Gabriele Fischer leitet die Drogenambulanz der Med-Uni-Wien.

Foto: Med-Uni Wien

Amazon hat den Film von 1981 als Vorlage für die Serie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" genommen.

Foto: Amazon Prime Video

Die sechs Folgen mit Jana McKinnon in der Hauptrolle als Christiane F. sind ab 19. Februar auf Amazon Prime Video abrufbar.

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Kann ein Film, eine Serie eine abschreckende Wirkung haben? Die Suchtexpertin Gabriele Fischer glaubt das nicht. Sowohl der Film aus dem Jahr 1981 als auch die Serie ab Freitag, 19. Februar bei Amazon Prime können Jugendliche nicht davon abhalten, Drogen zu nehmen. Fischer leitet an der Med-Uni Wien die Drogenambulanz und hat sich für das Gespräch mit dem STANDARD alle Folgen der neuen Fassung angesehen. Die Expertin würdigt das tolle Schauspiel, die Inszenierung des Drogenrauschs als "unglaubliches Glücksgefühl" gefällt ihr aber weniger. Heroin als Suchtmittel ist unter Jugendlichen heute anderen Substanzen gewichen.

STANDARD: Wie hat sich der Drogenkonsum im Vergleich zu früher verändert?

Fischer: In den 1970er-Jahren wurden unter Jugendlichen hauptsächlich Opiate als Drogen konsumiert. Gegenwärtig sind wir mit einer anderen Suchtkultur konfrontiert. Im Mittelpunkt stehen psychoaktivierende und sedierende Substanzen. Das Muster hat sich über die Jahrzehnte gewandelt. Die Vulnerabilität, suchtkrank zu werden, ist aber gleich geblieben. In der Serie sieht man sehr gut, dass es nicht nur um eine "Elendsverwahrlosung" geht, sondern auch um "Wohlstandsverwahrlosung" – einsame Kinder aus "reichem" Haus.

STANDARD: Eine der härtesten Szenen im Original ist der kalte Entzug von Christiane und Detlef: Was passiert in einer solchen Situation?

Fischer: Die Szenen zeigen das körperliche Erscheinungsbild bei einem Entzug, und so wie es gezeigt wird, trifft das sehr auf Opiate zu. Andere Suchtmittel wie Psychostimulanzien zeigen ein ganz anderes Bild. Der Opiatentzug basiert auf der physiologischen Grundlage, dass Heroin im Körper, speziell im Gehirn, an Rezeptoren andockt und wenn diese durch das Fehlen von Heroin unbesetzt sind, führt das zu körperlichen Beschwerden. Das sieht man sehr gut in der Serie mit Niesen, Gähnen, Tränen bis hin zu Muskelkrämpfen und Erbrechen. Ein wichtiger Punkt ist, allen zu vergegenwärtigen, dass es nicht vorbei ist, wenn das Suchtmittel nicht mehr im Körper ist. Es ist eine sogenannte Entgiftung geschehen, aber die Suchterkrankung bleibt bestehen. Im therapeutischen Zugang ist unser Ziel, die abstinenten Phasen zu verlängern und die Rückfälle in ihrer Intensität zu reduzieren. Rückfällig zu werden ist kein Versagen von Patienten. Der Rückfall ist Charakteristikum des Verlaufs einer Suchterkrankung.

STANDARD: Die Visualisierungen vom Drogenrausch sind in der Serie beeindruckender als im Film. Wir sehen Menschen in Wasser eintauchen oder Wände sich verschieben. Glauben Sie, solche flippigen Effekte haben eine Wirkung auf die Zuschauerschaft?

Fischer: Ich muss sagen, dass ich diese Effekte großartig finde. In der Bewertung bin ich allerdings etwas ambivalent. Die Darstellung, was passiert, wenn man Heroin konsumiert, dass sich ein "unglaubliches Glücksgefühl" einstellt, hat mich erschreckt, und ich hoffe, dass das keine stimulierende Wirkung auf Jugendliche hat, die besonders im Lockdown sehr empfänglich sein könnten.

STANDARD: Wie wirken sich die Corona-Pandemie und vor allem der Lockdown auf den Drogenkonsum aus?

Fischer: Wir müssen wirklich zwischen der Zeit vor dem ersten Lockdown und der Zeit jetzt nach den multiplen Lockdowns unterscheiden. Wir beobachten, dass es im Rahmen dieser Covid-Pandemie bei alkoholkranken Menschen zu einer Verschlechterung kommt. Ich sehe das mit einer großen Dramatik. Während man früher in einer Tagesstruktur gezielt das Verhalten therapeutisch bearbeiten konnte – wann beginnt man zu trinken, was trinkt man, wie geht man damit um –, beginnen durch die Unstrukturiertheit die Leute häufiger schon in der Früh zu trinken. Im Bereich der Opiate ist eine ziemliche Stabilisierung zu beobachten – nicht nur in Österreich, sondern generell in Europa. Psychostimulanzien sind am Markt, diese werden zu Hause konsumiert, sie werden wesentlich über Internet und diverse Deliveryservices gebracht. Das scheint zu florieren. Die Corona-Einschränkungen der Regierung scheinen unter Stimulanzieneinfluss weniger eingehalten werden zu können.

STANDARD: Wie versuchen Sie den Menschen zu helfen?

Fischer: Schwierig, weil die Jugendlichen meist keine Einsicht in die Problematik haben. Wir sind damit konfrontiert, dass Eltern häufig die größere Motivation haben, dass ihr Sohn oder ihre Tochter zur Behandlung kommt. Deshalb geht es zunächst darum, möglichst niederschwellige Anlaufstellen zu bieten. Von zentraler Bedeutung ist aber die Suchtprävention, die schon im Kindergarten beginnen sollte.

STANDARD: Empfehlen Sie "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo"?

Fischer: Ich finde es gut, den Film auf sechs Stunden auszudehnen. Die Schauspieler sind großartig. Was mir weniger gefallen hat, ist die glorifizierende Wirkung, was beim Rausch passiert. Junge Erwachsene mit Suchtproblemen sollten dazu angeregt werden, die Hemmung abzulegen und einen Facharzt für Psychiatrie aufzusuchen. Es ist wichtig, dieses Stigma abzubauen. Die Suchterkrankung ist eine sehr schwere Erkrankung. Bitte haben Sie keine Scheu, fühlen Sie sich nicht stigmatisiert. Lassen Sie sich helfen. (Doris Priesching, 13.2.2021)

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