Apple-Chef Tim Cook: spricht gerne über Privatsphärendefizite – aber nur bei anderen Herstellern.

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Bei einem Thema gibt sich Apple gerne kompromisslos: "Privatsphäre ist ein fundamentales Menschenrecht", betont Firmenchef Tim Cook bei seinen öffentlichen Auftritten mit schöner Regelmäßigkeit. Eine Position, die Apple über die Jahre viel Applaus eingebracht hat, die aber ein klitzekleines Problem hat: In Wirklichkeit handelt es sich dabei natürlich nicht um eine tiefsitzende Überzeugung, sondern um eine Marketingansage, hinter der ein beinhartes Machtkalkül steckt – und die bei näherer Betrachtung reichlich unaufrichtig ist.

Ein einträglicher Deal

Apples Einsatz für die Privatsphäre endet nämlich immer genau dort, wo er den eigenen finanziellen Interessen im Weg steht. Das prominenteste Beispiel dafür: Der iPhone-Hersteller kassiert jedes Jahr irgendwo zwischen acht und zwölf Milliarden Dollar von Google, damit dessen Suchmaschine auf den Smartphones von Apple voreingestellt ist. Geld, das zu weiten Teilen über die sonst von Apple so gerne gescholtene, personalisierte Werbung lukriert wurde, die erst über das Erstellen von umfassenden Nutzerprofilen möglich ist. Vor allem aber: Genau zu diesen Profilen trägt Apple indirekt bei, indem man Google zur Default-Wahl macht.

Auf diesen offensichtlichen Widerspruch hingewiesen, gibt sich Apple üblicherweise ungewohnt pragmatisch: Google sei einfach die beste Suchmaschine, insofern agiere man hier im Interesse der Nutzer. Über die Milliarden, die man damit verdient, in diesem Fall beide Privacy-Augen zuzudrücken, spricht man hingegen prinzipiell nicht. Und es geht natürlich nicht nur um den Google-Deal: Über die Jahre hat Apple auf unterschiedlichsten Wegen sehr gut am Tracking von Nutzern mitverdient. Sei es über datensammelnde Apps oder allein schon die Existenz von all den Facebook- und Google-Apps auf der eigenen Plattform – ohne die iPhones erheblich weniger erfolgreich wären. Das soll jetzt nicht heißen, dass Apple diese Apps hätte sperren sollen, trotzdem sollte dieser Aspekt nicht ganz vergessen werden.

In China tickt Apple anders

Ein weiteres Thema, über das Apple nicht so gerne spricht, heißt: China. Dort hat man sich aus monetären Interessen nämlich auf eine Zusammenarbeit mit dem Staat und dessen umfassendem Überwachungsapparat eingelassen. So wird etwa die iCloud in China statt von Apple von einem lokalen Partnerunternehmen betrieben. Damit macht sich Apple offiziell die Finger nicht schmutzig, während der chinesische Staat jederzeit vollen Zugriff auf die von den Nutzern dort gelagerten Daten – und die Schlüssel zu deren Entschlüsselung – hat. Die Privatsphäre chinesischer Nutzer scheint also nicht gar so viel wert zu sein. Und ihre Wahlfreiheit ebenfalls nicht, zensiert doch Apple regelmäßig Apps auf Zuruf der chinesischen Regierung – von VPN-Anbietern bis zu Protest-Apps.

Das ist übrigens auch einer der Punkte, die gut zeigen, dass diese ganze Debatte erheblich komplexer ist, als es oberflächlich den Eindruck machen mag. So verzichtet etwa Google auf den – finanziell äußerst lukrativen – chinesischen Markt, da man sich den Zensurregeln und der Totalüberwachung nicht unterwerfen will. Versuche der Firmenleitung, hier wieder Fuß zu fassen, wurden aufgrund von internem Druck wieder beendet. Bei Apple scheint die Vorgehensweise in China hingegen bislang unwidersprochen zu bleiben.

Anti-Tracking

Aktueller Fokus der Privacy-Debatte ist aber Apples Ankündigung, schärfer gegen App- und Webseiten-übergreifendes Tracking vorzugehen. Ab iOS 14.5 müssen alle Apps, die Apples eigene Werbe-ID (IDFA) oder andere Tracker verwenden wollen, dazu die explizite Genehmigung der Nutzer einholen. Diese ist so formuliert, dass selbst Google davon ausgeht, dass hier kaum jemand zustimmen wird – und insofern auf solches Tracking unter iOS künftig verzichtet.

Aus Nutzersicht also eine durchaus erfreuliche Entwicklung. Aber auch hier sind die Motive Apples nicht ganz so nobel, wie man es darstellt. Zunächst ist das eine Maßnahme, die dazu gedacht ist, dem Mitbewerb zu schaden. Aktuelle Schätzungen gehen etwa davon aus, dass allein diese Maßnahme Facebook und Google jährlich einen Umsatzentgang zwischen fünf und 20 Milliarden bescheren müsste. Während sich das Mitleid mit den zwei größten Datensammlern unserer Zeit wohl bei den meisten in Grenzen halten dürfte, könnte dies für kleinere Anbieter durchaus existenzbedrohend werden.

Nun könnte man natürlich sagen: Was soll das Apple außer der persönlichen Befriedigung bringen? Die Antwort darauf: Geld. Immerhin dürfte dies dazu führen, dass so mancher App-Hersteller von Werbefinanzierung auf ein Bezahlmodell umsteigt – und hier schneidet Apple bekanntermaßen bei jeder Transaktion bis zu 30 Prozent mit. All das verschärft darüber hinaus Apples – ohnehin schon extrem strikte – Kontrolle über die eigene Plattform.

Seltsame Vorgänge

Was Apples Vorgehen ebenfalls in einem reichlich seltsamen Licht erscheinen lässt: Anfang Jänner hat das Unternehmen unter dem Namen "Apple Ads Attribution API" neue Schnittstellen für all jene, die auf dem iPhone oder iPad werben wollen, vorgestellt. Diese erlauben es, wesentlich detailliertere Informationen über die Nutzer – und die Effektivität von Werbeeinschaltungen – zu sammeln, als es bisher möglich war. Zugriff darauf gibt es aber nur, wenn die Kampagne über Apple Search Ads – also Apples eigenes Netzwerk – läuft. Wer hingegen Werbenetzwerke anderer Anbieter wählt, bekommt nur die wesentlich weniger detaillierten Daten des älteren SKAdNetwork-Frameworks. Nun könnt es natürlich sein, dass Apple diesen Umstand nachträglich noch ändert, die zeitliche Koinzidenz ist aber verblüffend – und hätte bei anderen Anbietern wohl dazu geführt, dass diese in der öffentlichen Debatte in der Luft zerrissen worden wären.

All das ist übrigens auch der Grund, warum Google so ganz anders auf die neuen Tracking-Regeln reagiert als Facebook – hat man von Apple doch gelernt, dass Privatsphärenverschärfungen durchaus gewinnbringend sein können, vor allem für Plattformbetreiber. Immerhin lässt sich das Privacy-Argument vortrefflich nutzen, um in der öffentlichen Debatte Dinge zu verkaufen, die sonst aus Wettbewerbsgründen schnell für Aufregung sorgen würden. So mag Google durch Anti-Tracking-Maßnahmen kurzfristig Geld verlieren, langfristig wird die eigene Position im Werbemarkt sogar noch gestärkt – hat man doch selbst jede Menge eigene Daten über Milliarden Nutzer, ist also viel weniger auf Drittinformationen angewiesen als die Konkurrenz.

Alles, was man tun muss, um ein paar lästige Konkurrenten loszuwerden, ist also, einfach dem Vorbild von Apple mit einem gewissen zeitlichen Abstand zu folgen – und genau das tut man derzeit mit schöner Regelmäßigkeit sowohl bei Android als auch bei Chrome. So gab es zuletzt Berichte, dass auch Google die Nutzung der Werbe-ID unter Android einschränken will, das Ende der oftmals für Tracking eingesetzten Third-Party-Cookies unter Chrome dauert zwar noch, ausgemachte Sache ist es aber. Für die Nutzer ist das eine erfreuliche Entwicklung – für die Konkurrenz eher nicht.

Und doch ...

Angesichts dieser Feststellungen mag das Folgende überraschen, aber: So unaufrichtig dieses Vorgehen von Apple auch sein mag, es ist trotzdem richtig. Das Internet hat sich über die Jahre zu einem komplett außer Kontrolle geratenen Überwachungssystem entwickelt, bei dem niemand, und zwar wirklich niemand einen Überblick hat, wessen Daten jetzt wohin gelangen. In dieser Hinsicht – zu Recht – oft kritisierte Firmen wie Facebook oder Google stellen dabei nur die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs dar. Hinter den Kulissen agiert ein Netz aus der breiten Masse kaum bekannten Datenhändlern, die die Aktivitäten der User ausspionieren. Dass dies ein Ende finden muss, ist weitgehend unumstritten. Dass das negative Nebeneffekte haben dürfte, ebenso. Gleichzeitig ist es natürlich schwer, Mitleid mit jenen zu haben, die jahrelang aktiv zu diesem System beigetragen haben.

Alles gut also? Nein. Diese Differenzierung ist nämlich wichtig, um etwas anderes nicht aus dem Auge zu verlieren: Das Privacy-Argument darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dahinter ein beinhartes Ausnutzen – und ein Ausbau – der eigenen Marktmacht steht. Und zwar ja: nicht nur bei Google, sondern auch bei Apple. Denn der Umstand, dass Android das weltweit am meisten genutzte Betriebssystem ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Apple nicht nur von allen Smartphone-Herstellern den meisten Gewinn einstreift, sondern vor allem auch den profitabelsten App Store betreibt. Und dass all die aktuellen Schritte zulasten vieler kleinerer Anbieter gehen, die in der Realität keinerlei Chance haben, dem Griff Apples zu entkommen. (Andreas Proschofsky, 20.2.2021)