"Gefechtsstand" ist der Arlberg, der "Feind" die südafrikanische Coronavirus-Mutation, das "taktische Ziel": die Verbreitung über Tirol hinaus zu bremsen.

Foto: Florian Lechner www.florianlechner.com

Es ist alles eine Frage der richtigen Unterwäsche. Und jede falsche Antwort rächt sich binnen Minuten. Als in der Nacht auf Freitag, um Punkt null Uhr, in St. Christoph am Arlberg die Ausreisekontrollen zwischen Tirol und Vorarlberg starten, fegt ein unbarmherziger Schneesturm über den 1.739 Meter hohen Pass.

Flankiert von mannshohen Schneewänden trotzen zwei Militärpolizisten der klirrenden Kälte. Nur ihr Auto und besagte Thermounterwäsche – "wir werden mit Topmaterial ausgestattet" – bieten Schutz. Ein Stück weiter hinten, im Dunkel des Schneegestöbers, ist die Silhouette eines Dixi-Klos zu sehen.

"Wir hoffen, dass morgen der Container zum Unterstellen geliefert wird", erklären die beiden Beamten tapfer, deren Namen auf Bitte des Bundesheeres nicht in der Zeitung genannt werden sollen. Wegen der beißenden Kälte heißt es alle zwei Stunden Wachablöse.

Gute Zahlen, schlechte Mutationen

Bis es so weit ist, hält das Duo im Auto die Stellung. Kontrolliert werden seit Freitag alle aus Tirol ausreisenden Personen. Laut "Covid-19-Virusvariantenverordnung" des Gesundheitsministeriums ist ein negativer Antigen- oder PCR-Test vorzuweisen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf.

Ziel der Maßnahme ist, die Ausbreitung der in Tirol grassierenden sogenannten südafrikanischen Mutation des Coronavirus zu bremsen. Zwar weist das Bundesland die derzeit beste Sieben-Tage-Inzidenz in Österreich auf, doch mittlerweile 432 teils bestätigte und unbestätigte Mutationsfälle, von denen 132 noch aktiv positiv sind, machen die Abschottung laut Experten nötig.

Die Beamten trotzen für die Kontrollen Wind und Wetter.
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Auch unten im Tal, vor dem Eingang zum Arlbergtunnel, kontrollieren zwei Wagen der Militärpolizei zusammen mit einer Besatzung der Landecker Polizei die Ausreisenden. Insgesamt 26 Grenzübergänge Nordtirols wurden abgeriegelt, sechs davon sind innerösterreichische nach Salzburg und Vorarlberg. Zudem laufen Kontrollen im Zug- und Flugverkehr.

Ansturm auf Teststraßen

Wie die ÖBB bestätigen, werden in allen Tirol verlassenden und passierenden Garnituren gesundheitsbehördliche Überprüfungen durchgeführt. Im Regionalverkehr über den Brenner wird stationär am Bahnhof Gries kontrolliert, weil der nächste Bahnhof Brennero bereits auf italienischem Staatsgebiet liegt. Im Fernverkehr, der das Bundesland durchquert, steigen wiederum Beamte zu und führen die Kontrollen durch, bevor der Zug Tirol wieder verlässt.

Binnenreisende, also jene, die von Tirol nach Salzburg oder Vorarlberg wollen, können den dazu nötigen Schnelltest auch direkt vor Ort in dafür bereitgestellten Bussen durchführen, falls sie kein negatives Testergebnis dabeihaben. Denn in Tirol hat mit Bekanntwerden der neuen Maßnahmen ein wahrer Ansturm auf die Teststraßen eingesetzt, Termine sind derzeit erst nach tagelanger Wartezeit zu erhalten.

Das Land verweist auf die Möglichkeit, sich bei über 600 niedergelassenen Ärzten und auch Apotheken kostenlos testen zu lassen. Allerdings ist dort ebenfalls mit Wartezeiten zu rechnen. Die von Tirol angekündigte Testpflicht für die Nutzung von Skiliften ist übrigens noch nicht in Kraft. Die entsprechende Verordnung sei "gerade in Abstimmung und Ausarbeitung mit dem Bund".

Stille statt Nachtleben

Die Ausreisekontrollen bilden das jüngste Kapitel im Tiroler Corona-Drama. Das Tourismusland leidet besonders unter den pandemiebedingten Reise- und Kontaktbeschränkungen.

Die Fahrt durch das nächtliche St. Anton am Arlberg zeigt das deutlich. Dort, wo sich Hotel an Hotel reiht und in normalen Saisonen das Nachtleben um diese Jahreszeit toben würde, herrscht Stille. Nur ganz vereinzelt scheint Licht aus einem der zahllosen Fenster, die meisten Häuser sind stockdunkel.

Nur entlang der Straße hinauf zum Pass parkt eine ganze Reihe Militärfahrzeuge. In einem der wegen Corona leerstehenden Hotels hat die dritte Militärpolizei-Kompanie aus Salzburg ihren "Gefechtsstand" eingerichtet, wie das im Soldatenjargon heißt.

In eigens bereitgestellten Testbussen wurden vor Ort Abstriche gemacht.
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Statt schwankender Skitouristen spaziert heute nur ein einsamer Heereshundeführer mit seinem belgischen Schäferhund durch den verwaisten Ort. 28 Militärpolizisten sind für den Assistenzeinsatz am Arlberg stationiert. Tirolweit sind für die vorerst auf zehn Tage beschränkten Ausreisekontrollen 600 Polizisten und 1.000 Soldaten im Corona-Einsatz.

Rechtlich spezielle Materie

Zum ersten Mal tut an innerösterreichischen Grenzen das Militär Dienst. "Dieser Einsatz ist schon speziell", sagt der Hauptmann der Kompanie. "Taktisches Ziel" sei, die Corona-Mutation einzudämmen. Seine Männer seien angehalten, dazu "aufklärend, informativ und deeskalierend" vorzugehen.

Rechtlich ist dieser Einsatz der Militärpolizei tatsächlich eine spezielle Materie, wie der Innsbrucker Verfassungsjurist Peter Bußjäger erklärt: "Die Militärpolizei ist nämlich kein Organ der öffentlichen Sicherheit."

Allerdings gebe es ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes aus den 1990er-Jahren betreffend den Grenzeinsatz im Burgenland. Demnach tritt das Bundesheer, wenn es Assistenz leistet, in den Kompetenzbereich jener Behörde ein, für die es tätig ist. Für den Einsatz am Arlberg ist das die Gesundheitsbehörde.

Sprich die Soldaten dürfen Kontrollen der Identität und Testergebnisse durchführen. Alles darüber hinaus, wie etwa Festnahmen, bleiben laut Bußjäger aber Sache der "normalen" Polizei. Selbst das Anhalten des Fließverkehrs, wie es die beiden kälteresistenten Soldaten in St. Christoph machen, bedurfte einer eigenen Ausnahmeregelung.

Grenzkontrollen im Skigebiet

Das innerösterreichische Grenzregime sorgt bereits für skurrile Blüten. So gab das Skigebiet Steinplatte, das sich über die Grenze von Tirol und Salzburg erstreckt, bekannt, dass ab Freitag behördliche Grenzkontrollen an der Bergstation und am Parkplatz durchgeführt werden.

Am Arlberg, wo man eigentlich ebenfalls über die Bundesländergrenze hinwegwedeln kann, umschiffte man dieses Problem ganz einfach, indem man jene Lifte und Pisten, die Tirol und Vorarlberg verbinden, gesperrt hat.

Während nun das Militär versucht, die Ausbreitung der Virusmutation zu bremsen, ist immer noch unklar, wie sie überhaupt ins Land gekommen ist. Seit Bekanntwerden der ersten Nachweise am 23. Jänner bemühen sich die Tiroler Behörden, die Infektionskette nachzuvollziehen.

Derzeit enden diese Recherchen bei einem Mann aus dem Bezirk Schwaz, der am 23. Dezember in Vorbereitung auf eine Operation den obligatorischen Abstrich machen ließ. Eine Spur führt zu Bekannten außerhalb Tirols, die zuvor in Südafrika waren. Von derlei warmen Gefilden können die Soldaten am Arlberg derzeit nur träumen. Wenigstens in Thermounterwäsche. (Steffen Arora, 12.2.2021)