Der irakische Premier Mustafa Al-Kadhimi war im Dezember in Ankara. Diesmal war das türkische Vorgehen im Nordirak politisch offenbar besser vorbereitet.

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In den Bergen des Nordiraks rollt die Offensive. Die türkische Armee hat eine neue Kampagne gegen angebliche Stellungen der kurdischen Guerilla PKK begonnen. Bei der Aktion, die schon am Mittwoch ihren Ausgang nahm, handelte es sich zunächst um eine grenzüberschreitende Operation, die nur wenige Kilometer in den Nordirak hineinreichte. Nachdem türkische Sonderkommandos aber in Kämpfe mit PKK-Militanten verwickelt und dabei drei Soldaten getötet wurden, griff die türkische Luftwaffe ein. Laut der Zeitung "Hürriyet" bombardierten 40 Jets Ziele im Nordirak. Ob Zivilisten getötet wurden, war zunächst nicht bekannt.

Der aktuelle Angriff wird von der türkischen Regierung als Akt der Selbstverteidigung bezeichnet und soll angeblich bevorstehende Terrorangriffe der PKK in der Türkei vereiteln. Schon im vergangenen Jahr gab es zwei größere Aktionen der Türkei gegen angebliche oder tatsächliche PKK-Stellungen im Nordirak, was die irakische Regierung in Bagdad und die kurdische Autonomieregierung im Nordirak zu heftigen Protesten veranlasste.

Diesmal war aber vorerst weder aus Bagdad noch von der Autonomieregierung etwas zu hören. Das könnte damit zusammenhängen, dass die türkische Regierung ihren aktuellen Einmarsch politisch besser abgesichert hat.

Gut vorbereitet

Sowohl Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu als auch Verteidigungsminister Hulusi Akar waren mehrfach im Irak, um dort über ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK zu sprechen. Sollte die jetzige Operation mit dem Einverständnis der Zentralregierung und der kurdischen Autonomieregierung erfolgen, ist davon auszugehen, dass die Armee ihre Angriffe bald ausweiten wird.

In Ankara ist seit langem die Rede davon, dass die PKK aus ihren Stellungen im Sinjar-Gebiet vertrieben werden muss. Dort hatte die Terrormiliz "Islamischer Staat" vor Jahren die jesidische Minderheit brutal angegriffen und war mithilfe der PKK und verbündeter Milizen zurückgeschlagen worden. Seitdem soll die PKK aus dem Gebiet nahe der syrischen Grenze den Nachschub für die syrischen Kurden organisieren. Dass die türkische Armee die Offensive jetzt begonnen hat, obwohl die Witterungsbedingungen sehr schlecht sind, könnte aber weitergehende Gründe haben.

Seit der neue US-Präsident Joe Biden im Amt ist, rechnet die türkische Regierung damit, dass die USA sich wieder stärker in Syrien engagieren und dabei auch ihre Unterstützung für die syrisch-kurdische YPG-Miliz wieder intensivieren.

Kritik an Erdoğan

Dieses Horrorszenario für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan ist durch die bisherigen Personalentscheidungen Bidens aus Sicht Ankaras konkretisiert worden. Der neue Außenminister Antony Blinken hat die Politik Erdoğans in der Vergangenheit mehrfach öffentlich kritisiert, und auch der neue Nationale Sicherheitsberater Jack Sullivan ist ebenfalls als Erdoğan-Kritiker bekannt.

Vor allem eine Personalie hat in Ankara die Alarmglocken klingeln lassen. Als Sonderbeauftragter für den Nahen Osten wurde Brett McGurk berufen, der jahrelang als US-Koordinator im Kampf gegen den IS vor Ort war und der als Architekt der Zusammenarbeit zwischen den USA und der YPG gilt. Für Erdoğan und seinen Nationalen Sicherheitsrat ist er deshalb schlicht ein Sympathisant der PKK – als deren Ableger man die YPG sieht.

Bevor die USA also erneut die YPG stärken können, will man jetzt noch Fakten schaffen. Auch diplomatisch ging Ankara in den letzten Tagen in die Offensive. Erdoğan hat Verteidigungsminister Akar vorgeschickt, um Biden einen Deal vorzuschlagen. "Unser größtes Problem mit den USA ist deren Unterstützung der YPG", sagte Akar vor zwei Tagen. Das größte Problem der USA mit der Türkei ist dagegen deren Kauf der russischen Raketenabwehr S-400. Akar schlägt deshalb vor, die Türkei könne diese außer Betrieb nehmen, wenn die USA ihre Unterstützung für die Kurden beenden. (Jürgen Gottschlich aus Istanbul, 11.2.2021)