Sauerteig- und Bananenbrote kann ich mittlerweile nicht mehr sehen. Seit einem Jahr wird gekocht, gebacken und daneben noch die Wohnung aufgehübscht. Schließlich verbringe ich – und der Rest der Welt – gerade recht viel Zeit in den eigenen vier Wänden, und irgendeine Beschäftigung brauche ich, um die Zeit im soften, harten oder Was-auch-immer-Lockdown rumzukriegen. Dazwischen drehe ich meine Spazierrunden, und dabei sollte man warm eingepackt sein, schließlich kann man sich derzeit nicht schnell in einem Kaffeehaus aufwärmen. Dicke Haube, kuscheliger Schal und warme Fäustlinge gehören daher zum Corona-Spaziergang-Outfit. Und was liegt bei all dem neuen Biedermeiertum näher, als dafür die alte Handwerkskunst des Strickens aufleben zu lassen?

Die bunte Wolle macht den grauen Alltag erträglicher.
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Na ja, aufleben ist vielleicht übertrieben, waren die Fertigkeiten doch eigentlich nie sonderlich lebendig, man könnte sogar von stümperhaft reden, wenn ich mich an so manche "gestrickten" Teile aus Volksschulzeiten erinnere. Aber dank Youtube-Tutorials, Instagram und diverser Strickblogs gelingt es, die wichtigsten Fragen zu klären: "Wie fängt man eigentlich an?", "Was heißt glatt rechts, glatt links?" Und schon bestelle ich im Internet das erste Strick-Kit, das von Wolle über Nadeln bis zur Anleitung alles enthält, was ich für das erste Anfängerstück brauche.

Knoten in der Wolle, Knoten in den Fingern. Mit der Zeit und mithilfe von Youtube wird's besser.
Maschenmarie

Stricken ist das neue Yoga

Die Nadeln klappern, der Wollknäuel wird immer kleiner, das Strickstück – ja, so nennen Profis das – immer größer und länger, bis ich schließlich den ersten, eigentlich ganz ansehnlichen Schal in Händen halte. Jetzt noch eine Haube. Abend für Abend stricke ich Reihe um Reihe, und es stellt sich beinahe so etwas wie innere Ruhe ein. Das monotone Dahinstricken hat etwas Meditatives. Nicht umsonst findet sich auf Instagram der Hashtag #knittingismyyoga unter den hübsch ausgeleuchteten Fotos mit Gestricktem.

Und am Ende des Lockdowns sind Kind und Kegel, Verwandte und Freunde mit den wichtigsten Winterutensilien für die eisige Kälte ausgestattet. Also, wenn Sie Menschen in mehr oder weniger schön gestrickten Hauben sichten, so könnte es von mir gefertigt worden sein. Seien Sie gnädig, ich bin Anfängerin, und die Nadeln werden wahrscheinlich spätestens mit Ende der Pandemie wieder verstaut. Mit Sicherheit aber verschwindet das Biedermeierhobby wieder, sobald im Gastgarten der erste Spritzer konsumiert werden kann – dann hoffentlich ohne Haube und Schal! (Judith Wohlgemuth, 17.2.2021)