aus dem gefeierten Kinder- und Teeniestar wurde Mitte der Nullerjahre eine zusehends tragische Figur, die auf Schritt und Tritt von Paparazzi begleitet wurde, die jede Peinlichkeit, jeden Ausrutscher festhielten. Dass sie einmal ausgerechnet mit einem Paparazzo eine Beziehung einging, mag ihren mentalen Zustand zu der Zeit illustrieren – dass ihre erste Ehe schon nach 55 Stunden wieder annulliert wurde, ebenfalls.

Angst vorm Vater

Ihr Vater Jamie Spears hatte bis 2019 ihre Vormundschaft inne. Dann legte er sie aus gesundheitlichen Gründen zurück, die Vormundschaft ging interimistisch an Jodi Montgomery.

Heute, Donnerstag, möchte Britney Spears vor einem Gericht in Los Angeles erreichen, dass Montgomery ihre Vormundschaft beibehält und ihr Vater davon ausgeschlossen bleibt. Sie würde nie wieder auftreten, solange ihr Vater ihr Vormund bliebe, verkündete sie, sie habe Angst vor ihm.

Immer nur aus Liebe

Ihr Vater wiederum behauptet, seine Tochter vor dem finanziellen Ruin bewahrt zu haben. Er habe immer nur aus Liebe zu ihr gehandelt und sie davor beschützt, dass sich andere an ihrem Erfolg bereichert hätten.

Britney Spears sieht das anders, sie hat angeblich schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm. Das Gericht hat Britney mittlerweile einen Treuhänder zugestanden, der die Handlungen der Vormundschaft kontrolliert, wie weit der Einfluss des Treuhänders künftig gehen soll, wird dann heute ebenso verhandelt werden.

Doch nicht nur vor Gericht ist Britney Spears’ Schicksal ein Thema. Die New York Times hat auf zwei US-amerikanischen Online-Filmportalen die Dokumentation Framing Britney Spears der Regisseurin Samantha Stark ausgestrahlt. Stark beleuchtet darin Britney Spears Karriere – jedoch ohne der aktiven Beteiligung ihres Sujets.

Veränderte Sichtweise

Framing Britneys Spears ist ein mehrdeutiger Titel, er scheint jedoch weitgehend als "Eine Falle für Britney Spears" interpretiert zu werden. Die Doku zeigt einen Star mit einer abnormalen Kindheit und Jugend, der später Probleme hat, mit dem immensen Ruhm umzugehen und all den Entwicklungen, die daraus folgten.

Damit stützt Stark die Online-Bewegung #FreeBritney, die hinter der Vormundschaft schon länger eine Form der Gefangenschaft vermutet. Spears selbst hat das bestätigt, indem sie einmal sagte, sie fühle sich wie in einem Gefängnis ohne Entlassungstermin. Ihr Vater nennt die von Fans initiierte Bewegung eine Verschwörungstheorie.

Menschliche Anerkennung

Seit der Ausstrahlung der Doku erhält Spears verstärkt Zuspruch und öffentliche Unterstützung von anderen Prominenten der Unterhaltungsindustrie: von Miley Cyrus über Bette Midler bis hin zu Courtney Love. An der Breite der Unterstützer lässt sich ein Wandel in der Wahrnehmung des einstigen Kinderstars ablesen.

Galt sie in den 1990ern als austauschbare Retortengeburt der Industrie, erfuhr sie über ihren Erfolg, Emanzipationsversuche und ihre freiwillig wie unfreiwillig zur Schau gestellte Verletzlichkeit erst über die Jahre so etwas wie menschliche Anerkennung. Gerade ihre verschwitzten Auftritte, in denen sie sich sichtlich nicht in Bestform auf die Bühne stellte und mit dem eigenen Image haderte, wurde von vielen mit ihr gemeinsam älter werdenden Fans mit Sympathie belohnt.

Erratische Videos

Und trotz aller auferlegten Einschränkungen funktionierte Spears und verdiente enorme Summen: Von 2013 bis 2017 hatte sie mit Piece of Me eine eigene Show in Las Vegas. Rund 250 absolvierte Auftritte sollen Spears an die 140 Millionen Dollar eingebracht haben. Zudem hat sie in der Zeit ihrer Vormundschaft drei Alben veröffentlicht – das alles als entmündigter Superstar, der selbst kein Auto lenken darf und jede noch so kleine finanzielle Ausgabe dokumentieren muss.

Sich ihrem Schicksal ergeben will sie sich nicht, wie sehr es ihr zusetzt, offenbaren manche ihrer Videonachrichten in den sozialen Medien. Diese zeigen eine oft zart neben der Spur wirkende Frau. Einerseits sportiv im Turngewand, andererseits trägt sie ihre Botschaften auf eine Art vor, als würde sie diese unter Druck von wo ablesen – zumindest in der Wahrnehmung der #FreeBritney-Bewegung ist das so.

Dabei stellt Spears selbst gar nicht in Abrede, dass sie Probleme hat und Hilfe braucht. Zwar ist die völlige Aufhebung der Vormundschaft natürlich das Ziel, doch scheint sie sich damit arrangieren zu können – solange der Vormund nicht ihr Vater ist. Im Moment bemühe sie sich zu lernen, ein normaler Mensch zu sein, sagte sie zuletzt. (Karl Fluch, 10.2.2021)