Thomas Macho ist Direktor des Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz.

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Wie sehr fehlt uns der Fasching in Zeiten von Corona, Pandemie und sozialer Distanz? Thomas Macho, Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz sieht den Ausfall gelassen.

Und Macho verweist auf die Verhältnismäßigkeit: "Die Alten- und Pflegeheime, die überfüllten Krankenhäuser oder Krematorien, die wir in den vergangenen Monaten immer wieder sehen mussten, lassen den Verzicht auf Faschingsfeiern vergleichsweise leicht verschmerzen."

STANDARD: Warum ist Fasching offenbar vielen Menschen heute noch wichtig?

Macho: Faschingsfeiern sind heute nicht mehr so wichtig. Sie erinnern schon seit vielen Jahren nur mehr an ältere Traditionen der spielerischen Vergegenwärtigung verkehrter Welten: In diesen Welten war für wenige Wochen erlaubt, was sonst verboten war, etwa die Umkehrung der Herrschaftsordnungen. Schon während der altrömischen Saturnalien mussten die Herren ihre Sklaven bedienen, Frauen durften die Männer unterwerfen, Glücksspiele, erotische Abenteuer und kollektive Berauschung ließen den tristen Arbeitsalltag in den Hintergrund treten. Heute hingegen verfügen wir über zahlreiche Möglichkeiten nicht nur des kollektiven Rauschs, sondern auch der Kritik und des Spotts über die Herrschenden, täglich auf den Plattformen sozialer Medien. Frauen müssen sich nicht mehr auf symbolische Gesten – wie das Abschneiden der Krawatte eines Bürgermeisters – beschränken. Wir können jederzeit Online-Casinos oder Dating-Portale besuchen. Masken und Verkleidungen fallen leicht, nicht nur in Zeiten einer Pandemie: Kostümverleihe und Spielzeugläden offerieren eine Vielzahl von Verwandlungsangeboten; einfacher noch: Simple Fotomontagen mit Hilfe bekannter PC-Programme können uns, wann immer wir wollen, in neuen Gestalten zeigen.

STANDARD: Ist das – etwa durch Verkleidung – etwas anderes als Kirtag, Trinken, Saurauslassen?

Macho: Zumindest hatten Faschingsbräuche einmal einen anderen Sinn: Verkleidungen konnten in früheren Zeiten den Traum von einer zumeist unmöglichen Verwandlung ausdrücken: der Verwandlung in Tiere, Könige, Ärzte, Bischöfe, Piraten, ja sogar der Verwandlung in Tote. Wir konnten im Maskenspiel den Beruf wechseln, das Geschlecht, das Lebensalter. Heute gehen wir zum Arbeitsamt oder zum Kosmetikstudio. Männer können als Frauen auftreten, Frauen als Männer. Täglich werden wir von Verwandlungsangeboten erreicht: auf Reklameplakaten, in TV-Werbeclips, mit Fortbildungsprospekten oder Diätempfehlungen. Aus einer gewissen ironischen Distanz könnte die Moderne als das Zeitalter unentwegter Verwandlungsaufforderungen charakterisiert werden. Wir müssen nicht mehr bleiben, wer oder was wir sind.

STANDARD: Kann es ein Problem sein, wenn diese Möglichkeiten einmal ausfallen – jedenfalls in größerer Gesellschaft, öffentlich und mit Alkohol?

Macho: Diese Möglichkeiten scheinen aktuell auszufallen; und natürlich fehlen uns in Zeiten strenger Kontaktbeschränkungen die Gelegenheiten, einander in größeren Runden etwa im Wirtshaus zu treffen. Doch weil wir uns gewöhnlich nicht nur an wenigen Faschingstagen zu solchen Begegnungen verabreden, wird der Verzicht auf den heurigen Fasching nicht mehr Probleme verursachen als sich durch soziale Isolation und die Angst vor Ansteckung ohnehin ergeben.

STANDARD: Kann man ein solches Bedürfnis substituieren – zum Beispiel über Streaming?

Macho: Ich fürchte, dass sich die Techniken des Home Office, der virtuellen Konferenzen und des Streaming nicht leicht auf Feste übertragen lassen. Ich selbst habe mehrmals einen abendlichen Aperitif mit Freunden auf dem Bildschirm geteilt; aber nicht einmal der Sekt hat so geschmeckt wie gewohnt. Zugleich wirken solche Klagen nahezu beschämend: Die Alten- und Pflegeheime, die überfüllten Krankenhäuser oder Krematorien, die wir in den vergangenen Monaten immer wieder sehen mussten, lassen den Verzicht auf Faschingsfeiern vergleichsweise leicht verschmerzen.

STANDARD: Wir haben ein Jahr lang gelernt, wie man mit Homeschooling und Fernunterricht fertig wird, mit Distanz zu Verwandten, FreundInnen und ArbeitskollegInnen umgeht, hatten geschlossene Wirtshäuser, abgesagte Kirtage und leere Stadien. Warum sollte uns ein Fasching ohne Fasching noch aus der Bahn werfen?

Macho: Sie haben völlig recht: Ein Fasching ohne Fasching wird uns nicht aus der Bahn werfen, ebenso wenig wie ein Aschermittwoch ohne Aschenkreuze oder ein Beethoven-Jahr ohne große Beethoven-Konzerte. Inzwischen sind wir doch zu Routiniers der Verschiebung avanciert, was in Bezug auf die kalendarischen Feste ohnehin leichter fällt: Den 251. Geburtstag Beethovens oder Hölderlins werden wir zwar gewiss nicht feiern, den nächsten Fasching aber ganz bestimmt. (Harald Fidler, 15.2.2021)