Der türkise Kanzler Sebastian Kurz, der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober und der schwarze Landeschef Günther Platter sind aneinandergeraten.

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Der Tiroler Abwehrkampf ist – zumindest offiziell – beendet. Ab Freitag soll aus Nordtirol nur noch ausreisen dürfen, wer einen negativen Corona-Test vorlegen kann. Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), der zuvor die aufmüpfigen Parteikollegen angeführt hatte, ruderte Dienstagabend zurück. In einer Videoansprache im Tiroler Lokalfernsehen bemühte er sich um Deeskalation: Die von der Bundesregierung verhängten Maßnahmen bezeichnete er als gut. Man müsse nun "gemeinsam an einem Strang ziehen". Es sei an der Zeit, "die Muskelspiele" sein zu lassen.

Drohungen und Beleidigungen

Tiroler Landespolitiker hatten davor mit Drohungen und Beleidigungen in Richtung Wien für Kopfschütteln gesorgt. Tirol, die Region mit dem höchsten Aufkommen der südafrikanischen Virusmutation nach Südafrika, wollte sich von der Bundesregierung nichts vorschreiben lassen. Tagelang verhandelten der türkise Kanzler und sein grüner Gesundheitsminister mit dem schwarzen Landeshauptmann. Die Situation war kurz davor, völlig zu eskalieren.

Was war da los? Und vor allem: Droht durch Mutationen und die regional sehr unterschiedliche Infektionslage nun öfter der Clinch zwischen Bund und Ländern? Ziehen noch alle an einem Strang?

Krisensitzung am Sonntag

Der Konflikt mit Tirol schwelt eigentlich bereits seit Beginn der Vorwoche: Am Montag konferierte die Regierungsspitze mit Experten, Landeshauptleuten und Opposition, um sich abzustimmen. Schon da kam ein "Alarmruf", wie es aus Regierungskreisen heißt, von der Virologin Dorothee von Laer: In Tirol breite sich die südafrikanische Virusmutation aus, es drohe ein zweites Ischgl. Das habe man ernst genommen, aber die Einschätzungen hätten sich widersprochen – das Land Tirol wartete mit anderen Zahlen auf als jenen, die dem Bund vorlagen. Die Lage sei unübersichtlich gewesen.

Gegen Ende der Woche sei in Wien klar gewesen, dass man handeln müsse. Am Sonntag, 14 Uhr, startete die Krisensitzung mit Kanzler Sebastian Kurz, Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Tirols Landeshauptmann Platter, dessen Gesundheitslandesrat Bernhard Tilg (ÖVP) und einigen Fachexpertinnen und -experten. Nach circa zwei Stunden war es gelungen, "die Zahlen außer Streit zu stellen". Aber was man politisch daraus ableiten musste, da seien die Verhandlungen festgesteckt. Um Mitternacht wurde das Gespräch beendet – ohne Ergebnis. Montagfrüh sollte es weitergehen.

Die Nacht änderte nichts

Die Nacht hatte aber wenig geändert. Die Tiroler blieben dabei: Viel testen, ja. Corona-Zutrittstests für die Seilbahnen, okay. Aber Isolation oder Ähnliches? Sicher nicht. Da sei auch Kurz nicht durchgedrungen. Schließlich sei Anschober wie auch dem Kanzler der Kragen geplatzt. Mehrere Spitzenjuristen wurden damit beauftragt, klar herauszuarbeiten, was ohne die Zustimmung Tirols möglich ist – was der Bund also auch gegen den Willen Platters verordnen kann. Montagabend setzte sich Anschober in die "ZiB 2" und ließ seinem Unmut freien Lauf. Am Dienstag wurde verkündet: Wer Tirol verlässt, kann das nur noch mit Test.

Musste sich Platter also seinem Schicksal ergeben? Die Maßnahme an sich bezeichnen viele ohnehin als "zahnlos". Etwa SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, die eine zweiwöchige regionale Quarantäne in besonders betroffenen Bezirken fordert. Auch Anschober hatte mehr im Sinn. Platter selbst betont, dass sich für Tirol doch kaum etwas ändere. Alle Tirolerinnen und Tiroler könnten sich ja weiterhin im Bundesland bewegen wie bisher.

Mehr Widerstand aus den Ländern?

In Regierungskreisen möchte niemand von einer nachhaltig angespannten Situation zwischen dem Bund und Tirol sprechen. Man habe mit Platter bisher immer gut zusammenarbeiten können. Er habe sich diesmal einfach verrannt, getrieben von der aufgeheizten Stimmung im eigenen Land, so die Erklärung. Fest steht aber auch: Je weniger die Bevölkerung strenge Maßnahmen befürwortet, desto mehr ist bei Verschärfungen mit Widerstand aus den Ländern zu rechnen – das hat sich anhand des Streits mit Tirol gezeigt.

Und es gibt auch schon neuen Stoff für Stunk: Die Tiroler Grünen und die Liste Fritz sprechen sich nun für eine "Anpassung des Impfplans" aus. Weil der Astra-Zeneca-Impfstoff bei der südafrikanische Mutation weniger wirksam ist, wird eine "Priorisierung Tirols" und ein "Impf-Schutzschirm" gefordert. So sollen die Impfstoffe von Biontech und Moderna in Tirol bevorzugt zum Einsatz kommen. Gesundheitsminister Anschober stellte am Mittwoch klar, dass der Impfplan nicht durcheinandergewirbelt werde. Eine Anpassung für Tirol sei für ihn "überhaupt kein Thema". (Steffen Arora, Katharina Mittelstaedt, 10.2.2021)