Der alte Soldat und das wilde Kind: Tom Hanks und Helena Zengel halten in "Neues aus der Welt" nur aneinander fest.

Foto: Netflix

Aktualität wird überschätzt. Dafür ist Capt. Jefferson Kyle Kidd ein gutes Beispiel. Er reitet mit einem Packen nicht ganz druckfrischer Zeitungen in Texas von Stadt zu Stadt, um seinen Zuhörern daraus vorzulesen, was sich im Land sonst so tut. Unglücksgeschichten klingen alle ein bisschen ähnlich, Überlebensgeschichten heben den Mut. Nur wenn der Name des 18. US-Präsidenten, Ulysses S. Grant, fällt, brandet eine Woge der Wut durch den Saal. Doch auch dann trifft Kidd meist die richtigen Worte: "Wir sind alle verletzt. Es sind schwierige Zeiten."

Universal Pictures

Paul Greengrass' Neues aus der Welt(News of the World), eine Universal-Produktion, die nun zu Netflix gewandert ist, spielt im Jahr 1870, kurz nach Ende des Sezessionskriegs. Parallelen zu zeitgenössischen Schieflagen liegen dennoch auf der Hand. Für die grassierende Spaltung der US-Gesellschaft findet die Adaption von Paulette Jiles' Roman ein grimmiges Rohszenario vor, eingekleidet in die historische Form des Westerns. Der Geist der Partisanentums liegt in der Luft. Wahlrecht für Amerikaner aller Hautfarben – no way. Gewalt ist kein Privileg und die Freiheit, sie an anderen anzuwenden, groß.

Getragener, klassischer

Greengrass, britischer Herkunft, aber schon länger in Hollywood tätig, hat in seinen Filmen oft rezente politische Sujets dramatisiert, sei es 9/11 (United 93) oder modernes Piratentum (Captain Philipps), bevorzugt mit hypernaturalistischen Mitteln. Neues aus der Welt wählt eine klassischere, getragene Gangart. Die Kamera von Dariusz Wolski weidet sich an den staubigen Landschaften, auch erzählerisch arbeitet sich der Film an Westernmotiven ab, wobei man sehen kann, dass er sie mit der aufgeklärteren Sensibilität einer anderen Ära zu behandeln versucht.

Davon zeugt auch Capt. Kidd, der vom Krieg vernarbte Zeitungsvorleser, der, von Tom Hanks verkörpert, ein gutmütiger Einzelgänger ist, dessen Pflichteifer nur sporadisch erwacht. Unterwegs trifft er auf ein zehnjähriges Mädchen, den Abkömmling einer deutschen Siedlerfamilie, der zuletzt unter der Obhut der Kiowa stand, und nun, nachdem auch diese Ersatzfamilie ermordet wurde, völlig auf sich allein gestellt ist. Kidd nimmt sich des scheuen, wilden Kindes an, will es allerdings bei erstbester Gelegenheit wieder loswerden. Von ähnlich gelagerten Western wie True Grit weiß man freilich, dass sich aus solchen Begegnungen auch echte Bande knüpfen lassen.

Sorgen an der Stirn

Die junge deutsche Schauspielerin Helena Zengel, die bereits vor zwei Jahren in Nora Fingscheidts Systemsprenger ein Mädchen spielte, das nicht zu bändigen war – und dafür begeistert akklamiert wurde –, gibt in der Rolle der Johanna ihr Hollywooddebüt, wofür sie wiederum mehrere Preisnominierungen einheimste. Das reservierte, sorgenvolle Spiel von Hanks – keiner kann die Stirnfalten besser runzeln –, harmoniert mit Zengels größtenteils nonverbaler, stoischer, manchmal ungestümer Darstellung ideal. Trotz all der Gefahren, die ihnen auf ihrer 400-Meilen-Reise von außen drohen, schlägt in der Annäherung des aus vertrauten Ordnungen gefallenen Paars der Puls des Films.

Greengrass umschifft die mögliche Sentimentalität des Stoffs zumeist recht klug. Mit dem Pferdewagen geht es im Film von Station zu Station, um ein Bild von verschlagenen Krisengewinnlern und gefühlstauben Farmern zu malen. Besonders drastisch gerät eine Gruppe Büffeljäger, die von einem fratzenhaften Uncle Sam angeführt wird – es ist dieser höllenartige Ort, wo Kidd dann in einer Lesung für demokratische Versittlichung eintritt.

Solche zur Schau getragene Rechtschaffenheit ist zugleich auch die Schwäche des Films, die Grenzen zwischen Gut und Böse sind allzu klar gezogen. Tom Hanks’ Figur hat wenig von der moralischen Zwiespältigkeit mancher Helden von John Wayne, die ihre Verwerflichkeit noch mit sich selbst austragen mussten. (Dominik Kamalzadeh, 11.2.2021)