Als er einen Kunden aussteigen ließ, habe er zufällig seinen Ex-Schwiegervater gesehen, behauptet ein angeklagter Taxifahrer. Er wollte reden, der Ex-Schwiegervater nicht – das Ergebnis ist ein Prozess wegen Mordversuchs.

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Wien – Dem Angeklagten Salih A. ist durchaus bewusst, wo seine Schwäche liegt. "Ich habe ein Aggressionsproblem", verrät er dem Geschworenengericht unter Vorsitz von Olivia-Nina Frigo. Ein Euphemismus: In fünf Jahren sammelte der 31-Jährige drei Vorstrafen wegen Gewaltdelikten, nun ist er wegen Mordversuchs an seinem Ex-Schwiegervater angeklagt.

Die Vorstrafen des Taxifahrers verdienen eine nähere Betrachtung, deshalb referiert sie die Vorsitzende ausführlicher. 2014 attackierte A. einen Gegner mit einem Holzprügel: Er sollte einen Fahrgast vom "Goldentime FKK Saunaclub" abholen, der kam aber nicht beziehungsweise zu spät. Daraus resultierte ein Streit mit dem Security des Etablissements, bei dem A. die Waffe einsetze. 2017 folgte die nächste Verurteilung: A. versetzte einem anderen Verkehrsteilnehmer, der ihn angeblich geschnitten hatte, einen Faustschlag ins Gesicht.

Strafe von 19 Monate unbedingt offen

Auch in diesem Fall erhielt der Türke nur eine bedingte Haftstrafe, die im Jahr 2019 widerrufen wurde. Da saß er wegen fortgesetzter Gewaltausübung gegen seine nunmehrige Ex-Frau vor Gericht, die beiden bedingten Vorstrafen wurden schlagend, insgesamt wurde er zu 19 Monaten Gefängnis verurteilt.

Damit endet seine Gerichtserfahrung aber nicht: Ebenso 2019 wurde er im Zuge des Scheidungsstreits selbst zum Opfer. Sein damaliger Schwiegervater und zwei Söhne von diesem verprügelten ihn bei einem Besuch. Der 50-jährige Schwiegervater erhielt eine Diversion und musste A. 2.600 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Damit hätte eigentlich der Rechtsfrieden wiederhergestellt sein können, hätte der Angeklagte nicht am 3. Juli 2020 seinen Ex-Schwiegervater U. in einem Schanigarten entdeckt. "Ich habe einen Fahrgast gehabt und ihn aussteigen lassen", erzählt A. dem Gericht, "da habe ich ihn sitzen gesehen." Er wollte die Gelegenheit nutzen, um über das Besuchsrecht für sein kleines Kind zu sprechen, sagt A., deshalb habe er U. angesprochen.

Küchen- und Klappmesser im Fahrzeug

Der wollte nicht mit A. sprechen, worauf dieser zurück zu seinem Taxi lief und zwei Messer holte: ein Keramikmesser mit 25 Zentimeter langer Klinge und ein Klappmesser. Eines habe ein Fahrgast vergessen, das andere habe er, um bei einem Unfall seinen Gurt durchtrennen zu können, behauptet der Angeklagte.

U. wehrte ihn minutenlang mit einem Sessel aus dem Gastgarten ab, ehe die alarmierte Polizei A. festnehmen konnte. Verletzt wurde der Ältere nicht, für den Staatsanwalt ist dennoch klar, dass es sich um einen Mordversuch handelt.

Dem widerspricht Verteidiger Walter Pirker: Es habe keinen Mordversuch gegeben, "es fehlt hinten und vorne der Tatplan", argumentiert er. Die Waffen habe sein Mandant nur geholt, um den Ex-Schwiegervater dazu zu bringen, ihm zuzuhören. Außerdem sei er von U. "wüst beschimpft worden. In türkischen Familien hat Ehre einen hohen Stellenwert, und Beleidigungen werden ernst genommen", führt der Verteidiger noch aus.

Ausweichender Angeklagter

A. selbst bekennt sich teilschuldig. "Wozu?", fragt ihn Vorsitzende Frigo. "Weil ich Messer genommen habe." – "Wozu bekennen Sie sich teilschuldig?" – "Ich hab sie unter Angst genommen", weicht A. aus. "Was haben Sie mit den Messern gemacht?" Der Angeklagte beteuert, dass er seinen Ex-Schwiegervater sicher nicht erstechen wollte, das sei diesem auch bewusst gewesen.

Das Ausweichen, besonders bei für ihn unangenehmen Fragen, ist ein roter Faden in der Befragung des Angeklagten. Zusammengefasst: Er sieht sich immer als Opfer. Der Gerichte, der Familie seiner Ex-Frau, die "meine große Liebe" für ihn gewesen sei. Auch mit dem Schwiegervater habe er während der Ehe kein Problem gehabt: "Wir waren sehr gut. Er war immer auf meiner Seite. Ist eh guter Mann", betont er.

Da seine Ex-Frau keinen Kontakt mehr mit ihm wollte, habe er gehofft, der Ex-Schwiegervater könnte das regeln. "Meine Ex-Frau hört zu, was der Vater sagt", begründet er. Der Gesprächsversuch im Schanigarten sei von U. aber "mit einem bösen Schimpfwort" quittiert worden. A. kennt die deutsche Übersetzung des Wortes nicht und verwendet den türkischen Originalbegriff, den die Dolmetscherin mit "Ehrloser" übersetzt.

"Kennt alle Leute und ist Boxer"

"Wie haben Sie sich da gefühlt?", will Frigo wissen. "Ich war ruhig. Und unter Angst", bezieht sich A. auf die Auseinandersetzung ein Jahr zuvor. "Warum gehen Sie nicht weg? Wenn er nicht mit Ihnen reden will, hätten Sie sich ja auch einfach in Ihr Taxi setzen können und fahren?" – A. windet sich zunächst wieder und schweift ab, schließlich sagt er: "Ich wollte gehen." – "Sind Sie wieder aggressiv geworden, wie in der Vergangenheit?" – "Leider." – "Warum haben Sie die Messer geholt?" – "U. kennt in dem Lokal alle Leute, und er ist Boxer", versucht A. zunächst seine Befürchtungen zu verdeutlichen. Um dann zu erklären: "Ich wollte schauen, was er jetzt mit Messer sagt" – also eine Verantwortung in Richtung schwere Nötigung.

Eines stellt der Angeklagte auch noch klar: "Ich bin ein gläubiger Mensch. Es ist furchtbar verboten, jemanden zu töten. Ich wollte meinen Ex-Schwiegervater nicht töten." – "Es ist auch verboten, jemanden zu schlagen", quittiert die Vorsitzende trocken. "Ja, das ist auch verboten", gesteht A. zu.

U. sagt als Zeuge, er habe sich in die Ehe seiner Tochter zunächst nicht eingemischt und auch wenig Kontakt gehabt. Erst als sein Enkel auf die Welt kam, kam er öfters zu Besuch, und schließlich vertraute sich ihm seine Tochter an und sprach von der Gewalt und dass sie die Scheidung wolle. "Ich habe mit ihnen gesprochen und gesagt, sie sollen sich nicht scheiden lassen, da ja jetzt das Baby da ist. Das hätte ich nicht machen sollen", bedauert der 50-Jährige im Nachhinein.

Aus Angst umgezogen

Nach der Trennung sei er mit der Familie sogar in einen anderen Bezirk gezogen, da er Angst vor dem Angeklagten hatte. "Unsere Zeit ist voller toter Ex-Frauen, die Nachrichten sind voll davon", merkt U. an. Am Tag der Tat hatte er sich nur zufällig mit einem Bekannten in seinem früheren Stammlokal getroffen. U. vermutet daher, dass A. ihm in seinem alten Bezirk aufgelauert habe. Eine Rolle spielt aus Sicht des Zeugens auch, dass der Angeklagte die letzte Rate seines Schmerzensgeldes einen Monat zuvor bekommen habe. Auch A.s Verurteilung zur unbedingten Haft wurde zwei Wochen vor der Tat rechtskräftig.

Als der Angeklagte ihn im Gastgarten ansprach, habe er gesagt: "Es gibt nichts zu reden, verschwinde!" "Ich habe Schmerzensgeld gezahlt und ihr seid geschieden!", habe er beschieden. Und er habe A. als "verlogene Person" bezeichnet, erinnert U. sich noch. Dann sei der Angeklagte davongelaufen und mit den zwei Messern wiedergekommen. Sein Bekannter habe ihn gewarnt, daher habe er sich mit einem Stuhl wehren können. Der Zeuge ist überzeugt, dass A. auf ihn einstechen wollte. Es seien keine Andeutungen gewesen, darüber hinaus habe A. selbst nach Ankunft der Polizei noch gedroht, ihn zu töten.

Die Geschworenen glauben dem Zeugen und verwerfen die Version des Angeklagten, er habe mit den Messern nur drohen wollen. Mit sieben zu einer Stimme sprechen die Laienrichter A. wegen Mordversuchs schuldig. Die Strafe: 15 Jahre Haft, U. muss er 1.000 Euro für den erlittenen Schock zahlen. A. erhebt Nichtigkeitsbeschwerde und legt Berufung ein, dem Ankläger ist die Strafhöhe zu niedrig, die Entscheidung ist daher nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 10.2.2021)