Auch Jörg Haider spielte erfolgreich die Opferrolle.

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Die Pandemie hat ihn wiederauferstehen lassen, diesen Widerstandsgeist des ewigen Freiheitshelden und Abwehrkämpfers der Tiroler – Andreas Hofers.

"Man zeigt seit Monaten mit dem Finger auf uns", "wir haben es satt, ständig verurteilt zu werden", "wir wollen gleichbehandelt werden wie all die anderen Bundesländer", "man wird die Tiroler schon noch kennenlernen": So schießen Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP), Tirols Wirtschaftskammerpräsident Christoph Walser und die Ihren in diesen Tagen mit scharfer Rhetorik in Richtung Wien und der dortigen Bundesregierung.

Dem Kärntner Sozialpsychologen und Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer sind derartige Drohgebärden aus einem Bundesland gegen die Wiener Bundesregierung sehr vertraut. Er hat darüber einiges publiziert, zwar nicht aktuell über Tirol, aber über Kärnten, wo der 2008 bei einem Autounfall verstorbene Landeshauptmann Jörg Haider (zuerst FPÖ, dann BZÖ) mit genau jenem "Alle sind gegen uns"-Opfermythos politisch in seinem Bundesland jahrelang gut gefahren ist und breite Teile der Bevölkerung um sich geschart hat.

Täter-Opfer-Umkehr

"Auch aktuell in Tirol versucht man wieder diesen Dreh, man sei von Wien verraten worden. Dabei geht es wohl in erster Linie darum, den wirtschaftlichen Egoismus einiger als Rebellion zu verkaufen. Man versucht sich aus niedrigen Beweggründen als Verfolgte hinzustellen. Wir sind die Opfer, Wien versteht uns nicht, da müssen wir uns dagegen wehren. Das klingt so wie bei Haider, der sich als Robin Hood inszenierte, um seinen rücksichtslosen Egoismus zu verschleiern. Es geht hier wie dort um eine Täter-Opfer-Umkehr", sagt Ottomeyer im STANDARD-Gespräch.

Abseits dieses zur Schau gestellten "Abwehrkampfes", der in der Tiroler Bevölkerung natürlich eine Gruppenidentität durchaus fördere, sieht Ottomeyer "mit Erstaunen", wie sich Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) in der Auseinandersetzung mit Tirol behandeln und von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) habe vorschicken lassen. Es sei zudem bemerkenswert, wie die Grünen "hier in dieser ganzen Inszenierung mitziehen".

"Kurz hat keine Lust mehr"

Diese von Tirol akkordierte "Rebellion" gegen Wien berge für Kanzler Sebastian Kurz aber durchaus eine Gefahrenquelle, sagt Ottomeyer. "Da tut sich ja innerhalb der ÖVP einiges. Die Altschwarzen im Westen wittern jetzt wieder Morgenluft und sehen, dass sie Kurz auch in die Schranken weisen können. Er ist, wie man bemerkt, nicht mehr der junge strahlende Messias. Kurz hat sich seine Kanzlerschaft sicher anders vorgestellt, er sieht, dass das ganz schön mühsam ist, vielleicht hat er auch ganz einfach keine Lust und Kraft mehr, sich durchzusetzen." Sollte dies der Fall sein, hätten die Tiroler "Abwehrkämpfer" tatsächlich einen Sieg errungen, sagt der Kärntner Psychoanalytiker. (Walter Müller, 11.2.2021)