Oft gesehen, nicht immer beachtet: die rote Ampel für Radfahrer.

Foto: Heribert Corn

Nicht erst seit der Corona-Krise ist klar, dass manch ein Gesetz vor der normativen Kraft des Faktischen wie ein Schlangenmensch in die Knie geht. Sehr eindrucksvoll lässt sich das auch auf den heimischen Straßen nachvollziehen. Etliche Vorschriften aus der österreichischen Straßenverkehrsordnung 1960 sind vielen Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern inzwischen so fremd wie Politikern Krawatten. Dabei reden wir gar nicht von hiesigen Besonderheiten wie dem Vertrauensgrundsatz – den hat jeder sofort als Ausrede parat, wenn es haarig wird.

Das Blinken

Eigentlich müsste man eine Änderung der Fahrtrichtung so rechtzeitig anzeigen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer darauf einstellen können – also blinken. Rechtzeitig. Und man müsste das Anzeigen auch noch so lange durchhalten, bis man "sein Vorhaben ausgeführt hat oder von ihm Abstand nimmt" (StVO §11 (2)). Diese Regelung wurde inzwischen durch das Gar-nicht-Blinken oder das Bestätigungsblinken ersetzt. Das heißt, in zweiterem Fall drückt man in dem Moment, in dem man den Fahrstreifen wechselt oder abbiegt, kurz auf den Blinkerhebel, um zu bestätigen, dass man gerade Spur wechselt oder abbiegt. Feiglinge. Nichtblinker sind da schon weiter und haben für ihr Nichttun drei schlüssige Begründungen: 1.) Geht keinen was an, wo ich hinfahr! 2.) Wenn ich blink, macht der andere sicher die Lücke zu. 3.) Deswegen leg ich doch mein Telefon nicht weg.

Das Mobiltelefon

Damit sind wir schon beim nächsten Thema. Galt ursprünglich ein riesiger C-Netz-Koffer statt der Mittelkonsole noch als schick, hat hier die 32. Novelle des Kraftfahrgesetzes (KFG) mit einem "verschärften Handyverbot am Steuer" die Spaßbremse gezogen. Aber jeder weiß, dass man erstens kaum erwischt wird und zweitens das Freisprechen erlaubt ist. Was für ein Glück, dass in der Novelle festgehalten ist: "Wenn das Handy nur zum Telefonieren verwendet wird, spricht nichts dagegen, wenn der Lautsprecher quasi als 'Freisprecheinrichtung' verwendet wird. Die Kommunikation muss aber ohne Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen möglich sein." Kunststück. Das schafft doch jeder, der auch beim Fahren Nachrichten schreiben kann – dabei sollte man sich wirklich nicht erwischen lassen, denn da macht das KFG keine Ausnahme.

Dass man sich beim Telefonieren nicht auf die Straße konzentriert? Wurscht. Hinschauen muss man. Das reicht ja. Wird das Smartphone allerdings zum Navigieren verwendet, muss es fix montiert sein. Zumindest laut Gesetz. Wirklich geübte Lenker halten es natürlich in der rechten Hand, während das Lenkrad mit zwei Fingern der linken Hand geführt wird. Der linke Ellenbogen hat dabei auf dem Fenstersimserl zu liegen. Autoyoga vom Feinsten.

Die Autobahnauffahrt

Kaum wer erinnert sich noch, dass nicht der auf die Autobahn Auffahrende, sondern der auf der Autobahn fahrende Vorrang hat. Dem Gesetz nach müsste man sich zudem keine Sorgen machen, wenn jemand, der auf der Autobahn fährt, um seinen Vorrang weiß und nicht sofort alles möglich macht, damit der Auffahrende freie Bahn hat. Darum machte man Beschleunigungsstreifen ja auch so lang. Zur Not muss man übrigens stehenbleiben und warten, bis man mit dem Auffahren niemanden gefährdet. Aber die täglichen Staus auf der Tangente zeigen deutlich, dass inzwischen die, die auffahren, Vorrang haben. Ätschbätsch, StVO!

Der Zebrastreifen

Okay, das ist jetzt wirklich noch nicht so alt: nämlich dass man Fußgängern das gefahrlose Queren des Schutzwegs ermöglichen muss. Statt aber vor dem Zebrastreifen sicherheitshalber einmal langsamer zu werden, ist es inzwischen richtiger, über die Fußgänger zu schimpfen, die einem Auto am Schutzweg gefährlich nahekommen. "Die Stöpsln im Ohr. Net amal gschaut hat er. Bis ich ghupt hab. Dann hat's ihn grissen. Wollt er sterben?"

Der Stärkere hat schlicht recht. Das wissen auch Radfahrer die eine Begegnung mit einem Autofahrer haben. Und Fußgänger die blöderweise auf einen Radfahrer treffen. Und Autofahrer, die auf Lkw-Fahrer treffen. Schön auch, zu sehen, dass mit der Stärke und Größe des Fuhrwerks auch die Lautstärke der Hupe/Klingel/Angstschreie zunimmt. Was uns umgehend zum nächsten Thema bringt

Das Hupverbot in Wien

Ja, genau, eine kleine Großstadt mit Hupverbot. Nein, ich rede nicht von Eisenstadt, der kleinsten Großstadt der Welt, sondern von Wien. "Die Betätigung der Vorrichtungen zur Abgabe von Schallzeichen ist in den Ortsgebieten Wien und Wien-Süßenbrunn verboten." So schön steht das in der Verordnung des Magistrats. Und dann steht da: "Dieses Verbot gilt nicht, wenn ein solches Zeichen das einzige Mittel ist, um Gefahren von Personen abzuwenden." Und wenn die Gefahr nur ist, dass ein Verkehrsteilnehmer dem anderen eine auflegt, dass ihm 14 Tag ... wurscht.

Jedenfalls sieht der Autofahrer in Wien den anderen Verkehrsteilnehmer schon schwer in Gefahr, wenn der an der Ampel beim Wechsel von Rot auf Grün keinen Start hinlegt, dass die Reifen qualmen. Ach ja, in der StVO § 43 (2c) ist ein generelles Hupverbot für Österreich festgehalten. Aber wehe, die Hupe bei einem Auto ist hin, kannst dir das Pickerl aufmalen.

Der Abstand

Ja ja ja, Sie fürchten jetzt einen seichten Babyelefanten-Schmäh. Nein, den erspar ma uns. Es geht um ein ernstes Thema: den Abstand zu anderen Fahrzeugen. Die StVO geht da im § 18 auf Nummer sicher: "Der Lenker eines Fahrzeuges hat stets einen solchen Abstand vom nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird."

Wennst draufkrachst oder reinfahrst, bist schuld. Fast immer. Dabei ist es doch viel effizienter, wenn man den Windschatten des Vorausfahrzeugs ausnutzt. Weiß doch jeder. Und wenn man von hinten ein bisserl antaucht, besteht ja immer noch die Hoffnung, dass der Vordere draufkommt, dass es auch flotter geht. Was uns zum nächsten Punkt bringt.

Die Geschwindigkeitsbegrenzung

Ursprünglich hat die Anzeige des Tachometers als Maßstab für die gefahrene Geschwindigkeit gegolten, die mit der vor Ort geltenden, erlaubten Höchstgeschwindigkeit abgeglichen wurde. Doch das gilt schon lange nicht mehr. Heute fährt man einen Zehner mehr. Und die Berechnung ist dabei durchaus diffizil. Unter Hundert km/h werden nämlich zehn km/h aufgeschlagen – weil bis dahin die Polizei eh nicht straft und die Radarkästen nicht auslösen. Bei einer Geschwindigkeit von über 100 km/h werden zehn Prozent aufgeschlagen und der Wert dann aufgerundet.

Im Ort fährt man also 60, auf der Autobahn 150. Zumindest dann, wenn man straffrei von A nach B will. Kennt jemand diese Regel nicht, ist der Abstand deutlich zu verringern und das Hupverbot außer Kraft, weil ja dann die Gefahr für den Vordermann besteht, dass man ihm in den Kofferraum kracht und ihm anschließend eine betoniert.

Die Ampel

Die bekannten Leuchtsignale galten ursprünglich für alle Verkehrsteilnehmer. Das hat sich in der Realität insofern geändert, dass sie für Fußgänger und Radfahrer lediglich als Vorschlag angesehen werden. Autofahrer dürfen sich über rote Ampeln nur selten hinwegsetzen. Dafür gilt für die meisten die Haltelinie nicht. Stehengeblieben wird heute so weit vorne, dass man ohne Hexenschuss gerade noch auf die Ampel sieht. Und das Rotlicht gilt nicht, wenn es erst zwei Sekunden geschaltet ist. Dann bedeutet es nämlich, dass die geltende Höchstgeschwindigkeit außer Kraft gesetzt ist und man mit dem höchstmöglichen Tempo in die Kreuzung einfährt, um dann auf dieser eine Notbremsung zu machen.

Der Vorrang

Wurde die Regelung des Vorrangs ursprünglich ganz klar definiert, ist das richtige Anwenden der Vorfahrtsregeln heute viel komplizierter. Meist gilt, dass man so lange den Vorrang des anderen nicht beachten braucht, solange der mit einer Notbremsung einen Unfall verhindern kann. Die Rechnung hat umso generöser auszufallen, je größer der Unterschied zwischen den beiden sich treffenden Fahrzeugen ist. Kleinwagen gegen Luxus-SUV ist also viel knapper zu berechnen, als wenn sich zwei Kleinwagen begegnen. Da darf man auch einmal generös sein. Treffen sich aber zwei extrem teure SUV oder gar Pick-ups, dann dürfen auch leichte Berührungen in Kauf genommen werden.

Das Parken

Bodenmarkierungen zum Parken waren einst dazu gedacht, dass man sein Fahrzeug genau dazwischen abstellt. Weil die Fahrzeuge immer größer wurden und niemand den Nebenparker dazu nötigen will, einem die Tür in die Seite hauen zu müssen, definieren nun drei Linien einen Parkplatz, wobei die mittlere Linie in etwa unter der Fahrzeugmitte sein sollte. Dabei muss der Wagen nicht parallel zu den Linien stehen.

Wer besonders geschickt ist, schafft es auch mit einem Wagen der Mittelklasse, zwei Linien unter seinem Fahrzeug zu verstecken. Da gehört dann aber schon ein wenig Übung und ausgeprägter Egoismus dazu. Das kann nicht gleich jeder. Nur Vollprofis sind auch in der Lage, Einfahrten, Zebrastreifen oder Kreuzungen zuzuparken. Dabei ist zu beachten, dass man hinter jeder folgenden Strafe eine Weltverschwörung zu sehen hat.

Generelles

Das gilt übrigens für jede Strafe, die man erhält, weil man eine der neuen Verkehrsregeln befolgt. Ordnungshütern begegnet man dabei vorzugsweise mit sehr lauter, sich fast überschlagender Stimme und der Frage, ob das Wachorgan nichts anderes zu tun habe, und verweist dabei abwechselnd auf Ausländer, Frauenmörder, Kinderschänder, Drogendealer oder einen anderen Verkehrsteilnehmer, der gerade vorbeikommt. Zeigt sich der Beamte von den Alternativvorschlägen nicht beeindruckt, dann fragt man nach der Dienstnummer, schreibt daraufhin eine Beschwerde und im Idealfall einen Leserbrief an eine heimische Tageszeitung. Letztere, über völlig gerechtfertigte Strafen, waren nämlich der Initiationspunkt für diese Auflistung. (Guido Gluschitsch, 16.2.2021)