Vor allem ihre Familie bejubelte die Freilassung von Loujain Hathloul. Unter strengen Auflagen wurde der saudischen Feministin etwa die Hälfte ihrer Freiheitsstrafe erlassen.

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Als orientalische literarische Anspielung war es gewiss nicht gemeint, dass Loujain al-Hathloul nach genau 1.001 Nächten – und Tagen – im Gefängnis auf freien Fuß gesetzt wurde. Das Datum ergab sich aus der Ende Dezember verhängten Strafe eines Terrorismusgerichts, die teilweise verbüßt war, teilweise ausgesetzt wurde. Am Mittwoch war es so weit: Das Bild der bekannten saudischen Aktivistin wurde von ihrer Schwester Lina in einem Videoanruf festgehalten.

Viel mehr wird man von der 31-Jährigen wahrscheinlich auch in Zukunft nicht zu Gesicht bekommen. Sie hat strenge Auflagen, ihre Haftstrafe bleibt für eine dreijährige Bewährung nur suspendiert, und sie darf Saudi-Arabien fünf Jahre lang nicht verlassen. Ihre Beschwerde vor Gericht, in der Haft gefoltert und sexuell bedroht worden zu sein, wurde abgewiesen.

Etliche Aktivistinnen in Haft

Al-Hathloul war zu fünf Jahren und acht Monaten verurteilt worden, ein Urteil, das – wie saudische Diplomaten betonen – nicht wegen ihres feministischen Aktivismus erging, sondern wegen Vergehen gegen die Staatssicherheit. Dazu zählt natürlich prinzipiell Systemkritik, und nicht nur von Frauen, die sich gegen ihren Zustand der rechtlichen Unmündigkeit in Saudi-Arabien wehren wollten. Etliche davon sind weiter in Haft, gleichzeitig mit al-Hathloul soll zumindest eine Aktivistin, Nouf Abdulaziz, am Mittwoch freigekommen sein, weitere dürften folgen.

Die meisten dieser Frauen, auch al-Hathloul, bei der es allerdings nicht das erste Mal war, wurden während des Jahres 2018 verhaftet. Das war nicht zufällig genau die Zeit, in der von oben ein Reformschub zu ihren Gunsten einsetzte: Nicht zuletzt fiel das berühmt-berüchtigte Autochauffierverbot, für dessen Abschaffung sich auch al-Hathloul eingesetzt hatte. Im Juni 2017 war Königssohn Mohammed bin Salman Kronprinz geworden, hatte im Herbst erst einmal reiche Geschäftsleute, darunter auch Prinzen, wegen Korruption im Ritz-Carlton in Riad festsetzen lassen und ging seine gesellschaftliche Reformagenda, bei der Frauen eine wichtige Rolle spielen, an.

Reform nur von oben

Wenn Frauen in der Wirtschaft und im öffentlichen Leben ankommen sollen, dann muss ihnen dafür auch der rechtliche Weg geebnet und die männliche Gewalt über sie beschnitten werden: Dass man dafür jene Aktivistinnen, die genau das forderten, erst einmal wegsperrt, wirkt paradox, folgt jedoch einer gewissen Logik. Erstens muss die Reform, die viele jungen Menschen begeistert – sie ging auch mit viel mehr sozialer Freiheit einher –, von oben kommen: Die Jungen sollen wissen, wem sie zu verdanken haben, dass sie ins Konzert gehen können und nicht mehr von der Religionspolizei sekkiert werden.

Der 35-jährige Kronprinz, so schlecht sein Ruf in der demokratischen Welt sein mag, bleibt Hoffnungsträger von vielen. Zweitens wird mit der Erweiterung der Freiheiten genau deren Grenze aufgezeigt: Politische Freiheit ist im Reformpaket nicht enthalten. Und der Kronprinz muss letztendlich auch seine konservativen islamischen Kritiker rückversichern, die fürchten, im salafistischen Königreich tue sich Sodom und Gomorrha auf.

Die große Frage für viele Analysten war am Tag nach der Freilassung von Loujain al-Hathloul, wie viel deren orchestrierte Freilassung – sie war ja seit Ende Dezember klar – mit der Ankunft von Joe Biden im Weißen Haus zu tun hat: Seinem Vorgänger, Donald Trump, waren vor allem die Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien wichtig. Biden hat sich während des Wahlkampfs wiederholt sehr kritisch über Riad geäußert, nicht zuletzt über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Generalkonsulat in Istanbul. Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte vor ein paar Tagen, die USA erwarteten von Riad die Verbesserung seiner Menschenrechtsbilanz, ganz neue Töne also.

Milde mit Doppelstaatsbürgern

Vergangene Woche hatte Saudi-Arabien zwei amerikanisch-saudische Doppelstaatsbürger, Salah al-Haidar und Bader al-Ibrahim, die es ebenfalls mit Staatssicherheitsvorwürfen zu tun haben, gegen eine Kaution aus der Haft entlassen. Die sechsjährige Haftstrafe eines weiteren, des Arztes Walid Fitaihi, der unter Verdacht als Muslimbrüder-Sympathisant stand, wurde um die Hälfte reduziert, auch er geht frei. Von aktuellen Rechtsreformen profitiert auch der Neffe des im Jänner 2016 hingerichteten schiitischen Geistlichen Nimr Baqir al-Nimr: Ali Nimr wurde als Minderjähriger zum Tod verurteilt, das Urteil wird nun nicht mehr vollstreckt. Todesurteile sollen in Hinkunft überhaupt nur mehr bei Gewaltdelikten ausgesprochen werden, bisher hatte ein Anteil von etwa 40 Prozent Drogenkriminalität betroffen.

Das saudische "Rebranding" hat lange vor den Wahlen in den USA eingesetzt. Die Washington Post zitiert jedoch den Menschenrechtsanwalt Taha al-Hajji von ESOHR (European Saudi Organisation for Human Rights) mit der Meinung, dass Bidens Wahlsieg den Druck auf Riad stark erhöht habe.

Vor allem der Schwenk in der Jemen-Politik, wo die USA Saudi-Arabien die Unterstützung im Krieg gegen die Huthi-Rebellen entzogen haben, macht Riad Kopfzerbrechen. Am Mittwoch musste US-Außenminister Antony Blinken jedoch zum Telefon greifen, um seinen saudischen Amtskollegen, Prinz Faisal bin Farhad, der US-Solidarität zu versichern: Die Huthis hatten wieder einmal Ziele in Saudi-Arabien angegriffen. (Gudrun Harrer, 12.2.2021)