Ein bisschen wie im Dorf: das Wiener Grätzl Ober-St.-Veit.
Foto: Regine Hendrich

Unter "Ober-St.-Veit" können sich nicht wirklich viele Wienerinnen und Wiener etwas Konkretes vorstellen. Irgendwo links, knapp vor der Westausfahrt, hinter der Westeinfahrt – wer kennt schon einen Grund, nach Ober-St.-Veit zu fahren? Dabei gibt es deren viele.

Ober-St.-Veit ist ein Dorf in der Stadt. Es ist nicht abgenabelt wie Stammersdorf oder so unscharf wahrnehmbar wie Atzgersdorf. Ober-St.-Veit hat einen Hauptplatz mit Kirche, Bankfiliale und Wirtshaus – es ist wie auf dem Land. An diesem Platz, dem Wolfrathplatz, endet die Hietzinger Hauptstraße. Blickt man diese stadteinwärts, sieht man bis zu den Hochhäusern der Donauplatte und fühlt, wie weit man doch von der Stadt entfernt ist. Hier spürt man das Dorf, den historischen Ortskern mit seiner sehr speziellen Franzl-und-Sisi-Atmosphäre.

Dazu tragen vor allem die renovierten Fassaden alter, revitalisierter Häuser bei. Wer sich an Schönbrunn sattgesehen hat, fährt einfach vier U-Bahn-Stationen mit der U4 weiter stadtauswärts und begibt sich dort auf Entdeckungsreise. Zwischen Hietzinger Kai und Trazerberggasse gibt es eine Unzahl gut erhaltener, historischer Häuser und Höfe, die diesen Ausflug rechtfertigen. Der Platzhirsch in Ober-St.-Veit ist der Schneider-Gössl in der schönen Firmiangasse, ein Heurigen-Restaurant aus der Zeit Maria Theresias mit schönem Hofgarten inklusive Rebendach, angeschlossenem Hotel und Appartements.

Der Blick von der Stadt in die Stadt.
Foto: Regine Hendrich

Als erster Wirt am Platz vor der Kirche ist jedoch die neapolitanische Pizzeria da Salvatore zu nennen. Kein Schmähtandler-Betrieb, sondern eine ernstzunehmende Pizzeria, deren Pizza Bianca mit Friarielli, Salsiccia und geräuchertem Büffelmozzarella im Wiener Pizzawald schon sehr hervorsticht. Und während die älteren Leute beim Heurigen Liter-Liter bestellen, die Familien bei Salvatore Parisi am Pizzarand knabbern, kippt die lokale Jeunesse dorée im Nachbarhaus ihre Drinks in Gössl's Sekt- und Weinbar. Draußen beim Rauchen schauen sie dann auf das rund 1.000 Jahre alte, einst von den Türken niedergebrannte und wieder aufgebaute Schloss direkt an der Kirche.

Gleich neben Gössl's Weinbar befindet sich eine Verkaufsstelle der Arge Rosenauerwald, geduckt in einem historischen Gewölbe. Zusätzlich zur atmosphärischen Zeitreise gibt es hier solidarisch gehandelten, fantastischen Käse, diverse Würste (Hirschsalami!), Teilsames, Brot, Honig, Olivenöl; den so erdigen wie klugen Schmäh vom Chef Thomas Anderl inklusive. Er verkauft auch die italienisch gerösteten Bio-Kaffeebohnen zapatistischer und widerständiger Kooperativen aus Mexiko und Kolumbien des Café-Libertad-Kollektivs: Durito, ein hundertprozentiger Arabica, aber auch den heller gerösteten Rebeldia. Lokale Kundinnen, die im Sommer mit Sonnenschirm und Spitzenhandschuhen einkaufen kämen, würden den leichteren Rebeldia bevorzugen, schmunzelt Anderl.

Das beste Eisgeschäft der Stadt

Ihm gegenüber hat vor einigen Jahren das womöglich beste Eisgeschäft der Stadt eröffnet, Anton's Tafel. Anton Rusnak, ein Spitzenkoch, hat mit seiner Frau Irina die Carpigiani Gelato University in Bologna besucht, und sie beweisen gemeinsam, was man aus vollreifen Früchten bei komplettem Verzicht auf Zusatzstoffe eismäßig zaubern kann. Zusätzlich gab es vor dem Lockdown eine kleine Fine-Dine-Karte, wo Rusnak zeigte, was er im Fabios und Palais Coburg so gelernt hat. Momentan sieht es aber nicht danach aus, dass es nach der Öffnung ab März wieder Küche zusätzlich zum fantastischen Eis geben wird. Womöglich müssen die Dörfler diesbezüglich noch ein bisserl Druck aufbauen.

Ein paar Schritte Richtung Wienfluss liegt das Heurigen-Restaurant Thurn zwischen Firmiangasse und Glasauergasse. Ebenso ein schön renoviertes, altes Haus mit nettem Gastgarten vor dem Lokal und einem lauschig begrünten Innenhof. Geboten wird ein bisschen feinere, bodenständige Küche mit mediterranen Einsprengseln. Spannend ist auch das Kalkalpenfisch: Auf der Hietzinger Hauptstraße werden hier rohe wie exzellent zubereitete Fische aus einer Süßwasserzucht im Mostviertel verkauft, ein paar Sitzplätze für den Sofortverzehr wird es ab März hoffentlich auch wieder geben.

In Burg- und Kirchennähe wurden übrigens auch die ältesten Beweise menschlichen Lebens in Wien gefunden. Sie werden auf circa 25.000 Jahre vor unserer Zeitrechnung datiert. Ober-St.-Veit war offensichtlich immer schon ein guter Platz, um sich niederzulassen. (Gregor Fauma, 18.2.2021)