Am 3. März feiert Elisabeth Leopold ihren 95. Geburtstag. Fast drei Jahre investierten sie, Stefan Kutzenberger sowie die Provenienzforscher Sonja Niederacher und Michael Wladika in die Neuauflage der 1972 von Rudolf Leopold (1925-2010) publizierten Schiele-Monografie.

Foto: Leopold Museum

Wenn Elisabeth Leopold am 3. März ihren 95. Geburtstag feiert, dann hat sie sich das schönste Geschenk wohl schon selbst bereitet: Mitte Dezember 2020 erschien im Hirmer-Verlag eine Neuauflage der von Rudolf Leopold verfassten und 1972 publizierten Monografie Egon Schiele. Gemälde – Aquarelle – Zeichnungen: 736 Seiten und 931 Abbildungen stark, 5,3 Kilogramm wuchtig, die symbolische Bedeutung wiegt ungleich schwerer.

Fachliteratur und Werkverzeichnisse gebe es zu Egon Schiele ja mittlerweile genügend andere: etwa Tobias Natters Werkverzeichnis für Gemälde von 1909 bis 1918 (Taschen-Verlag) von 2017 und vor allem das seit 2018 offen zugängliche und laufend aktualisierte Online-Werkverzeichnis von Jane Kallir.

Weisheit vs. Schönheit

Elisabeth Leopold sieht das anders. Die einstige Auflage von je 1000 Exemplaren in Deutsch und Englisch war schnell vergriffen, antiquarisch musste man zuletzt bis zu 500 Euro hinblättern. Natters Publikation stünde, mit all den großen Detailaufnahmen, für Schönheit, die ihre wiederum für Weisheit. Die Kennerschaft ihres 2010 verstorbenen Mannes, mit der er die Stilentwicklung in fünf Kapiteln und Werkphasen anhand von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen analysierte und sein "kritisches Werkverzeichnis" vorlegte, verdient eine Neuveröffentlichung. Punkt.

Rudolf Leopold erfasste "Wiese mit großem Baum und Marterl" in seinem Schiele-Werkverzeichnis. Mittlerweile gibt es Zweifel an der Echtheit. 2017 scheiterte ein Verkauf beim Auktionshaus "im Kinsky".
Foto: im Kinsky

Diese Publikation ist eine Hommage an den frenetischen Sammler, der an diesem einst unterschätzten Künstler einen Narren gefressen hatte wie kein anderer. Vom Jahrzehnte währenden Kaufrausch zeugt die mit 220 Werken weltweit umfangreichste und im Leopold-Museum öffentlich zugängliche Schiele-Sammlung. Die im Besitz der Familie befindlichen Arbeiten sind da noch gar nicht einkalkuliert.

Leopold vs. Kallir

Mit der Monografie hatte Rudolf Leopold 1972 nicht nur ein Standardwerk verfasst, sondern auch sein Revier markiert: adressiert an seinen Erzfeind Otto Kallir-Nirenstein – den in Wien geborenen Kunsthistoriker und Galeristen, der nach dem "Anschluss" zuerst nach Frankreich und später in die USA geflohen war. 1939 gründete dieser in New York die Galerie St. Etienne, wo 1941 die erste Schiele-Ausstellung stattfand, die die Anerkennung des Künstlers außerhalb seiner Heimat ebnete.

Kallir-Nirenstein gilt – Leopold hin oder her – als früher Pionier der Schiele-Forschung. 1923 eröffnete er seine "Neue Galerie" (Wien) mit einer Schiele gewidmeten Ausstellung, fünf Jahre später initiierte er anlässlich des zehnten Todestags des Malers die erste retrospektive Schau, die auf zwei Standorten verteilt in seiner Galerie und in den Räumlichkeiten des Wiener Hagenbundes stattfand.

1930 hatte Kallir-Nirenstein das erste Werkverzeichnis veröffentlicht, dem 1966 eine überarbeitete Fassung folgte. Daran knüpfte dessen Enkelin Jane Kallir, die bis heute die Galerie in New York betreibt, 1990 und 1998 (2. überarbeitete Auflage) mit einem Catalogue raisonné an, der die Gemälde, mehr als 2500 Arbeiten auf Papier und Druckgrafiken inkludierte. International gilt sie als die Expertin für Schiele, vor allem wenn es um Fragen der Authentifizierung geht.

Um Provenienzangaben ergänzt

Rudolf Leopolds Urteil fand dagegen nur eine auf Österreich beschränkte Anerkennung. Unstimmigkeiten waren absehbar, und sie bestehen bis heute mit anderen Gutachtern wie Herbert Giese, Fritz Koreny oder auch Elisabeth Leopold. Zwei solcher Beispiele sind in der Neuauflage dokumentiert. Aber dazu später.

Bereits kurz nach Erscheinen der Erstauflage hatte Rudolf Leopold gewissermaßen im Hinblick auf eine spätere zweite Auflage mit der Überarbeitung begonnen. Diese handschriftlichen Anmerkungen wurden nun unter der Leitung von Stefan Kutzenberger – dem Leopold-Museum viele Jahre als Texter, Bibliothekar, Kunstvermittler und Kurator verbunden – eingearbeitet. Angaben zur Ausstellungsvita der einzelnen Werke fehlen bisher ebenso wie Literaturverweise.

Eine wesentliche Ergänzung gab es jedoch bei den Informationen zu ehemaligen und aktuellen Eigentümern der erfassten Gemälde. Verantwortlich dafür: die Provenienzforscher Sonja Niederacher und Michael Wladika, die diese Informationen um ihre Ergebnisse aus der vom Bundeskanzleramt beauftragten Forschung des Museumsbestands sowie Jane Kallirs erfasste Angaben ergänzten.

Annäherung

Die Ölskizze, die ein Segelboot und Fischerboote im Hafen von Triest zeigt, war der Forschung bis 2019 unbekannt. Nach einer Begutachtung im Original verweigerte Jane Kallir die Aufnahme in ihr Werkverzeichnis. Elisabeth Leopold ist dagegen von der Echtheit überzeugt.
Foto: Hassfurther

Auf wissenschaftlicher Ebene fand jetzt folglich eine erste Form von Annäherung der ehemals verfeindeten Lager statt. Denn der Werkteil wurde um rund 40 Arbeiten – mehrheitlich ohne Illustrationen – ergänzt, die Rudolf Leopold noch nicht kannte und die Kallir nach 1972 bestätigte. Im Falle eines Bildes, das Kallir einst mit Vorbehalt von Leopold übernommen hatte, dem sie jedoch seit der zwischenzeitlichen Begutachtung im Original die Authentifizierung verweigert, wurden "Zweifel an der Echtheit" vermerkt.

Dabei handelt es sich um das Gemälde Wiese mit großem Baum und Marterl. 1994 hatte es die damals noch unter "Wiener Kunst Auktionen" firmierende Kinsky-Mannschaft für rund 52.000 Euro (exkl. Aufgeld) als Werk Egon Schieles versteigert. Im Dezember 2017 gelangte es, nun von einem Gutachten Herbert Gieses begleitet, neuerlich zur Auktion. Der Schätzwert belief sich auf 35.000 bis 70.000 Euro. Die Signatur und Datierung ("1907") seien zwar von fremder Hand, das Bild selbst hält er aber für ein Original von der Hand Egon Schieles, wie Giese aktuell bekräftigt. Es blieb unverkauft.

Ambivalenz in der Familie

Ein ähnliches Schicksal ereilte vergangenes Jahr die Darstellung eines Segelboots und kleiner Fischerboote im Hafen von Triest. Die Ölskizze war der Forschung bis vor kurzem unbekannt. Kallir verweigerte, wie stets, eine Begutachtung, ohne das Bild im Original gesehen zu haben. Ausgestattet mit einem Gutachten von Fritz Koreny, der es in das Jahr 1907 datierte, gelangte es im Dezember des gleichen Jahres bei Wolfdietrich Hassfurther zur Versteigerung und erzielte 498.800 Euro (inkl. Aufgeld).

Als Kallir das Werk im Februar 2020 nachträglich in Augenschein nahm und eine Aufnahme in ihr Werkverzeichnis ablehnte, trat der Kunde von seinem Kauf zurück. Im Juli 2020 bot es Hassfurther neuerlich zum Schätzwert von 150.000 bis 250.000 Euro an. Vergeblich. Es soll später für 150.000 Euro verkauft worden sein. Ein veritabler Preisunterschied zu dem vorangegangenen Auktionsergebnis jedenfalls. Das Beispiel zeigt, bei wem die Deutungshoheit auf dem internationalen Kunstmarkt liegt: Es braucht Jane Kallirs Segen.

Auf ihr Urteil reagiert man innerhalb der Familie Leopold allerdings ambivalent. Elisabeth Leopold nahm das Werk – ohne Abbildung – in die Neuauflage auf. Sie ist, anders als Kallir, von der Echtheit überzeugt. Ihr Sohn sieht das offenbar etwas anders. Noch im Dezember 2019 gehörte Diethard Leopold zu den Unterbietern, wie er auf Anfrage bestätigt. So um die 300.000 Euro habe er für das Motiv geboten, das ihm für seine Privatsammlung gefallen hätte. Im Sommer vergangenen Jahres war sein Interesse bereits verflogen. (Olga Kronsteiner, 14.2.2021)