Wenn Citizen Science als Bürgerwissenschaft übersetzt wird, so ist der Name "Österreich forscht" der heimischen Website citizen-science.at eine treffende Bezeichnung. Hier findet sich folgende Definition: "Sehr vereinfacht gesagt, werden in Citizen Science wissenschaftliche Projekte unter Mithilfe oder komplett von interessierten Amateur*innen [lat. amator "Liebhaber"] durchgeführt. Die Citizen Scientists formulieren dabei Forschungsfragen, melden Beobachtungen, führen Messungen durch, werten Daten aus und/oder verfassen Publikationen. Die Einhaltung wissenschaftlicher Kriterien ist Voraussetzung. Dies ermöglicht nicht nur neue wissenschaftliche Projekte und neue Erkenntnisse, sondern ermöglicht auch einen Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, wie er sonst nicht oder nur sehr schwer möglich ist." Um up to date zu sein, empfiehlt sich das Buch "The Science of Citizen Science", das von Katrin Vohland, Generaldirektorin des Naturhistorischen Museums in Wien, und Ko-Autorinnen und Ko-Autoren herausgegeben wurde.

Von jenen Projekten, die schon durchgeführt wurden, als es den Begriff Citizen Science noch gar nicht gab, seien die jährlichen Vogelzählungen herausgegriffen. Aktuell wird auf die "Stunde der Wintervögel" von Birdlife Österreich verwiesen. Im Jänner haben 21.863 Personen im gesamten Bundesgebiet nicht weniger 504.205 Vögel gezählt. Citizen Science at its best!

"Aufruf" – anlässlich des Bebens von Laibach am 14. April 1895

Zu den lange zurückreichenden und in der Bevölkerung fest verankerten Beteiligungen gehören Erdbebenmeldungen. Auf der Website der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) findet sich ein Formular, in dem 17 Fragen (vielfach Multiple Choice) zu beantworten sind, verpflichtend sind die Postleitzahl und der Ort der Wahrnehmung. Die Anfänge gehen noch auf die Erdbeben-Commission der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien zurück, die Vorgängerinstitution des 1904 gegründeten Erdbebendiensts an der ZAMG.

Auslöser systematischer Erdbebenerhebungen war das verheerende Beben von Laibach in Slowenien am 14. April 1895. Das Beben wurde in einem Umkreis von 350 Kilometern wahrgenommen. Um die Schäden zu erheben, wurde der Geologe Franz Eduard Suess (1867–1941) vor Ort entsendet. Er veröffentlichte seine Beobachtungen in einer fast 500-seitigen Monografie. Während Suess vor Ort war, versandte sein Vorgesetzter, der Vizedirektor der k. k. Geologischen Reichsanstalt, Edmund Mojsisovics, mehr als 1.000 Erhebungsbögen mit 14 Fragen im Bebengebiet. Liest man den damaligen "Aufruf" vom 19. April, entsprach er den heutigen Kriterien von Citizen Science: "Es ergeht daher an das gebildete Publikum aller Stände die Bitte durch Einsendung einschlägiger Mittheilungen an die Direction der k. k. Geologischen Reichsanstalt (Wien, III., Rasumoffskygasse 23) unter Berücksichtigung der nachfolgenden Fragepunkte die geplante wissenschaftliche Arbeit unterstützen zu wollen."

Die 14 Fragen des Erdbebenerhebungsbogens von 1895.
Foto: GBA

1876: "Herr Redacteuer! – Hochachtungsvoll August Holzer"

Hatte Mojsisovics für das Laibacher Beben, das den Anstoß zur Gründung der Erdbeben-Commission der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien gegeben hatte, 14 Fragen formuliert, deren Auswertung Suess vornahm, so stand dahinter eine wissenschaftliche Institution mit konkreten und strukturierten Fragen. Erdbebenaufzeichnungen in Chroniken von Klöstern et cetera gehen indes viel weiter zurück, diese wurden von einzelnen Chronisten basierend auf subjektiven Wahrnehmungen aufgezeichnet.

Mit der zunehmenden Anzahl von Tageszeitungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstand eine Interaktion zwischen den Schreibenden und den Lesenden. Etwa ab den 1870er-Jahren findet man Leserbriefe, die meist mit "Herr Redacteur!" oder "Hochlöbliche Redaktion" beginnen. Sie haben persönliche Anliegen oder Wahrnehmungen zum Inhalt und suchen weniger das Ohr des Redakteurs als vielmehr die Aufmerksamkeit der Leserschaft. Exemplarisch ein Blick auf das "Erdbeben in Wien", so die Schlagzeile in der "Presse" vom 18. Juli 1876. Nach einem redaktionellen Bericht, in dem zahlreiche Wahrnehmungen zusammengefasst sind ("Im Ministerium des Aeußern fielen die Acten aus den Registraturschränken heraus; ein Amtsdiener fiel sogar von seinem Sessel zu Boden") findet sich unter den zahlreichen Leserbriefen auch folgender:

"Herr Redacteur! Ich befand mich heute mit meiner Frau im Cassazimmer meiner Badeanstalt (Holzer's Badeanstalt am linken Ufer der neuen Donau, nächst der Reichsbrücke), als plötzlich zwischen ½ und ¾ 2 Uhr Nachmittags fünf heftige Erdstöße in der Richtung von Südost gegen Nordwest erfolgten. Die Stöße waren so vehement, dass wir von den Stühlen zu fallen befürchteten, Kästen und andere Einrichtungsgegenstände schwankten und die Bilder an den Wänden in eine perpendiculäre Bewegung geriethen. […]"

Edmund Mojsisovics versendete 1895 mehr als 1.000 Erdbebenerhebungsbögen.
Foto: Public Domain

Derartige Leserbriefe zeigen die Bereitschaft der Bevölkerung, ihre Beobachtungen mitzuteilen – ein Wissenspotenzial, das es galt strukturiert abzurufen. Zeilen wie diese könnten Edmund v. Mojsisovics (1839–1907) veranlasst haben, 1895 seinen Fragebogen zu erstellen.

1847: "Aufforderung zur Beobachtung der periodischen Natur-Erscheinungen"

1846, im Vormärz, formierte sich die Gesellschaft der Freunde der Naturwissenschaften in Wien rund um den Mineralogen Wilhelm Haidinger (1795–1871). Neben regelmäßigen Treffen gab es ab 1846 mit den "Berichte[n] über Mittheilungen von Freunden der Naturwissenschaften in Wien" auch eine Publikationsreihe, in der sich das breite Spektrum der Naturwissenschaften findet. Darunter auch ein 1847 von Carl Hammerschmidt (1801–1874), einem Wiener Naturforscher, der als Abdullah Bey in Konstantinopel zu den Mitbegründern des Türkischen Roten Halbmondes gehörte, in Band zwei verfasster Artikel mit dem bezeichnenden Titel "Aufforderung zur Beobachtung der periodischen Natur-Erscheinungen in der Vegetation". Hier referiert er über Beobachtungen periodischer Vegetationserscheinungen und betont, dass diese unbedingt nach einem "bestimmten gemeinsamen Plan" gemacht werden müssen, sonst seien sie zwecklos.

Einmal mehr weist er auf die Vorreiterrolle der USA hin, wo es damals mehr als 30 Beobachtungsorte gab, an denen Blütezeit, Fruchtreife, aber auch Ankunft und Abflug der Zugvögel beobachtet wurden. Auch in Brüssel, München, Prag, Regensburg und Stockholm hatte man sich diesen "Zweigen der Naturforschung" gewidmet. Die Akademie in Brüssel hatte schon 1843 vier "Tafeln" entworfen, von denen drei für Pflanzen und eine für Tierbeobachtungen vorgesehen waren. Dank der Beobachtungen war man imstande, eine Reihe von allgemeinen Beobachtungen abzuleiten. Hammerschmidt meinte, dass es möglich wäre, daraus eine "lehrreiche Wissenschaft zu begründen".

Carl Hammerschmidt forderte 1847 die Beobachtung periodischer Naturerscheinungen.
Foto: Public Domain

In seinem finalen Fazit resümiert er: "Am Schlusse erlauben wir uns, alle jene Freunde der Naturwissenschaften, welche sich für diesen wichtigen Gegenstand interessiren, aufzufordern, ihre diessfälligen tabellarisch verzeichneten Beobachtungen an den um die Förderung der Naturwissenschaften so hochverdienten Hrn. Bergrath Haidinger, oder an uns einsenden zu wollen, um so auch vereinzelte Beobachtungen sammeln und zu gemeinsamen die Wissenschaft förderndem Zwecke benützen zu können."

Auch hier sind Aspekte von Citizen Science erkennbar. Einmal mehr zeigen diese Zeilen, dass man in Europa in den 1840er-Jahren auf strukturierte Naturbeobachtungen breiterer Schichten setzte. Der hier erwähnte Wilhelm Haidinger, der 1847 zu den Mitbegründern der Akademie der Wissenschaften gehörte, ehe er 1849 zum Gründungsdirektor der Geologischen Reichsanstalt berufen wurde, war im damaligen Wien eine der Schlüsselfiguren in den Naturwissenschaften. Das ist auf dem Grabstein seines Ehrengrabs auf dem Wiener Zentralfriedhof sogar in Stein gemeißelt: "Der Begründer des naturwissenschaftlichen Lebens in seinem Vaterlande". (Thomas Hofmann, 17.2.2021)