"Verwandlungen durch Licht": Der Fotograf Helmar Lerski schnitzte seine Porträts fast wie Skulpturen.
Foto: Albertina, Wien

Zum Glück hatte er als Schauspieler keinen Erfolg. Denn als spätberufener Fotograf leistete Helmar Lerski einen bedeutenden Beitrag zur Erneuerung der Porträtfotografie. Wobei das innovative Werk des in der Schweiz geborenen Sohnes jüdisch-polnischer Emigranten mit der Schauspielerei eng in Verbindung stand. Ab 1910 fotografierte er in den USA und inszenierte seine verkleideten Modelle in dramatischer Pose. Er spielte so lange mit Licht und Kontrasten, bis eine eigene, manchmal sogar abstrakte Formensprache entstand. Das Gesicht wurde zu seinem Werkzeug, zu seiner Manege.

Am Werk Lerskis hantelt sich die neue und mehrmals verschobene Ausstellung Faces. Die Macht des Gesichts in der Albertina durch die radikale Erneuerung der Porträtfotografie in der Zwischenkriegszeit in Deutschland und Österreich. Neben vielen bekannten Künstlern sind die Arbeiten des Fotografen, Kameramanns und Filmemachers Herzstück der Schau, auf das immer wieder Bezug genommen wird.

Insgesamt werden 154 Schwarz-Weiß-Fotografien gezeigt. Fast vier Jahre hat der Kurator Walter Moser an der Ausstellung gearbeitet, die intensive Recherchearbeit und auch zuletzt das Bemühen um die Verlängerungen der Leihgaben kosteten viel Zeit. Diese machen den Großteil aus, die Albertina-Sammlung selbst bringt etwa 20 Werke ein.

Porträt als Spiegel der Zeit: Gertrud Arndts "Maskenselbstbildnis Nr. 22".
Foto: Gertrud Arndt / Bildrecht Wien

Kostümierte Rebellen

Chronologisch und in fünf Kapitel unterteilt, führt die Ausstellung durch die Zeit der Weimarer Republik, des österreichischen Ständestaats bis hin zu jener des Nationalsozialismus – wo sie endet.

In eleganter Dramaturgie wird das Gesicht als Projektionsfläche in Fotografie (und Film) herausgearbeitet. Die Fotografen wollten nicht länger die Persönlichkeiten der Abgebildeten zeigen, vielmehr begriffen sie das menschliche Gesicht als formbares Material – und machten das Porträt zum Spiegel gesellschaftspolitischer Umbrüche.

Beispielsweise die sich wandelnden Geschlechterverhältnisse: Viele Frauen drängten in den Beruf und brachen mit den Vorstellungen bürgerlicher Porträtbilder, wobei viele der Arbeiten privat entstanden. Fotografinnen wie Gertrud Arndt oder Marta Astfalck-Vietz experimentierten mit Kostümierungen und inszenierten sich selbst als popkulturelle – oft auch erotische – Frauentypen, die in feministischer Manier (man muss an Cindy Sherman denken) gegen gängige Rollenklischees rebellierten.

Das Opus Magnum von Lerski: Die Nahaufnahmen-Serie "Verwandlungen durch Licht".
Foto: APA / HERBERT NEUBAUER

Mimik des Stummfilms

Wie prägend der expressionistische Stummfilm für die damals entstandene Porträtfotografie war, verdeutlichen Filmausschnitte, die auf Metalltischen horizontal gezeigt werden. Inhaltlich war dabei vor allem die Ausdrucksstärke der Gesichtsmimik von Bedeutung, die in den experimentellen Fotoarbeiten aufgegriffen wurde.

Insbesondere der Historienfilm Die Passion der Jungfrau von Orléans aus 1928, in dem das Gesicht der Jeanne d’Arc in drastischer Nähe dargestellt wurde, hatte Lerski nachhaltig inspiriert: Sein wichtigstes Werk Verwandlungen durch Licht orientierte sich an dieser zentralen Errungenschaft der Avantgarde, das Gesicht durch Licht in Szene zu setzen und so darin einzugreifen.

Insgesamt machte er 137 Nahaufnahmen von Leo Uschatz, einem Hochbautechniker, den er auf eine Dachterrasse in Tel Aviv setzte und mit Spiegeln und Reflektoren beleuchtete. Lediglich mit Sonnenlicht meißelte er das Gesicht des Modells wie den Stein einer Skulptur – Dunkelheit und Licht zeichneten beinahe surrealistische Konturen. Die unterschiedlichen Ausdrücke des schweißnass glänzenden Gesichts rufen Assoziationen zu Totenmasken oder den Grimassenbüsten von Franz Xaver Messerschmidt hervor.

Typologien: Aus dem Langzeitprojekt "Menschen des 20. Jahrhunderts" von August Sander.
Foto: August Sander / Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur August Sander Archiv, Köln; BILDRECHT, Wien, 2019

Typologisierung der Gesellschaft

Im vorletzten Kapitel der Schau stehen sich Fotozyklen gegenüber, die die damalige Gesellschaft in verschiedene Gruppen und Typen einteilten. So hielt der Fotograf August Sander in seinem Langzeitprojekt Menschen des 20. Jahrhunderts Personen in ihrem beruflichen Umfeld fest: Boxer, Konditoren oder einfache Handlanger. Da Sanders differenzierte Darstellung der Gesellschaft aber nicht den nationalsozialistischen Vorstellungen entsprach, wurde der Vertrieb des Buches, in dem 60 seiner Typologien veröffentlicht waren, eingestellt.

Kurator Moser weist darauf hin, dass der Großteil der gezeigten Künstlerinnen vor dem NS-Regime flüchten musste. Viele ihrer Werke wurden zerstört, verboten, zensiert oder gingen verloren.

Ideologischer Missbrauch

Inwiefern jedoch die von ihnen etablierte Formensprache von den Nationalsozialisten für deren Propaganda missbraucht worden war, verdeutlicht der letzte Raum der Ausstellung. Jene avantgardistische Sprache in Film und Fotografie wurde von den Nazis gestohlen, erklärt Moser. Die gesellschaftliche Typologisierung manifestierte sich in den völkisch-ideologischen Gesichtsaufnahmen. Wie ein Ausschnitt aus Leni Riefenstahls Triumph des Willens illustriert, wurde die Diversität völlig eliminiert und die expressive Sprache des fotografischen Porträts dafür herangezogen.

Dem gegenüber steht eine Fotoserie von Lerski, die er bereits im Exil in Palästina aufnahm und Gesichter von Arabern und Juden zeigt. Ein radikaler Gegenentwurf zu den ideologischen Bildern der Nazis und wie sein gesamtes Werk Beweis dafür, dass es nie das eine "wahre" Gesicht geben kann. (Katharina Rustler, 12.2.2021)