Die Zuversicht stirbt zuletzt: Kirill Serebrennikow, als Theaterleiter in den Augen der Moskauer Kommunalbehörden missliebig geworden.

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2012 hatte der schillernde Kirill Serebrennikow ein verstaubtes Stadttheater unweit des Kursker Bahnhofs in Moskau übernommen, wenige Monate später eröffnet und innerhalb kürzester Zeit in eine der angesagtesten Bühnen der russischen Hauptstadt verwandelt. Selbst monatelanger Hausarrest, der im Rahmen eines fragwürdigen Strafverfahrens wegen angeblichen Betrugs über Serebrennikow verhängt worden war, tat dem Riesenerfolg keinen Abbruch. Die Kritik war von vielen Produktionen begeistert, das Publikum strömte in diesen Tempel der künstlerischen Freiheit.

Als der 51-Jährige am 2. Februar, dem Festtag seiner Institution, zu einer Rede anhob, waren nur wenige eingeweiht: Der Theaterdirektor resümierte, was in Achteinhalbjahren alles erreicht worden sei. Über künftige Pläne verlor er kein Wort.

Stunden später berichtete die staatliche Nachrichtenagentur TASS, dass die Kulturabteilung der Moskauer Stadtregierung den am 25. Februar 2021 auslaufenden Vertrag mit Serebrennikow nicht verlängern werde. Vergangene Woche wurde verlautbart, dass der Schauspieler Alexej Agranowitsch die Leitung des Theater übernehme. Er hatte in zwei Produktionen bei Serebrennikow gespielt, hauptberuflich Preisverleihungszeremonien inszeniert. Ästhetisch und inhaltlich steht er für nichts. "Meine Mission besteht jetzt darin, zu verstehen, in welche Richtung sich das Gogol-Zentrum entwickeln soll", kündigte der 50-jährige Agranowitsch an.

Staatliche Fädenzieher

Der verantwortliche Moskauer Kulturstadtrat Aleksandr Kibowski, der den Starregisseur 2020 noch öffentlich verteidigt hatte, schwieg trotz heftiger öffentlicher Kritik. Mögliche Erklärung: Kibowski ist nicht wirklich für seine eigene Personalentscheidung verantwortlich. "Ich bin mehr als überzeugt, dass alles, was mit Serebrennikow zu tun hat, nicht auf städtischem Niveau entschieden wird", erklärte dem Standard ein Insider aus der russischen Theaterwelt. Er spielte auf die Präsidentschaftsadministration an, die in Wladimir Putins Russland traditionell die Fäden im Hintergrund zieht.

Wie bereits nach seiner Verurteilung im Sommer spekulierten Weggefährten Serebrennikows, dass er das Land verlassen könnte. Vergleiche wurden zu Juri Ljubimow gezogen, dem 1984 entlassenen und in die Emigration getriebenen Direktor des Tanganka-Theaters in Moskau. "Warum gefällt es uns so, dass der Stiefel des Staates die Talentiertesten aus dem Land jagt", beklagte Tschulpan Chamatowa im liberalen Moskauer TV-Sender "Doschd". Als russische Schauspielerin schmerze es sie, dass Serebrennikow in der großen Welt inszenieren werde und man zu seinen Premieren dann ins Ausland fahren müsse.

Ob der Regisseur das Land angesichts seiner Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe überhaupt verlassen darf, bleibt unklar. Zuvor müsste er gemeinsam mit zwei Mitverurteilten knapp anderthalb Millionen Euro für einen de facto nicht eingetretenen Schaden an das russische Kulturministerium überweisen. Nichts hat die Entlassung mit jener Zuspitzung zu tun, die seit der Rückkehr von Oppositionspolitiker Nawalny zu beobachten ist. Personen im Umfeld des Regisseurs wussten bereits Anfang Jänner von der bevorstehenden Entscheidung.

Antiwestliche Stimmung

Die Behandlung dieser Information wie ein Staatsgeheimnis und Serebrennikows Zurückhaltung illustriert freilich jenes Klima, das auch Kulturinstitutionen erfasst hat. So orderte dieser Tage die Leiterin des Moskauer Meyerhold-Zentrums, Jelena Kowalskaja, auf der Homepage ihrer Institution Informationen über eine Schauspielerin zu löschen, die zuvor zur Teilnahme an Nawalny-Protesten aufgefordert hatte.

Regisseur Konstantin Bogomolow versicherte Russlands Mächtige indes mit einem antiwestlichen Manifest seiner Loyalität. Im Westen entstünde ein "ethischer Sozialismus", in dem Queer-Aktivisten, Feministen und Ökopsychopaten das Sagen hätten, polemisierte er in der "Nowaja Gaseta". 2013 hatte er noch Nawalny im Moskauer Wahlkampf unterstützt, 2018 wechselte er ins Lager von Bürgermeister Sergej Sobjanin, dessen Kulturabteilung ihn Monate später zum Leiter des Malaja Bronnaja-Theaters ernannte.

Kritik am Manifest übte unter anderem Theaterregisseur Iwan Wyrypajew. Er merkte an, dass es Bogomolow an Verständnis für aktuelle Prozesse in Europa fehle. Der in Warschau lebende Wyrypajew selbst könnte derzeit nur unter großem Risiko nach Russland zurückkehren: Nachdem er ein Unterstützervideo für Nawalny veröffentlicht hatte, beschäftigen sich russische Ermittler auch mit ihm. (Herwig G. Höller, 15.2.2021)