Gentleman-Räuber in neuem Gewand: Was hat der von Omar Sy dargestellte Assane Diop alias Luis Perenna alias Arsène Lupin mit seinem literarischen Ahnherrn zu tun?

Foto: Netflix / Emmanuel Guimier

Der Name ist Diop, Assane Diop. Kurzcharakteristik: schwarzer Franzose mittleren Alters, senegalesischer Migrationshintergrund, kam mit seinem Vater vor Jahrzehnten nach Frankreich. Vater verdingte sich bei der reichen Pellegrini-Sippe als Chauffeur und beging Selbstmord, nachdem ihn das Familienoberhaupt der Pellegrinis mit einer falschen Anschuldigung ins Gefängnis gebracht hatte. 25 Jahre danach sinnt Assane Diop auf Vergeltung.

Für seinen Rachefeldzug identifiziert er sich mit Arsène Lupin, einem (weißen) französischen Kriminalromanhelden, mit dem der 1864 in Rouen geborene Schriftsteller Maurice Leblanc von der Belle Époque an bis zu seinem Tod 1941 Erfolge feierte.

Diop, der jüngste Lupin-Nachfolger, betreibt seine Identifikation mit solchem Engagement, dass er geradezu zur Neuinkarnation seines Vorbilds wird. Gleich in der ersten Folge verabschiedet er sich mit den Worten "Je suis Lupin" (vorübergehend) von den Zusehern.

"Da weiß man, was man hat"-Gefühl

Bei einer solch ungewöhnlichen Fiktion stellt sich doch die Frage, warum ein mit veränderter Hautfarbe auftretender Meisterdieb aus dem frühen 20. Jahrhundert im frühen 21. internationale Triumphe als Serienheld feiert.

Was hat der von Omar Sy dargestellte Assane Diop alias Luis Perenna alias Arsène Lupin mit seinem literarischen Ahnherrn zu tun? Und was haben uns die Romane von Leblanc heute überhaupt noch zu sagen?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass Serienmacher angesichts des immensen Ausstoßes von und der Konkurrenz zwischen Netflix, Amazon, Disney+ etc. auf Bekanntes zurückgreifen. Um Orientierung in die drohende Totalunübersichtlichkeit der Seriengalaxien zu bringen, knüpfen die Autoren gern an Referenzwerte aus dem Reservoir gewohnter hoch- und trivialkultureller Hervorbringungen an. Titel wie Hannibal, Sherlock Holmes oder eben Lupin vermitteln dem gestressten Konsumenten ein beruhigendes "Da weiß man, was man hat"-Gefühl.

Implizite Kritik

Die erste Lupin-Staffel mit ihren fünf Folgen hat auf Netflix glanzvoll reüssiert und andere populäre Produktionen wie The Queen’s Gambit auf die Plätze verwiesen. Die medienanalytisch anspruchsvolle französische Programmzeitschrift Télérama, verwundert über den Erfolg Lupins auf dem US-Markt, hat den in New York lehrenden Literatur- und Filmspezialisten Ludovic Cortade nach den Gründen befragt.

Cortade meint, dass der wandlungsfähige Gentleman-Räuber eine Identifikationsfigur für viele Amerikaner sei, die sich selbst erfolgreich neu erfinden wollen. Diop/Lupin braucht gerade einmal eine Dreiviertelstunde, um von seiner Rolle als Putzkraft im Louvre mit dem Diebstahl eines Colliers in die Millionärskaste emporzusteigen.

Außerdem, so Cortade, funktioniere die Serie kraft ihrer implizit kritischen Auseinandersetzung mit (nicht nur) amerikanischen Gegenwartsproblemen: wachsende soziale Differenzen, anhaltender Rassismus.

Wagenladung spannungsfördernder Tricks

Leblanc, Sohn eines vermögenden normannischen Reeders, schlug eine andere Karriere als sein Vater ein und versuchte sich als Journalist und Schriftsteller in Paris. Mit ersten Lupin-Kurzgeschichten (1905) und einem ersten Lupin-Roman (1907) landet er einen Coup, der ihn zur Verfertigung zwanzig weiterer Romane motiviert.

Bei der Erfindung seines Helden orientiert sich Leblanc ungeniert an Sherlock Holmes, dem Meisterdetektiv aller Meisterdetektive. Gleich in seinem zweiten Roman lässt er Lupin gegen einen namentlich albern verballhornten Holmes antreten (Arsène Lupin contre Herlock Sholmès, 1908). Sir Arthur Conan Doyle war über die ungefragte Inanspruchnahme seiner Figur jenseits des Ärmelkanals not amused.

Die Lektüre der 21 Lupin-Romane ist kein reines Vergnügen, und manchmal auch gar keines (der Autor dieser Zeilen hat sich einst für ein Unidiplom an Leblancs Œuvre abgearbeitet und spricht aus Erfahrung). Literatisch reicht Leblanc bei weitem nicht an Conan Doyle oder seine Landsleute Alexandre Dumas oder Victor Hugo heran, bei denen er großzügig abgeschaut hat.

Stilistisch verraten die Lupin-Romane ihre Herkunft aus dem "Roman Feuilleton", dem Fortsetzungsroman in Zeitungen, und wie andere Meister dieser Gattung hielt auch Leblanc seine Leser mit einer Wagenladung spannungsfördernder Tricks bei der Stange: Cliffhanger, geheimnisvolle Schauplätze auf Schlössern oder entlegenen Inseln, mysteriöse Damen wie die scheinbar mit ewiger Jugend begabte Gräfin von Cagliostro, bitterböse Bösewichte und natürlich ein Held in tausend Gestalten.

Penetrante Selbstgefälligkeit

Dieses Arsenal hat gelegentlich durchaus Charme. Auf der Langstrecke allerdings stellt sich bald der Eindruck einer stereotypen Wiederkehr des Gleichen ein: Plus ça change, plus c’est la même chose. Die unzähligen Identitätswechsel Lupins sind ebenso ermüdend wie seine penetrante Selbstgefälligkeit, ob derer er an keinem Spiegel vorbeikann, ohne seine "elegante Silhouette" zu bewundern ("Es fehlt dir, Arsène, weder an Intuition noch an Intelligenz"). Ungeachtet seines outrierten Gebarens bleibt der Charakter Lupins eigentümlich flach.

Er ist mal Anarchist, mal eingebildeter Weltherrscher, mal habgieriger Spießer ("Meine Börse, mein Portefeuille, meine Uhr – Flossen weg!"). Vielleicht hat gerade diese inhaltliche Leere dazu beigetragen, Lupin zu einer beliebten, weil beliebig gestaltbaren filmischen Projektionsfläche werden zu lassen. Unzählige Verfilmungen (Arsène Lupin contre Herlock Sholmès bereits 1908) haben zur Imagebildung Lupins vermutlich mehr beigetragen als Leblancs Romane selbst.

Und Lupin hat seine finsteren Momente. Bereits 1970 schrieb der Romanist Ulrich Schulz-Buschhaus, dass die Serie eine "kompakte ideologische Botschaft" vermittelt. Das tut sie in der Tat. Vor allem in den Jahren vor dem und im Ersten Weltkrieg erweist sich Leblanc als strammer Nationalist, der Lupin rabiat gegen deutsche Feinde wie den "Superboche" Vorski von Hohenzollern ankämpfen und dabei kein antideutsches Klischee auslässt.

Auch gegenüber Herkömmlingen aus den Kolonien ist Lupin nicht übertrieben sensibel: Im Roman Le triangle d’Or (1917) wird Ya-Bon, ein kriegsversehrter Franko-Senegalese, von Lupins Freund Patrice Belval unkommentiert behandelt wie der letzte Dreck: "Schwachkopf", "dreifacher Idiot" "Du siehst alles immer schwarz, wie ein Neger" usf.

Behübschte Vergangenheit

Vor dieser Folie mutet es interessant an, wenn die Lupin-Reinkarnation just mit einem schwarzen Schauspieler besetzt wird und, im "wirklichen" Leben eher selten, sich ein senegalesischer Migrantensohn zum großen Machatschek mausert.

Vielleicht ist diese Besetzung als symbolischer Racheakt zu verstehen, den eine utopieskeptische Gegenwartsgesellschaft an einer bösen Vergangenheit vollzieht. Darin ähnelt Lupin den Alternate-History-Filmen eines Quentin Tarantino, wo die Vernichtungsmaschinerie der Nazis, die US-Sklavenhaltergesellschaft oder die mörderische Family von Charles Manson a posteriori aus dem Weg geräumt werden.

Die Zukunft gehört ohnehin einigen wenigen Multimilliardären, aber an der politisch korrekten Behübschung der Vergangenheit wird uns niemand hindern. Ob das Emanzipation und historischen Fortschritt bedeutet, ist fraglich. Unbestritten ist allerdings, dass Lupin zeigt, wie man eine brillante Fernsehserie – und wie man Geschichte macht. (Christoph Winder, ALBUM, 13.2.2021)