Das Zeughaus in Graz ist als historische Waffenkammer als "Museum im Museum" weitgehend im Originalzustand belassen. Nicht überall funktioniert diese Form der Musealisierung.

UMJ/N.Lackner

Das Weltmuseum Wien, vormals Völkerkundemuseum, erfand sich völlig neu: Kritisch zur Kolonialzeit und eigenen Sammlungsgeschichte, mehr auf Augenhöhe mit den dargestellten Volksgruppen.

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Das 2017 eröffnete Haus der Geschichte Niederösterreichs in St. Pölten durchbricht die chronologische Erzählform mit Querverweisen bis ins heute: Von der Völkerwanderung spiegelt man die Migrationsthematik bis ins 21. Jahrhundert.

Klaus Pichler

Dem Heeresgeschichtlichen Museum im Wiener Arsenal liegt vielfach noch der heroisierende und kriegsbeschönigende Erzählduktus des 19. Jahrhunderts zugrunde, befinden Kritiker. Jetzt wird an eine behutsame Neuaufstellung gedacht.

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Museumsobjekte sind weder gut noch böse. Sie sind zunächst einfach nur Objekte. Bedeutung erlangen sie erst durch den Blick der Museumsbesucher. Sie selbst entscheiden anhand ihrer Vorbildung, politischen Prägung und Erwartungshaltung über den symbolischen Gehalt des Gezeigten. Wichtig ist aber noch etwas: Wie werden die Objekte präsentiert? In welchem Rahmen, in welchem Raum, auf welchem Sockel? Und in welchen historischen Zusammenhang werden sie gestellt? Kurz: Welches Narrativ, welche Erzählung, liefern jene, die die Ausstellung gestalten, für den Betrachter mit?

All diese Fragen stellen sich aktuell in der Debatte um das Heeresgeschichtliche Museum (HGM), wobei es längst nicht das einzige Haus mit Wurzeln im 19. Jahrhundert ist, das einer Neubetrachtung unterzogen wird. Weltweit hinterfragen Geschichts-, Militär- und Nationalmuseen in den letzten 20 bis 30 Jahren ihre Narrative. Zentral dabei ist eine Erkenntnis: Geschichte ist keine Einbahnstraße, die Sicht auf sie ändert sich beständig und hängt vor allem davon ab, wer auf sie blickt.

Multiperspektive ist daher das Zauberwort, das viele Museen heute in ihren Ausstellungen umsetzen wollen – wenngleich viele Einrichtungen im angelsächsichen Raum darunter gerne vor allem einen Auftrag an die Technik verstehen: der Museumsbesuch als Hollywood-Inszenierung und Erlebnispark.

Geschichte im Wandel

Beim HGM kam eine Historikerkommission zu dem Schluss, dass dessen Objekte entweder zum großen Teil in gar kein Narrativ eingebettet werden oder falls doch, zwei Lesarten anbieten: die des 19. Jahrhunderts, wo es darum ging, Krieg als ruhmvolle Erfolgsgeschichte darzustellen; und die Nachkriegserzählung, die auf eine damals durchaus verständliche Neukonstitution der Nation Österreich hinausläuft, wie sie auch der kitschige Heimatfilm der Fünfzigerjahre transportierte.

Dabei könne man es heutzutage nicht belassen, meint im Gespräch mit dem STANDARD etwa Bettina Habsburg, die trotz ihres bekannten Familiennamens einen nüchtern-wissenschaftlichen Blick auf das Erbe der Monarchie hat. Die Historikerin und Museologin am Joanneum Graz hat mehrere Bücher zum Thema Narrative herausgegeben: "Mit jeder Veränderung im Heute ändert sich unser Blick auf das Gestern", sagt sie, "bewegen sich Museen nicht, fallen sie zwangsläufig irgendwann aus der Zeit und werden zu Museen ihrer selbst." Ein solches "Museum im Museum" muss dabei aber nicht per se ein verwerfliches Konzept sein, wenn man es denn kenntlich macht. So präsentiert sich das Landeszeughaus in Graz als historische Waffenkammer im Gesamten als ein einziges Museumsobjekt.

Beim Grazer Museum für Geschichte, an dessen Neuaufstellung Bettina Habsburg mitarbeitete, musste man hingegen "radikal" verändern: Heute seien dort "die Gegenwart, der Mensch und die Regionen der Steiermark Ausgangspunkt der Überlegungen".

Ein ähnliches Konzept verfolgt man in den letzten Jahren auf der Niederösterreichischen Schallaburg: Ergänzend zum großen Narrativ einer kulturhistorischen Schau (zuletzt die Donau, Islam oder Byzanz) werden mehrere zusätzliche Erzählebenen eingefügt, die das Thema zum Beispiel anhand einer individuellen Biografie noch einmal auf das Menschliche herunterbrechen. Die Debatte über das HGM findet der Leiter der Schallaburg, Kurt Farasin, "wichtig und richtig für die gesamte Museumslandschaft". Er plädiert beim HGM für weniger Objekte, aber mehrere Perspektiven darauf, die etwa auch Gegenwartsbezug zulassen.

Versucht hat man das zuletzt beim 2017 eröffneten Haus der Geschichte Niederösterreichs in St. Pölten. Die Ausstellung von der Urzeit bis ins Heute sucht neben der klassischen chronologischen Erzählung immer wieder den historischen Längsschnitt: So führt das Thema Völkerwanderung noch in derselben Ecke der Schau bis zu Flucht und Migration im 21. Jahrhundert, ehe man in der Chronologie zum nächsten Punkt vorrückt.

Belehrung oder Aufklärung?

Gründlich überdacht werden heute vor allem die ethnologischen Museen, deren Sammlungen untrennbar mit dem Kolonialismus verknüpft sind. So hat das 2017 erneuerte Weltmuseum Wien seine Schau nicht mehr wie zu Gründungszeiten üblich nach Weltregionen und Ethnien geordnet, sondern nach Themen und Geschichten, die sich aus dem jeweiligen Teil der Sammlung selbst ergeben.

Die Kultur Japans wird beispielsweise anhand der Wiener Weltausstellung 1873 und der damit einhergehenden Japan-Begeisterung im Jugendstil erklärt. Der Federkopfschmuck nordamerikanischer Ureinwohner wird direkt neben heute getragenen Baseballcaps indigener Aktivisten gezeigt und so ins Heute gespiegelt. Kolonialverbrechen werden nicht verschwiegen, sondern offengelegt, wodurch man Verständnis für heutige Verwerfungen schafft. Videostatements von Vertretern dargestellter Volksgruppen geben zusätzliche Perspektiven.

Kann all das auch zu belehrend werden? "Ich würde den Begriff ‚belehrend‘ nicht verwenden", sagt Museologin Habsburg. "Niemand will heute im Museum belehrt werden. Aber ich sehe mich in meiner Arbeit der Wissenschaft und der Aufklärung verpflichtet. Ich glaube an den Wert der Demokratie und der Menschenrechte." Aufgabe der historischen Museen sei es schon, "das Publikum beim Erwerb eines reflektierten Geschichts- und Politikbewusstseins zu unterstützen". Für Kurt Farasin ist zentral, dass man Besucher herausfordert, sich selbst Fragen zu stellen: "Wenn dann wildfremde Menschen nebeneinanderstehen und zu diskutieren beginnen, ist eine Ausstellung gelungen."

Eine allgemeine Blaupause für Geschichtsmuseen wird man heute nicht mehr festlegen wollen. Die Möglichkeiten aber sind enorm.

(Stefan Weiss, 13.2.2021)