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Für Kanzler Kurz lief es lange Zeit rosig – jetzt ist er geballt mit Problemen konfrontiert.

Foto: Picturedesk / Georges Schneider

Die Casinos-Affäre rückt näher ans Zentrum der Macht. Zwar stehen in der Causa um Absprachen zwischen Politik und Glücksspielbranche schon länger ÖVP-Protagonisten im Fokus. Doch jetzt stößt die Staatsanwaltschaft in die höchste Ebene vor. Unter den Beschuldigten findet sich mit Gernot Blümel eine Schlüsselfigur der Regierung – und einer der engsten Vertrauten von Kanzler Sebastian Kurz.

Am Donnerstag stellten sich die Ermittler mit einer Hausdurchsuchung beim amtierenden Finanzminister ein. Das gab es noch nie in der Geschichte der Zweiten Republik. Wird es nach anhaltend rosigen Zeiten gerade politisch eng für die Türkisen?

Die Opposition fordert geschlossen Blümels Rücktritt. "Das geht sich nicht mehr aus", befinden die Neos. Die FPÖ stellt fest: Wenn der Finanzminister nicht geht, gerät der Kanzler in die Bredouille. Die SPÖ sieht gar schon das "türkise Kartenhaus" einstürzen.

Schaden ist angerichtet

So weit ist es natürlich nicht. Bis dato liegt gegen Blümel lediglich ein Verdacht vor, der sich genauso gut in Luft auflösen kann. Doch politisch ist aus Perspektive der Kanzlerpartei der Schaden schon angerichtet.

Denn die ÖVP wird nun in kurzer Zeit schon zum wiederholten Mal in die Defensive gedrängt: Im Jänner trat die türkise Arbeitsministerin zurück. Kurz’ Innenminister Karl Nehammer steht wegen Fehlern in der Terrorbekämpfung, Corona-Demonstrationen und des maroden Verfassungsschutzes unter Beschuss.

Gerade haben Kanzler und Gesundheitsminister einen Schaukampf mit Günther Platter, dem schwarzen Landeshauptmann von Tirol, ausgetragen. Und jetzt die Causa Blümel – es lief wirklich schon besser für Kurz.

Erstmals nur Passagier

Der Mann an der Spitze ist das nicht gewöhnt. Von der siegbringenden Antiausländerkampagne über die türkis-blaue Machtübernahme bis zum Wechsel zu Grün: Ehe die Corona-Pandemie übers Land hereinbrach, war es meist Kurz selbst, der die Themen vorgab, über die er sprechen will. "Nun aber", konstatiert der Politikberater Thomas Hofer, "ist er erstmals in seiner Karriere nur Passagier." Auch die Volkspartei erlebe "ein Seuchenjahr".

Am Beginn des heurigen Negativlaufs stand eine Personalie. Wie bei Blümel war es auch bei Christine Aschbacher das Vertrauensverhältnis zum Kanzler, das den Weg ins Regierungsamt geebnet hatte. Aus der Affäre um die peinliche Doktorarbeit der mittlerweile abgetretenen Arbeitsministerin fand Kurz noch einen eleganten Ausweg. Kaum jemand wird bestreiten, dass Aschbachers Nachfolger, der Ökonom Martin Kocher, mehr Kompetenz ins Ressort trägt.

Aus anderen Nöten ließ sich hingegen keine Tugend machen. Als die Südafrika-Mutation des Coronavirus in Tirol um sich zu greifen begann, stand Kurz vor einer Wahl, bei der er nur verlieren konnte. Die eigenen Parteifreunde und Wählerschichten im heiligen Land mit hartem Durchgriff verprellen? Oder die Autorität als Kanzler aufs Spiel setzen?

Zu spät, zu lückenhaft

Kurz entschied sich für ersteres Übel. Die Regierung setzte, nach Tagen des Gezerres, durch, dass Tirol zu einer Art Sperrzone erklärt wurde – und dennoch steht ihr Chef nicht als strahlender Sieger da. Zu spät, zu lückenhaft: Das riefen Experten dem ausgehandelten Kompromiss hinterher.

Aber hat Kurz dauerhaft an Rückhalt eingebüßt? Wer, wie der Politikberater Hofer, genau hinschaut, konnte schon vor Tirol "kleine Bruchlinien" zwischen den ÖVP-Statthaltern in Bund und Ländern erkennen: Einmal verwahrte sich Niederösterreichs Landeshauptfrau gegen Corona-Maßnahmen und Wien-Bashing der türkisen Regenten, dann konterkarierte der Salzburger Landeschef Kurz’ demonstrative Empörung über frühzeitig geimpfte Bürgermeister.

Da habe sich die anfangs messianische Verehrung des Kanzlers abgenützt, bewertet Hofer. "Doch vom Sägen am Obmannsessel, wie es früher üblich war, ist die ÖVP noch weit entfernt".

Aufgeschaukelter Aufstand

Auch die Tiroler Querelen würden da nichts verschieben, prognostiziert ein erfahrener ÖVP-Mann, der schon in Zeiten an Bord war, "als die Parteiobmänner noch Bittsteller der Landeschefs waren". Er sieht dahinter weniger einen kalkulierten Aufstand als das Resultat gegenseitiger Aufschaukelung. Die Parteikollegen im Westen hätten sich von den Wienern überfahren gefühlt: "Und wenn es ums Skifahren geht, kann in einem Tiroler schon der Andreas Hofer erwachen."

Letztlich sei Kurz aber nun einmal der Mann, der seit Ewigkeiten wieder die Mehrheit für die ÖVP erobert habe. Solange seine Partei in Umfragen meilenweit in Führung liege, werde auch die innerparteiliche Loyalität zu ihm nicht wegbrechen – das sagt eigentlich fast jeder, den man fragt.

Doch regieren kann Kurz trotz seiner guten Werte, die zuletzt leicht abnehmen, nicht allein. Und auch das Verhältnis zu seinem Koalitionspartner ist getrübt. Die Grünen probten wegen der unerbittlichen Haltung der ÖVP bei der Abschiebung von Kindern den Aufstand. Der Kanzler zeigte sich ungerührt – und kam ohne Konzessionen durch.

Déjà-vu

Früheren Koalitionspartnern drängt sich da ein Déjà-vu auf. Indem er keine Zugeständnisse mache, lege Kurz es darauf an, sein Gegenüber zu ruinieren, lautet eine etwa in der SPÖ verbreitete Vermutung. Kurz hoffe, dass sich irgendwann für ihn die absolute Mehrheit – und damit die Möglichkeit, allein zu regieren – ausgehe.

Doch die These hat Schwächen. Erstens liegt die 50-Prozent-Marke selbst für Kurz in weiter Ferne. Zweitens lässt die ÖVP ihren Partner nicht bei jeder Frage verhungern. Nach den Budgetverhandlungen etwa durfte sich die grüne Umweltministerin Leonore Gewessler durchaus als Siegerin fühlen.

Wer in die ÖVP hineinhört, stößt auf eine andere Erklärung. Gerade in Zeiten, da der Verdruss über die Corona-Politik wachse und Österreich bei Wachstum und Beschäftigung abstürze, müsse Kurz in seiner Fahnenfrage – Härte gegen Migranten – Standhaftigkeit zeigen. Er wolle damit die Rechtswähler bei der Stange halten.

Der Kanzler habe richtig eingeschätzt, dass die Grünen niemals abspringen würden. Denn welcher Politiker, der nicht als Chaot gelten wolle, sprenge mitten in einer beispiellosen Krise die Regierung?

Koalitionsalternativen

Deshalb, glaubt ein Türkiser, werde auch die Causa Blümel die Koalition nicht zerstören – selbst im Fall, dass sich der Verdacht erhärte. Ähnliches ist bei den Grünen zu hören. Sie verlangen von Blümel Antworten und Aufklärung. Aber selbst wenn an den Vorwürfen etwas dran sein sollte und Blümel zurücktreten müsste: Ein Grund, die Regierung zu beenden, wäre das aus grüner Sicht wohl nicht.

Und sonst? FPÖ-Chef Norbert Hofer schließt eine Koalition mit "einer ÖVP unter Kurz" nach "den jüngsten Ereignissen" aus. Für einige in der SPÖ ist die Versuchung groß, wieder am Trog der Macht zu naschen – aber ein fliegender Wechsel wäre für die rote Basis schwer verdaulich. Viele Alternativen zum Status quo hat Kurz nicht. So geht es allerdings auch allen anderen Parteien. (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 13.2.2021)