Über die neue Schnauze lässt sich trefflich streiten. Und das wird unter BMW-Freunden (und auch unter Gegnern) angestrengt und ausführlich getan. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe.

Aber ja, bei einem BMW spielt die Frontpartie eine ganz entscheidende Rolle. Bei Mercedes ist es der Stern, bei Audi sind es die Ringe, bei Škoda ist es der angeschossene Vogel, bei BMW sind es eben die Nieren, die die Fahrzeuge unverwechselbar machen. Seit 1933 übrigens, also damit spielt man nicht. Der zweigeteilte abgerundete Kühlergrill ist das charakteristische Merkmal aller BMW-Modelle. Und jetzt schaut die Niere auf einmal anders aus, ist wulstig und viel zu groß, könnte das nicht auch ein Jaguar sein? Spielt nicht Bentley auch mit so einem Kühlergrill?

Dass die neue Niere, die die gesamte Höhe der Front einnimmt, nicht monströs, sondern richtig gut aussehen kann, merkt man, wenn man die Perspektive ändert. Klar, das formschöne 4er-Coupé spielt da mit, bei einem SUV wirkt das anders. Und apropos: Der Bayerische fährt sich auch so sportlich, wie er aussieht.
Foto: Stockinger

Die Reaktionen der BMW-Fans und auch vieler Journalisten waren überwiegend – ja, seien wir ehrlich: entsetzt. Grotesk, eine klaffende Wunde, überdimensionale Hasenzähne, eine nach außen gestülpte Klimaanlage, monströs. Also hässlich. Ungewohnt eben.

Eher aufbauen als ducken

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Ganz ehrlich: So schlimm ist es bei weitem nicht. Ja, diese XXL-Kühlluftöffnungen sind auch für meinen Geschmack etwas zu groß geraten, sie haben die Eleganz und die Diskretion der schlanken Nieren früherer Jahre hinter sich gelassen, passen vielleicht mehr zu einem SUV, der sich vorn aufbaut, als zu einem Coupé, das sich in die Straße duckt.

Aber so ist das heute nun einmal, da muss man schon ein bisschen mehr auf den Putz hauen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Abwechslung ist das halbe Leben. Mutig ist die Entscheidung jedenfalls, und es ist besser, für Diskussionen zu sorgen, als Langeweile zu verbreiten.

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Dass die Monsterniere gleich einmal beim 4er-Coupé zum Einsatz kommt, kann auch kein Zufall sein. Das Coupé ist schlank und elegant, sitzt tief und schneidet scharf, aber vielleicht riskiert gerade jene BMW-affine Kundschaft, die sich für ein 4er-Coupé entscheidet, gerne auch eine dicke Lippe.

Ein Auto zum Fahren

Grafik: Der Standard
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Aber jetzt lassen wir die Monsterniere einmal beiseite. Das neue 4er-Coupé schaut (von der Seite betrachtet) super aus. Sehr dynamisch, nicht zu sportlich, aber doch schnell, noch auf der eleganten Seite. Und was es von außen verspricht, hält es ein. Eine seltene Mischung aus Komfort, in den man sich hineinkuscheln möchte, und Fahrspaß, von dem man nicht genug bekommt. Wenn ich zwischen Benzin und Diesel wählen kann, bin ich immer beim Benziner, der BMW macht diese Frage aber wirklich schwer. Der Zwei-Liter-Diesel ist fantastisch, leise, gemütlich, tolles Drehmoment, sportlich, aggressiv, dabei auch noch halbwegs sparsam. Ein durchschnittlicher Verbrauch von sechs Litern im Alltag ist für einen Wagen mit 190 PS ein vertretbarer Wert, da kenn ich lahme (und neue) Enten mit schlechteren Verbrauchswerten.

Und wie herrlich ist es, wieder in einem Auto zu sitzen, das zum Fahren da ist, nicht zum Transportieren oder Praktischsein, nicht zum Angeben oder wegen der Familie, sondern wirklich wegen der Gefälligkeit und der Dynamik.

Technisch sind die Bayern mit ihren Autos sowieso ganz vorn dabei, vom Design auch – wobei wir jetzt wieder bei der Niere sind. Stört sie? Verdammt, es ist nur ein Auto. (Michael Völker, 18.2.2021)