Mario Draghi, Stimmungskanone. Jedenfalls vorerst hilft seine Nominierung vielen Menschen in Italien aus der winterlichen Corona-Depression.

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Man hat es in den letzten Tagen bei so manchem persönlichen Gespräch feststellen können: Sobald die Sprache auf Mario Draghi kommt, huscht ein Lächeln der Zuversicht über die Gesichter vieler Italiener. Das Land war schon vor der Nominierung Draghis zum neuen Ministerpräsidenten stolz auf den "Retter des Euro" gewesen – aber die ruhige und gleichzeitig bestimmte Art des ehemaligen EZB-Chefs bei den Parteiengesprächen im Hinblick auf die Bildung seiner Regierung hat sein Ansehen noch einmal beträchtlich gesteigert. Die Beliebtheit des 73-jährigen Römers ist am Donnerstag in einer neuen Umfrage bestätigt worden: 85 Prozent der Befragten zeigten sich zufrieden mit der Nominierung Draghis zum neuen Ministerpräsidenten; 86 Prozent halten ihn für kompetent, 72 Prozent haben "großes oder sehr großes" Vertrauen in ihn. Alles Allzeitrekorde.

Die Italiener setzen schon fast messianische Hoffnungen in ihren neuen Premier. Die politischen Voraussetzungen für ein erfolgreiches Regieren scheinen derweil recht gut zu sein: Draghi hat im Parlament die Unterstützung aller großen Parteien; die Opposition besteht nur aus den postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni und voraussichtlich einer Handvoll Fünf-Sterne-Abgeordneter, die sich nicht mit dem – wie sie ihn ebenfalls biblisch nennen – "Apostel der Eliten" ins Regierungsboot setzen wollen. Die Koalition ist politisch so breit abgestützt, dass die einzelnen Parteien numerisch zu schwach sind, um Draghi sabotieren zu können. Der neue Premier wird deshalb kaum Kompromisse eingehen – und er hat dies den Parteien in den Konsultationen auch zu verstehen gegeben: "Wem meine Linie nicht gefällt, dem ist es freigestellt, seine eigenen Wege zu gehen."

Wieder Mario, aber anders

Gegenüber dem letzten "Retter der Nation", Mario Monti, hat Draghi außerdem einen entscheidenden Vorteil: Während Monti im Jahr 2011 vom damaligen Staatspräsidenten Giorgio Napolitano bestellt worden ist, um zu sparen und das Rentenalter zu erhöhen, kann Draghi finanziell aus dem Vollen schöpfen. Seiner Regierung werden die 209 Milliarden Euro aus dem europäischen Corona-Hilfsfonds Next Generation EU zur Verfügung stehen. Der Reformer und Sparer Monti war nach wenigen Monaten unbeliebt geworden. Das wird Draghi kaum passieren – im Gegenteil: Die Aussicht, beim großen Geldverteilen mitzubestimmen und politisch davon zu profitieren, hat es insbesondere dem Führer der rechtsnationalen Lega, Matteo Salvini, erleichtert, sich an einer Regierung zu beteiligen, die er ursprünglich verhindern wollte.

Meinungsverschiedenheiten über die Verwendung der Hilfsgelder hatten zum Sturz der Regierung von Giuseppe Conte geführt – unter Draghi werden die vielen Scheine aus Brüssel voraussichtlich der Kitt sein, der die heterogene Koalition zusammenhält. Die Neuformulierung des nationalen Plans zur Verwendung der Zuschüsse und Kredite aus dem Recovery Fund wird eine der ersten großen Herausforderungen sein, die den neuen Premier erwarten – und er steht unter erheblichem Zeitdruck: Die Frist der EU-Kommission zur Einreichung der Projekte läuft bis 30. April. Die bisherigen Pläne der Regierung Conte hatten in Brüssel Irritationen ausgelöst: Sie enthielten zu viele Zuschüsse nach dem Gießkannenprinzip und zu wenige zukunftsgerichtete, strukturwirksame Projekte. Draghi wird die inzwischen nachgebesserten Pläne Contes zwar nicht völlig über den Haufen werfen – aber er wird bei seinen Korrekturen mit Sicherheit keine Rücksichten auf einzelne Klientel- und Interessengruppen nehmen, wie dies die Vorgängerregierung getan hat.

Reformen allüberall

Bezüglich seiner weiteren politischen Absichten hat Draghi die Karten erst teilweise aufgedeckt. Um davon eine Vorstellung zu erhalten, reicht es aber, die Mahnungen und Empfehlungen nachzulesen, die er als Präsident der italienischen Notenbank und später als Chef der Europäischen Zentralbank an Rom gerichtet hatte.

Draghi fordert seit fast zwei Jahrzehnten Reformen in drei Bereichen: eine Reform der Bürokratie, die mit unsinnigen Gesetzen und schikanösen Vorschriften jede Eigeninitiative erstickt, eine Reform der Justiz, die mit Verfahrensdauern von oft über zehn Jahren die Rechtssicherheit infrage stellt und ausländische Investoren in die Flucht schlägt, sowie eine Steuerreform, die den Schwerpunkt nicht mehr auf die Besteuerung des Faktors Arbeit legt. Jede einzelne ist eine Herkulesaufgabe für sich – aber wenn es einen gibt, dem zugetraut wird, sie zu bestehen, dann ist das – eben – der neue Premier.

Neoliberaler Staatsfreund?

Auch wenn viele Eckpfeiler des künftigen Regierungshandelns bereits erkennbar sind: Draghi ist politisch schwer einzuordnen. Als Ökonom und Finanzwirtschafter hatte er lange Zeit neoliberale Positionen vertreten und sich für die Privatisierung öffentlicher Dienste ausgesprochen; als italienischer und europäischer Notenbanker galt er außerdem als Verfechter der in Italien noch nie sonderlich beliebten Haushaltdisziplin.

In den letzten Monaten hat Draghi dagegen die Wichtigkeit des Staats betont: In der Pandemie müsse dieser dafür sorgen, dass Unternehmen und Arbeitnehmer nicht sich selbst überlassen werden. Ein weiterer, vorübergehender Anstieg der – bereits horrenden – Staatsverschuldung sei dabei vertretbar und unvermeidlich. Mit der Schaffung eines neuen Ministeriums für "ökologische Transition" will Draghi auch grüne Schwerpunkte setzen – und einen Teil der Mittel aus dem Recovery Fund dafür einsetzen.

Governo anti-depressivo

Nicht nur Draghi selbst, sondern auch seine neue Regierung will nicht so richtig in die gängigen Schemata passen. Einige italienische Medien nennen sie "Regierung der nationalen Einheit", andere wiederum "Regierung des Präsidenten" und wieder andere "große Koalition". Nach den Konsultationen mit Draghi erklärte ein Vertreter der Sozialdemokraten unter Anspielung auf die auch in Italien um sich greifende Pandemiemüdigkeit, es entstehe gerade ein "governo anti-depressivo" – eine "Regierung gegen die Depression". Angesichts der großen Hoffnungen, die Draghi ausgelöst hat, ist das vielleicht die passendste Bezeichnung. (Dominik Straub aus Rom, 12.2.2021)