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Die Wirtschaft ist in der Pandemie selbst für Ökonomen ein Puzzle. Woran liegt der Absturz der heimischen Volkswirtschaft? Neben Tourismus und Lockdowns sucht Wifo-Chef Christoph Badelt weitere Gründe, weil ihm die bekannte Erklärung nicht reicht. Er vermutet, dass die schlechte Stimmung der Verbraucher eine Rolle spielt. Und denkt darüber nach, warum die Schweiz mit weniger Zusperren in etwa das Gleiche erreicht hat wie Österreich, wirtschaftlich aber viel besser dasteht.

STANDARD: Corona hat die österreichische Wirtschaft besonders hart getroffen. Wie kommen wir aus dem Tal wieder heraus?

Badelt: Wir hoffen darauf, dass sich die Pandemie so entwickelt, dass der Aufschwung im zweiten Halbjahr wirklich beginnen kann. Ob die von uns prognostizierten 2,5 Prozent Wachstum heuer halten, hängt stark davon ab, ob der jetzige Lockdown der letzte sein wird. In der Zwischenzeit zweifeln wir daran. Die EU-Prognose sagt uns zwei Prozent Wachstum voraus, das kann ich mir durchaus vorstellen. Das ist aber eine Bauchaussage.

STANDARD: Aber warum stehen wir um so viel schlechter da als vergleichbare Länder?

Badelt: Es gibt ein paar Argumente, warum sich die österreichische Wirtschaft schlechter entwickelt als der EU-Durchschnitt, vor allem auch im Verhältnis zu Deutschland und zur Schweiz. Aber wir wissen nicht, wie viel diese Aspekte genau ausmachen. Dem gehen wir im Wifo gerade nach. Natürlich spielt der Tourismus eine große Rolle, aber schon hier ist das Ausmaß nicht ganz klar. Im Vergleich zu anderen Ländern hat der österreichische Tourismus 2020 weniger verloren, vor allem im Sommer. Die andere Seite – etwa im Vergleich mit der Schweiz – ist, dass dort einige wichtige Branchen wie Finanz, Pharma und Chemie überhaupt nicht Corona-anfällig sind.

STANDARD: Aber das kann ja nicht erklären, dass Österreichs Wirtschaft Ende des Vorjahres den größten Absturz in der EU erlitten hat.

Badelt: Bedeutsam ist aus meiner Sicht nicht ein einzelnes Quartal, sondern die Gesamtentwicklung 2020 und die Prognose für heuer. Da liegen wir im internationalen Vergleich schlecht, wenngleich die Unterschiede nicht so groß sind wie im vierten Quartal.

Wifo-Chef Badelt rätselt noch ein wenig darüber, warum die österreichische Wirtschaft so schlecht dasteht.
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STANDARD: Das Minus von 4,3 Prozent bei der österreichischen Wirtschaftsleistung wird von manchen Ökonomen stark in Zusammenhang mit den Lockdowns gebracht. Wie sehen Sie das?

Badelt: Der Zusammenhang zwischen Lockdown und negativem Wachstum ist gut gesichert. Österreich war im vierten Quartal bei Lockdowns strenger als viele andere Länder. Deutschland war mit harten Maßnahmen später dran, die Schweiz ist immer weniger rigoros geblieben. Je mehr Sie zusperren, desto stärker schrumpft die Wirtschaft.

STANDARD: Also eine Mischung aus Lockdown und Rolle des Tourismus wirkt sich hierzulande besonders negativ aus?

Badelt: Ja, aber ich glaube nicht, dass diese beiden Faktoren den Unterschied ganz erklären. Aber jetzt kommen wir ins Schwimmen, weil wir mit vagen Hypothesen arbeiten. Diese beziehen sich auf die Nachfrageseite, auf das allgemeine Klima und das Konsumverhalten. Hier haben wir anhand der hohen Sparquote gesehen, dass das Geld nicht ausgegeben wird. Das ist natürlich ein Wahnsinn.

STANDARD: Also spielen Psychologie und Stimmung eine schwer einschätzbare Rolle?

Badelt: Es gibt ein paar Puzzles. Man fragt sich, wie ein Land wie die Schweiz mit einer so viel niedrigeren Regulierung durchkommt. Das muss schon etwas mit der Compliance mit den Vorschriften zu tun haben. Das ist kein ökonomisches Argument, aber um die Situation der österreichischen Wirtschaft im Vergleich zu Nachbarländern zu verstehen, muss man der Frage nachgehen. Im Augenblick ist die wirtschaftliche Entwicklung besonders stark durch nichtökonomische Faktoren bestimmt.

STANDARD: Die Regierung rühmt sich ihrer großen Hilfen und Schritte zur Konjunkturbelebung. Sie scheinen nicht viel Wirkung zu haben.

Badelt: Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen haben nicht stark auf das Wachstum gewirkt, weil wir gleichzeitig den Branchen, die die meisten Hilfen bekommen haben, das Produzieren verboten haben. Das heißt nicht, dass die Maßnahmen schlecht waren. Vielmehr hatten sie das Ziel, die Unternehmen und die Arbeitsplätze zu sichern, damit sie nach der Krise wieder produzieren können. Die Maßnahmen, die besonders viel kosten, sind die Kurzarbeit, die Unternehmenshilfen und die Investitionsprämie. Letztere wird stark wirken. Kurzarbeit und Unternehmenshilfen konnten sich nicht stark auswirken, weil sie sich auf Branchen bezogen haben, die im Lockdown waren. Damit hat man Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet. War das gescheit? Es war alternativlos.

Gasthäuser und Dienstleister spielen hierzulande eine große Rolle.
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STANDARD: Aber bei Kurzarbeit und Unternehmenshilfen gibt es auch Skepsis von Experten. Die Maßnahmen könnten negative Anreize für ein stärkeres Hochfahren beinhalten und den Strukturwandel behindern.

Badelt: Die Instrumente bergen die Gefahr einer Überförderung, das kann man nicht leugnen. Die Frage ist, ob man diesen Effekt beim Wachstum merkbar spüren kann. Einen großen Anteil halte ich nicht für plausibel. Dass ein Hotel ein oder zwei Wochen länger schließt, weil die Kosten vom Staat großteils abgedeckt werden, ist denkbar. Aber auf Dauer würde das Hotel Stammgäste verlieren, daher halte ich ein zu langes Schließen nicht für rational.

STANDARD: Und was sagen Sie zum behinderten Strukturwandel?

Badelt: Strukturwandel würde heißen, dass man Unternehmen, die auch ohne Krise nicht überlebensfähig sind, sterben lässt. Da frage ich mich, warum das zu höherem Wachstum führen sollte. Die reale politische Frage ist, wann traut man sich, Betriebe in Konkurs gehen zu lassen. Das wird sich in den nächsten zwei Monaten entscheiden. Meine Auffassung ist, dass Insolvenzen kommen werden müssen. Das wird aber keine wesentlichen Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft haben, weil vor allem kleinere Unternehmen betroffen sein werden. In dem Ausmaß, in dem Kleine pleitegehen, werden neue Unternehmen gegründet werden, wenn der Aufschwung erst einmal da ist.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr einer Pleitewelle, die von vielen Experten vorhergesagt wird?

Badelt: Die Stärke der Welle ist schwer zu prognostizieren. Was die Sache so schwierig macht: Bisher hat man noch nie einen Finanzminister für Pleiten verantwortlich gemacht. Jetzt wird man ihm die Schuld geben, weil er eines Tages sagen wird: Jetzt ist es aus mit den Steuerstundungen. Die Wahrheit kommt dann, wenn die Stundungen beendet werden.

STANDARD: Sie und andere führende Wirtschaftsforscher haben die Regierungspolitik ziemlich unkritisch kommentiert. Von Kurzarbeit bis Unternehmenshilfen gab es viel Lob. Nun steht Österreich besonders schlecht da – alles richtig gemacht?

Badelt: Na ja. Als die Gesundheitskrise gekommen ist, gab es keine Alternative zu diesen Maßnahmen. Dass die Maßnahmen grundsätzlich richtig sind, dazu stehe ich nach wie vor. Ich habe kein Interesse, die Politik schönzureden. Ich wüsste nicht, wo man etwas im großen Stil hätte anders machen sollen.

Tourismus-Jobs seien nicht alle zu retten, findet Badelt.
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STANDARD: Aufgrund welcher Fakten beurteilen Sie die Politik positiv, wenn beispielsweise bei Konjunkturförderung weder konjunkturelle noch ökologische Wirkung nachweisbar ist?

Badelt: Ich habe die Investitionsprämie so positiv eingeschätzt, weil ein nicht so kleiner Anteil von Unternehmen in den Konjunkturtests angegeben hat, Investitionen zurückgestellt oder abgesagt zu haben. Daher war die Investitionsprämie ein gutes Instrument, diese Projekte aus der Schublade zu holen. Die sollte aber später zurückgefahren werden, weil sonst die Mitnahmeeffekte zu groß sind.

STANDARD: Von den konjunkturellen Maßnahmen der Regierung sind laut Ihrer Kollegin Margit Schratzenstaller nur zehn Prozent umweltrelevant. Wäre das kein Anlass für Kritik?

Badelt: Die Investitionen im Klima- und in anderen Bereichen sind in meinen Augen keine kleinen Werte.

STANDARD: Wie muss sich der Tourismus entwickeln, um den neuen Gegebenheiten gerecht zu werden?

Badelt: Overtourism in den Alpen hätten wir auch ohne Corona gehabt. Die Pandemie wird möglicherweise dazu führen, dass der transkontinentale Tourismus vor allem in den Städten nie wieder in alter Form zurückkommt. Denken Sie beispielsweise an die großen Kongresse. Es wird nicht möglich sein, die Zahl der Betten im Städtetourismus zu erhalten. Womit wir wieder beim Thema Konkurse sind. Auf dem offenen Land erwarte ich da auch Veränderungen. Wenn die Menschen die vollkommene Verseilbahnung des Landes nicht mehr wünschen, dann wird sich das auch in der Nachfrage auswirken. Ich hoffe, dass die Tourismuswirtschaft klug genug ist und rasch reagiert.

STANDARD: Was heißt das für die betroffenen Arbeitsplätze?

Badelt: Wir können nicht alle Arbeitsplätze im Tourismus erhalten. Daher ist die Verkoppelung der Kurzarbeit mit Weiterbildung und Umschulung auch so wichtig, die sich sicher auch auf den Tourismus wird beziehen müssen. (Andreas Schnauder, 15.2.2021)