Wie wird das alles ausgehen? Wird auch Kanzler Sebastian Kurz ernsthaft hineingezogen? Ist die türkis-grüne Koalition ernsthaft in Gefahr? Gibt es Neuwahlen? Und das mitten in der Corona-Krise?

Sozusagen als politisches Phänomen und "wertfrei" betrachtet, kann man sagen, dass sich der Skandalcluster allmählich einer kritischen Größe annähert. Türkis hat sich von Anfang an nicht gescheut, mit Großspendern aus "der Wirtschaft" wohlwollenden Umgang zu pflegen. Gleichzeitig haftet die türkise ÖVP für Machtambitionen des seinerzeitigen Koalitionspartners FPÖ sozusagen mit: Stichwort Ibiza, Zerstörung des BVT, aber auch Hineinpressen blauer Günstlinge in die teilstaatliche Casinos AG – unter Mithilfe des inzwischen ausgeschiedenen Casinos-Aktionärs Novomatic.

Aber es ist eben nicht nur der Komplex Novomatic/Türkis allein. Der Skandal-Cluster ist größer. Was damit einhergeht, ist eine äußerst bedenkliche Verrottung staatlicher Institutionen, nämlich Polizei und Justiz, die das Funktionieren des Rechtsstaats und der inneren Sicherheit gefährdet.

Die Aufklärungsarbeit der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) in Sachen Ibiza wird im eigenen Bereich – Oberstaatsanwaltschaft und Justizministerium – offensichtlich durch administrative Schikanen behindert; wie jetzt eine Korruptionsstaatsanwältin in seit Jahrzehnten nicht gehörter Klarheit vor dem Ibiza-U-Ausschuss sagte. Die Leiterin der WKStA hat schon vorher vergeblich Justizministerin Alma Zadić gebeten, den vorgesetzten Bremser-Oberstaatsanwalt abzuziehen. Im Hintergrund tauschen dieser Oberstaatsanwalt und der damals mächtige Sektionschef im Justizministerium Mails aus, in denen diskutiert wird, der Korruptionsstaatsanwaltschaft sozusagen die Öffentlichkeitsarbeit zu entziehen – und ihre Arbeit schlechtzumachen. Vorher schon hatte dieser, inzwischen teilentmachtete, Sektionschef eigenartig auf Klagen über völlig inkompetente Ermittlungen in Sachen Eurofighter reagiert.

Massive Involvierung

Aber auch die unterstützende Polizeiarbeit sei tölpelhaft und merkwürdig lax gewesen. Das sagten andere Korruptionsstaatsanwälte schon früher vor dem Ibiza-U-Ausschuss aus. In der Sache Ibiza / Schreddern von Festplatten des Kanzleramts, darunter offenbar auch eine von Finanzminister Blümels Laptop, wird ein ÖVP-naher Polizist eingesetzt, der völlig lasch ermittelt und überdies an das Ibiza-Untersuchungsobjekt H.-C. Strache begeisterte Solidaritätsmails schreibt. Der Chef der polizeilichen "Soko Tape (Ibiza)", dem von der WKStA vorgeworfen wird, ihr das Ibiza-Video wochenlang vorenthalten zu haben, wird nachher Chef des Bundeskriminalamtes.

Ein anderer Großfall ist das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das bei der möglichen Verhinderung des quasi angekündigten islamistischen Attentats am 2. November in der Wiener Innenstadt versagt. Der Bericht einer Untersuchungskommission ist vernichtend, und deren Leiterin deutet an, dass ihr vom Innenministerium Informationen vorenthalten wurden.

Eine solche massive Involvierung von wichtigen Ministern und deren untergeordneten Apparaten gab es schon vor Jahrzehnten, damals aber unter SPÖ-Vorzeichen. Die Wiener Szenefigur Udo Proksch ("Club 45" im Demel) wurde von zwei roten Innenministern, einem roten Außenminister und einem blauen Justizminister gegen die Verfolgung einer schwersten Straftat (Versicherungsbetrug durch Versenkung der Lucona mit sechs Todesopfern) jahrelang beschützt. (Staats-)Polizei und Justiz leisteten Handlangerdienste. Gleichzeitig wurde versucht, die illegale Ausfuhr von Voest-Kanonen in den Iran zu vertuschen. Am Ende standen Ministerrücktritte – und, durch eine befreite Justiz, die Verurteilung Udo Prokschs.

Es hatte lange, sehr lange gedauert, aber wenn der Skandalcluster einfach zu dicht und zu groß wird, kommt es selbst in Österreich zu Folgen. Vielleicht stehen wir jetzt wieder vor einer solchen Situation. (Hans Rauscher, 12.2.2021)