Der Jubel war unbeschreiblich: Am 11. Februar 2011, gute zwei Wochen nachdem die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren ersten Höhepunkt erreicht hatten, war die Ära Hosni Mubarak beendet. "Das Volk" hatte "das Regime" gestürzt, mit einer freundlichen, "patriotischen" Armee an der Seite, wie viele überzeugt waren.

Dass es in Ägypten, dem einstmals politisch mächtigsten Land der arabischen Welt, so weit kommen konnte, war nicht allein der Selbstverbrennung eines jungen tunesischen Straßenhändlers am 17. Dezember zuzuschreiben. Sein Verzweiflungsakt hatte Proteste in Tunesien ausgelöst, die morsche Kleptokratie Ben Alis war bereits am 14. Jänner zusammengebrochen. Aber Mubarak war nicht irgendein "Dominostein", der eben als nächster automatisch zu fallen hatte: Mubarak war eine Säule der politischen Ordnung im Nahen Osten und Nordafrika, auf die sich auch die regionale Sicherheitspolitik Washingtons stützte.

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Gute zwei Wochen nachdem die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren ersten Höhepunkt erreicht hatten, war die Ära Hosni Mubarak beendet.
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Nachfolgefrage

Und dennoch hatte Barack Obama, seit 2009 im Weißen Haus, den alten Verbündeten relativ rasch fallengelassen – zum blanken Entsetzen anderer Verbündeter in der Region, allen voran Saudi-Arabien. Die Elite des ägyptischen Militärs, viele von ihnen in den USA ausgebildet und mit direktem Draht zu ihren US-Berufskollegen, musste sich fragen, ob es sich lohnte, den alten, müden Mann weiter zu stützen – noch dazu, wo er seinen Sohn Gamal, einen Geschäftsmann, also keinen der Ihren, auf die Nachfolge vorbereitete.

Als die Militärs Mubarak fallenließen, handelten sie unter dem Motto "Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern" (Giuseppe Tomasi di Lampedusa, Der Leopard). Der Zustand Ägyptens zehn Jahre danach zeigt, dass die Rechnung – nach einem kurzen Intermezzo – nicht nur aufging, das Kalkül wurde noch übertroffen. Die Armee ist so mächtig wie nie zuvor.

Ausgebooteter Vizepräsident

Mubarak hatte noch im letzten Moment versucht, beim Abgang seinen Fuß in der Tür zu lassen: Ende Jänner hatte er seinen Geheimdienstchef Omar Suleiman zum Vizepräsidenten ernannt, der sollte nun ins höchste Amt aufrücken. Aber der Höchste Rat der Streitkräfte unter Feldmarschall Mohamed Hussein al-Tantawi nahm lieber gleich selbst die Geschäfte in die Hand. Die Militärjunta setzte die Verfassung außer Kraft.

Der Unmut unter den Menschen im Polizeistaat Ägypten hatte sich über die Jahre aufgestaut. Die Unentschlossenheit des damals 82-jährigen Mubarak, wie und wann er die Macht übergeben sollte, hatte zu einer innen- und außenpolitischen Lähmung geführt. Noch zu Beginn der Proteste ließ er offen, ob er nicht doch wieder zur nächsten "Präsidentenwahl" antreten würde.

Gleichzeitig zog der Klüngel um ihn die Zügel an, um alles unter Kontrolle zu halten: Die Parlamentswahlen 2010 etwa wurden auch nach ägyptischen Standards zur totalen Farce. Jeder Dissens wurde brutal ausgelöscht. Der Anfang Juni 2010 im Polizeigewahrsam zu Tode geprügelte Blogger Khalid Said wurde so zum ersten Märtyrer der Revolution, noch bevor sie begonnen hatte: "Wir sind alle Khalid Said", lautete einer der Slogans.

Ganz neue Medien

Für alle arabischen Staaten, in denen damals Proteste stattfanden, gilt, dass auch die Weltfinanzkrise mitspielte: Der Preisanstieg für Lebensmittel, die wachsende Armut, die Perspektivlosigkeit der zum Teil gut ausgebildeten Jungen schärften den Blick für die Korruption der Reichen. Und die Machthaber hatten es mit einer Generation von jungen Menschen zu tun, die auf Social Media völlig neue Wege nutzen konnten, um sich zu organisieren und die Polizei – sie war der Feind, nicht die Armee – auszutricksen. Als Frontmänner agierte oft eine Schicht von unerschrockenen Fußball-Hooligans, die Erfahrungen in Straßenschlachten und weniger Angst als die bürgerlichen Kids hatten.

Bei den ersten, der Junta mühsam abgerungenen Wahlen im Winter 2011/2012 erwiesen sich jedoch die Muslimbrüder als stärkste Kraft: Ihre jahrzehntealten Netzwerke waren unschlagbar und ihr politischer Ruf noch relativ unbeschädigt. Entgegen ihren Ankündigungen bewarben sie sich 2012 auch bei den Präsidentschaftswahlen: Mohammed Morsi machte das Rennen. Der Muslimbrüder-Machtrausch wurde im Sommer 2013 durch eine Konterrevolution beendet.

Seinen Nachfolger – nach einer Episode, in der der Präsident des Obersten Verfassungsgerichtshofs, Adly Mansour, das Amt innehatte – hatte Morsi selbst zum Armeechef und Verteidigungsminister gemacht, nachdem er im Sommer 2012 Tantawi entlassen hatte: Abdelfattah al-Sisi. Die ägyptische Verfassung ist inzwischen wieder dahingehend geändert, dass Sisi bis 2030 im Amt bleiben kann. Die Revolutionäre von 2011 sind im Ausland, im Gefängnis oder wollen von damals nichts mehr wissen. Mubarak starb 2020 als freier Mann. (Gudrun Harrer, 11.2.2021)