Während das Geschäft in der Skischule stagniert, ist Kristian Ghedina wie eh und je getrieben von der Lust nach Adrenalin.

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Cortina d'Ampezzo – "Bitte um leichte Fragen, weil mein Deutsch ist nicht so gut", sagt der WM-Botschafter und bis 2006 im Weltcup aktive Skirennläufer Kristian Ghedina aus Cortina. "Dass die WM stattfindet und dass wir Olympia 2026 bekommen haben, ist perfekt für uns, weil die Stadt und die Hotels Renovierungen benötigen. Es ist schon ein bisschen was passiert, aber es fehlt noch viel. Cortina hat eines der schönsten Skigebiete in den Dolomiten, weil wir ein offenes Tal mit schönen Bergen haben. Aber die Touristen wollen mehr. Wir brauchen noch ein Hallenbad und eine Sporthalle. Die Lifte wurden modernisiert, die Strecken auch. Aber wir müssen noch viel arbeiten. Bei den Straßen wurde noch zu wenig gemacht. Ich weiß nicht genau, wohin genau das Geld gegangen ist, aber es wurde verbraucht."

Leere Versprechen

Ob Cortina noch so mondän wie früher sei? Das Telefon läutet. "Pause bitte". Nach dem Gespräch: "Ohne Handy kannst du nicht mehr leben, das ist ein Stress, ständig läutet es. Wo sind wir stehen geblieben? Ah, dolce vita, bello, ja, ja. Alle müssen das neueste Model haben." Das Telefon läutet erneut. "Katharina, meine Schwester." Corona habe auch Cortina schwer getroffen. "Die Leute fehlen. Wir müssen alle arbeiten, aber wenn Lifte, Geschäfte und Restaurants geschlossen haben, dann ist das ein Wahnsinn. Alle waren in Sorge. In Italien heißt es von der Regierung, alle bekommen Geld, aber wir kriegen nichts. In der Skischule verdienen wir jetzt nur die Hälfte. Aber wir müssen auch die Miete bezahlen. Wir hoffen, dass wir bald wieder ein normales Leben haben."

Der Auftritt als WM-Botschafter beim Karneval in Venedig im Februar 2020 war maßgeschneidert für den Spektakel liebenden Kristian Ghedina.
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Ghedina ist mit 51 erstmals Vater geworden. Sein Sohn ist fünf Monate alt. Stolz zeigt er ein Video von seinem Wonneproppen Natan am Handy. "Ich denke, das größte Problem sind die Smartphones und die sozialen Medien. Alle denken nur daran, möglichst viele Likes zu bekommen. Es fehlt an Kommunikation. Es geht nur mehr darum, in die Kamera zu lachen. Wenn man jemanden fragt, hey Giovanni, hey Roberto, dann hört er das nicht, weil er so vertieft in das Handy ist, wie ein Kind vor dem Fernseher."

Schule für das Leben

"Meine Freundin sagt, ich soll unserem Sohn kein Fernsehen und kein Handy zeigen." Es klingelt wieder. "Franco, … ciao, ciao, ciao. Für die Kinder ist wichtig, dass sie Sport machen. Sport ist die Schule für das Leben. Du lernst Respekt, Professionalität, Disziplin, Gruppenverhalten. Das alles ist später wichtig." Ob er das Rennfahren vermisse? "Ich brauche Adrenalin. Autorennfahren macht mir großen Spaß.

Meine Freundin wirft mir immer vor, dass ich immer im Rennen sein muss. Ich muss auch beim Spazierengehen immer einen Meter vor ihr sein. Ich muss immer als Erster ins Geschäft kommen. Ich habe das von meiner Mutter. Sie ist tödlich verunglückt, als ich 15 war. Sie ist vom Monte Cristallo 600 Meter in eine Schlucht gestürzt. Sie war immer sehr fröhlich, hatte einen Charakter wie ich. Mein Vater war eher wie ein Deutscher oder Österreicher, war vorsichtig, hat gebremst."

Immer wieder Ghedina

Der Name Ghedina scheint in Cortina häufig, geradezu omnipräsent, zu sein. "Es ist die zweitgrößte Familie in Cortina, aber es sind nicht alle verwandt. Der Bürgermeister heißt auch Ghedina, aber ist nicht mit mir verwandt. Auch mein Großvater mütterlicher- und meine Großmutter väterlicherseits hießen Ghedina. Vielleicht waren wir vor 500 Jahren alle eine Familie. Viele sagen, du hast viele Geschäfte, aber die gehören nicht alle mir. Ich habe eine Pizzeria, die Pizzeria Ristorante Cinque Torri. Es gibt auch ein Bekleidungsgeschäft Ghedina, eine Pasticceria, die einem Cousin meines Vaters gehört. Wir haben eine Bäckerei in der Inustriezone, mein Vater und Onkel haben in einer Bäckerei gearbeitet.

Meine Mutter war die erste Skilehrerin hier. Und diese Skischule war die erste in Cortina. Wir sind eine ausgezeichnete Skischule, sind Profis. Unterricht bei uns kostet fast dreimal so viel wie normal. Wenn ich einen Motorradkurs mit Valentino Rossi machen will, dann kostet das vielleicht 10.000 Euro. Sechs Stunden mit mir kosten 850 Euro." Nur einmal sei er mit Anfängern und einmal mit einem 70-Jährigen unterwegs gewesen. "Mit diesen Leuten will ich nicht mehr, ich nehme nur Leute, die Minimum 100 km/h fahren." Nun lacht er herzhaft. "Wenn einer kommt, will er normalerweise nur die Geschichte hören. Alle fragen mich: wie war die Grätsche in Kitzbühel, Madonna? Ich habe auch 13 Weltcuprennen gewonnen. Das ist nicht nichts. Einmal ist schon schwierig."

Andreas Baumann

Kritik an Entwicklung des Abfahrtssports

Werde heutzutage zu wenig für die Sicherheit der Athleten unternommen? "Als ich anfing, gab es noch Holzzäune am Streckenrand. Bei einem Sturz hattest du Probleme. Dann sind die Fangnetze gekommen, sie wurden immer besser. Aber es ist unmöglich, diesen Sport 100 Prozent sicher zu machen. Ich finde es nicht gut, wenn ein Sprung wie in Kitzbühel verändert wird, wenn zwei Athleten einen Fehler machen und stürzen, während die anderen 70 Rennläufer kein Problem haben. Das ist nicht gut für den Abfahrtssport. Es ist nicht gut, wenn man nur auf Sicherheit achtet. Die Leute brauchen auch Spektakel. Und du musst wissen, dass der Abfahrtssport" – Wieder läutet es, Ghedina lehnt den Anruf ab – "gefährlich ist. Das Risiko im Rennsport ist hoch, aber ich kann auch von diesem Stuhl fallen, mir dem Kopf anschlagen und sterben.

Sicherheit für die Athleten ist vorrangig, aber man darf nicht alles für die Sicherheit opfern. Als zum Beispiel vor fünf Jahren in Kitzbühel Aksel Lund Svindal, Hannes Reichelt und Georg Streitberger stürzten, gab es ein brutales Chaos. Als ich angefangen habe, sind in Gröden auf den Kamelbuckeln mehrere Rennläufer, darunter Peter Müller, Michael Mair und Gerhard Pfaffenbichler so schwer gestürzt, dass ihre Saison beendet war. Da hat niemand etwas gesagt. Und die Kamelbuckel wurden nicht verändert. Heute sucht man Schuldige, um sie zur Verantwortung zu ziehen. Fis und Organisatoren haben Angst, dass etwas passiert.

"Du bist verrückt ..."

Laut Ghedina passieren Verletzungen, "weil Skier und Kanten so extrem geworden sind. Du brauchst viel Kraft und darfst keine Fehler machen. Wenn du einen machst, sind die Knie oft kaputt. Aber du musst dich vorher entscheiden, ob du es riskierst oder nicht. Zu mir haben alle gesagt, du bist verrückt, du spinnst, du riskierst zu viel. Aber ich war in meiner Karriere selten verletzt. Ich musste mir nur mit 20 einen Meniskus operieren lassen. Und ich habe Probleme mit dem Rücken, aber das ist normal für einen Skifahrer." Es klingelt erneut. "Ah, Madonna. Es ist gleich sechs. Ich habe noch fünf Minuten, dann muss ich... Danke, ciao, ciao." Und schon ist Ghedina draußen bei der Tür und läuft zum nächsten Termin. (Thomas Hirner, 13.2.2021)