Dass bei dem Sturm radikaler Trump-Anhänger auf das US-Kapitol nicht noch deutlich mehr passiert ist, ist vermutlich nur einer Verkettung glücklicher Umstände zu verdanken – das zeigen auch neue Videos.

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Er habe erst jetzt begriffen, wie nah er der Gefahr gewesen sei, sagte Mitt Romney, nachdem die Aufnahmen einer Überwachungskamera über die Bildschirme im Senat gelaufen waren. Was er an Szenen der Gewalt gesehen habe, zerreiße ihm das Herz. "Es war auf überwältigende Weise schmerzlich und emotional", kommentierte er, was die Kläger im Impeachment-Prozess an Beweisen präsentierten.

Romney, der Geschäftsmann, den die Republikaner 2012 zu ihrem Präsidentschaftskandidaten kürten, war am frühen Nachmittag des 6. Jänner drauf und dran, in sein Verderben zu laufen. Aufgeputschte Anhänger Donald Trumps, viele von ihnen in Kampfmontur, hatten das Kapitol bereits gestürmt, nun hielten sie Ausschau nach Politikern, mit denen sie abrechnen konnten. Der Senat hatte seine Sitzung unterbrochen, man floh vor dem Mob, und im Labyrinth der Korridore ging Romney in die falsche Richtung. Niemand weiß, wie es ausgegangen wäre, wäre in dem Moment nicht der Polizist Eugene Goodman aufgetaucht und hätte dieser den Senator nicht an der Schulter gefasst und ihm bedeutet, dass er umkehren müsse.

Die Anklage zeigte erneut unveröffentlichtes Material.
Associated Press

Knapp entronnen

Goodman, seit zwölf Jahren Beamter der Capitol Police, hat später, auf sich allein gestellt, eine Gruppe von Marodeuren auf die falsche Fährte geführt – eine Stiege höher. Die Angreifer folgten ihm. Es ist wohl nur seiner Geistesgegenwart zu verdanken, dass nicht Schlimmeres passierte. Denn auf dem Flur, von dem er die Meute weglockte, lag das Zimmer, in das Mike Pence von seinen Leibwächtern geführt worden war. Der Vizepräsident, den der Mob hängen wollte, weil er sich weigerte, das Wahlergebnis durch verfassungswidrige Manöver zu kippen. Knapp war es auch für Chuck Schumer, den Senatsfraktionschef der Demokraten. Auch er lief, ohne es zu ahnen, direkt auf die Aufrührer zu, ehe er, von einem Polizisten gewarnt, in die entgegengesetzte Richtung rannte.

Das alles haben die Kläger, die sogenannten Impeachment-Manager, am Mittwoch im Senatsprozess gegen Trump dokumentiert, vieles mit Material, das bis dahin unter Verschluss war. "Ich kann nur hoffen, dass meine Kollegen offen dafür sind", appellierte Schumer an die große Mehrheit der Republikaner, die vor Verfahrensbeginn erkennen ließ, dass sie zu einem Freispruch für Trump tendiert.

Funk der Beamten

Marco Rubio, einer von ihnen, bescheinigte den Impeachment-Managern immerhin, eine beeindruckende Sammlung vorgelegt zu haben. "Dennoch glaube ich nicht, dass sich daraus ein Schuldspruch ergibt", schränkte er ein. Ein Präsident, der nicht mehr im Amt sei, könne seines Amtes nicht enthoben werden. So wollen sich auch die meisten seiner Parteifreunde aus der Affäre ziehen. Lisa Murkowski, eine Konservative, die auf Distanz zu Trump ist, sprach dagegen von "ziemlich erdrückenden" Beweisen.

Zu hören war, was Polizisten über Funk an ihre Zentrale durchgaben, bevor sie überrannt werden. "10-33!" Der Code "10-33" steht für eine Notsituation. Je länger die Beamten vergebens auf Verstärkung warteten, desto verzweifelter klangen die Hilferufe. Man hört, wie ein Assistent Nancy Pelosis ins Handy flüstert, dass draußen der Mob nach ihr suche und die Polizei bitte schnell kommen möge. Zuvor hatten sich acht Mitarbeiter der Parlamentspräsidentin in einem Raum mit einer doppelten Tür verbarrikadiert. Einem der Angreifer gelingt es, die vordere Tür aufzubrechen. Da die hintere standhält, zieht er weiter.

Zuschauer beim Brand

Richard Barnett, ein 60-Jähriger aus Arkansas, der es sich, Füße auf dem Tisch, in ihrem Sessel bequem macht, trägt am Gürtel einen Elektroschocker. Auch dieses Detail hatte man bisher übersehen. "Wir suchten nach Nancy Pelosi, um ihr eine Kugel in ihr verdammtes Hirn zu jagen", zitiert die Anklage aus einem Vernehmungsprotokoll des FBI. "Mike Pence wäre getötet worden, hätte sich die Gelegenheit ergeben", steht in einem anderen.

Präsident Trump, fasst es die Demokratin Stacey Plaskett zusammen, habe ein Ziel auf den Rücken dieser Politiker gemalt. Joe Neguse, ein Abgeordneter aus Colorado, setzt sich mit dem Argument auseinander, wonach Trump nur von seinem Recht auf Redefreiheit Gebrauch gemacht habe, als er seine Anhänger aufforderte, zum Parlament zu marschieren und Stärke zu zeigen. "Nur eine Rede? Wann hat eine Rede in unserer Geschichte schon einmal dazu geführt, dass das Kapitol gestürmt wird, mit Waffen?" Jamie Raskin, der Chefankläger, vergleicht es mit dem Fall eines Feuerwehrchefs, den seine Kommune für das Löschen von Bränden bezahle und der Marodeure anstifte, das Theater der Stadt in Brand zu stecken. Und der dann entzückt zuschaue. (Frank Herrmann aus Washington, 11.2.2021)