Theater goes Lichtspielhaus: Stephanie Cumming als Becketts Winnie im Mini-Kino von Toxic Dreams im Theatermuseum.

Foto: Timotheus Tomicek

Das Österreichische Theatermuseum im Wiener Palais Lobkowitz (offen!) ist derzeit nicht nur Herberggeber für die einer Sanierung unterzogene Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste. Es hat auch After the End and Before the Beginning der Theatergruppe Toxic Dreams unter seine Fittiche genommen. Wenn Bühnen geschlossen bleiben und Livespiel unmöglich ist, dann wird Theater eben virenfrei abgefilmt und auf Miniaturbühnen im Museum präsentiert.

Kunsthistorisches Museum Wien

Das ist logistische Raffinesse, aber auch konzeptuell ein Bringer. After the End ... löst ikonografische Figuren aus ihren Dramenhandlungen und erzählt ihr Leben weiter. Genauer: Regisseur Yosi Wanunu dichtet den Frauen und Männern aus Shakespeare-, Dürrenmatt- oder Ibsen-Stücken eine zeitgenössische Fortsetzung oder Vorgeschichte an. Wie hat Nora gelebt, seit sie Mann und Kinder verlassen hat? Wie paternalistisch konversiert die linguistisch zurechtgestutzte Eliza Doolittle mit einem Taxler? Und was hat Olga aus Tschechows Drei Schwestern doch noch in Moskau erlebt?

Besucher folgen den Figuren in Kurzfilmen, die in schnuckelig kleinen Lichtspieltheater-Kästen (von Paul Horn), im Theatermuseum verteilt, auf Knopfdruck zu betrachten sind – mit Einwegohrstöpsel. Neben Hieronymus Boschs Weltgerichtstriptychon (!) etwa steht die mit Glitzerplastik feierlich gerahmte Lichtspielbühne, in der sich Lady Macbeth sowie Blanche DuBois aus Endstation Sehnsucht zusammengespannt sehen.

Kamera im Taxi dabei

Insgesamt sind es neun Figuren, von Hamlet über Nora und Woyzeck bis hin zu Winnie aus Becketts Glückliche Tage, die in den Filmen jeweils in ein Taxi steigen – und wir bzw. die Kamera von Timotheus Tomicek mit ihnen. Lady Macbeth (Nina Fog) flieht mit blutigen Handschuhen aus einer Tiefgarage. Sie scheint Killerin eines Verbrechersyndikats zu sein. Der Taxler, gespielt von Wanunu, bleibt hier verständlicherweise wortkarg. Ungefährlicher wirkt da der junge Experimentalfilmer Hamlet (Markus Zett) oder die blasierte Politikerin Nora (Anna Mendelssohn).

Die mitreißendste Autofahrt erlebt man vielleicht mit dem gefallenen It-Girl Blanche DuBois, emphatisch gespielt von Isabella Händler, die nach einem weiteren verpfuschten Date den Fahrer herablassend ins Vertrauen zieht. "Darling, get me out of here!", sagt sie. Es sind diese prononcierten (Anfangs-)Sätze (alles Englisch mit Übertiteln) sowie die charakterstarke, aber nie übertünchende Musik (David Schweighart, Michael Strohmann, Martin Siewert, Frederick Loewe/Alan Jay Lerner), die den aus ihren Dramenschicksalen herausgelösten Protagonisten filmischen Drive geben. Aber auch eine sprachliche Akkuratesse (Stephanie Cumming!), die man auf Bühnen sonst oft vermisst. Eine Win-win-Situation für Theater und Museum. (Margarete Affenzeller, 10.2.2021)