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Ob man Windräder mag oder nicht: Österreich will weg von Öl und Gas, und darum brauchen wir tausende zusätzliche im Land. Weil man sie nur schwer verstecken kann, haben sie schon in der Vergangenheit für hitzige Diskussionen gesorgt. Die werden nicht weniger. Den Umstieg auf Erneuerbare wird man in ganz Österreich sehen. Wenn er klappt. Dafür braucht es mehr Bürger und Bürgermeister, die sagen: Ja, ich will.

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Es muss mehr Wind um die Windkraft gemacht werden.
Foto: imago images/BildFunkMV

Die türkis-grüne Regierung hat einen klaren Fahrplan: Die Windkraft soll massiv ausgebaut werden, wenn Österreich in neun Jahren 100 Prozent erneuerbaren Strom und bis 2040 die ganze Wirtschaft dekarbonisiert haben möchte. Bis 2030 braucht es je nach Rechnung etwa 1400 Windräder zusätzlich zum jetzigen Stand von 1300. Das ist nicht einmal mehr so teuer. In den vergangenen zehn Jahren ist Windkraft laut der Agentur Irena um 39 Prozent billiger geworden, die Photovoltaik übrigens um 82 Prozent. Platz ist prinzipiell auch genug da.

Sonne und Wind sind schon jetzt die billigsten Energieformen, wenn man neu baut, sagt Gustav Resch von der TU Wien. Das Problem: Das Angebot an Strom ist eigentlich schon groß genug. Deshalb sind auch die Preise niedrig. Nur ist der Strom, so wie er produziert wird, schmutzig. In vielen Ländern, etwa in Deutschland, kommt er aus Kohlekraftwerken. Die werden subventioniert. Genau wie Atomkraftwerke oder Gas-Pipelines. Der freie Markt existiert also nicht, darum brauchen auch Wind und PV Subventionen, um mitzuhalten.

Davon gab es in der Vergangenheit zu wenig, um die Klimaziele zu erreichen. Der Betreiber WEB etwa spricht davon, dass manche Windprojekte vier Jahre warten mussten, bis sie einen geförderten Einspeisetarif bekamen. Das soll sich mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz ändern, das voraussichtlich heuer durch das Parlament geht. Künftig soll auch differenziert werden: Standorte mit viel Wind werden weniger gefördert als jene mit weniger. Das soll dafür sorgen, dass nicht mehr großteils nur in Niederösterreich und im Burgenland gebaut wird.

Das könnte aber für mehr Proteste sorgen, die bei Windrädern immer wieder hochkommen. Kaum eine Technologie regt so auf. Die drei wichtigsten Kritikpunkte:

1. Die Landschaft wird verschandelt

Auch wenn es zig verschiedene Gründe gibt, die gegen Windkraft vorgebracht werden, viele lassen sich im Kern darauf zurückführen: Ein manchmal größerer, ein manchmal kleinerer Anteil der Menschen in Gemeinden findet sie einfach hässlich. Da gibt es wenig zu diskutieren. Spannend sind die Allianzen, die sich gegen Windkraftanlagen formieren: Da sind schon mal die wohlhabenden Städter mit ihrem Zweitwohnsitz auf Seite der linken Naturschützer, des Alpenvereins und der Jäger, die ihre Landschaft gerne so hätten, wie sie immer war.

Die Frage ist: Was ist die Alternative? Nichts gegen den Klimawandel zu tun kann es nicht sein. Strom muss sauber produziert werden. Auch Photovoltaik-Anlagen wird man zukünftig mehr sehen, auf Dächern, in der Landwirtschaft, auf Freiflächen. Wasserkraft ist in Österreich nahe am Zenit. Atomkraft wollen wir nicht. Erneuerbare, gerne, aber nur nicht bei mir?

Umfragen legen nahe, dass das nicht so ist. 67 Prozent der Menschen in Österreich sind laut einer repräsentativen Umfrage von Deloitte einverstanden, dass ein Windrad in der Nähe bzw. in ihrer Gemeinde gebaut wird. Das sind weniger als bei Photovoltaik (87 Prozent), aber eine satte Mehrheit. Nur fünf bis sechs Prozent der Projekte scheitern, sagt Stefan Moidl von der IG Windkraft. Für die Widmung der Fläche braucht es einen Beschluss des Gemeinderats. Bei Volksbefragungen würde etwa ein Viertel der Vorhaben scheitern.

2. Tiere und Natur werden gefährdet

Das nächste Argument gegen Windräder: Sie gefährden die Natur. Hans Winkelmeier, so etwas wie der Doyen der Windkraft in Österreich, sieht das anders: Windräder sind die Gazellen unter den Stromerzeugern, sagt er. "Ein Windrad hat in drei Monaten die Energie erzeugt, die es zur Herstellung braucht." Bei der Photovoltaik sind das ein paar Jahre. Außerdem braucht ein Windrad wenig Platz. Alles in allem etwa einen halben Hektar, mit dem Strom für eine ganze Gemeinde mit 2.000 Menschen erzeugt wird.

Trotzdem ist ein Windrad ein Eingriff in die Natur. Um es zu bauen, braucht es einen Kran, Betonmischer, Wege müssen geebnet werden, das Windrad wiegt mehrere Hundert Tonnen. An den Flügeln kommen Fledermäuse und Vögel um, manche fliegen in den Turm. Weil die Natur ohnehin im Rückzug ist und viele Arten bedroht sind, müssen Windkraftbetreiber das alles im Vorfeld prüfen. Die Hälfte der Flächen wird deshalb schon im Vorfeld von Zoologen ausgesiebt, heißt es beim Windkraftbetreiber WEB.

Lebensraum eingeschränkt

Fest steht, dass Windräder den Lebensraum gewisser Arten einschränken. Ursula Nopp-Mayr, Professorin an der Boku, hat mit der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg bei Studien in Österreich, Deutschland und Schweden festgestellt, dass etwa das Auerhuhn Flächen 650 Meter rund um Windräder weniger oft nutzt. Schatten und Lärm spielen dafür wohl eine Rolle. Darüber hinaus würden die Studienergebnisse zeigen, dass sich bei der Raumnutzung des Auerhuhns – großräumig betrachtet – nicht so viel ändere.

Dass eine gewisse Zahl an Tieren durch Windkraftanlagen umkommt, ist ebenfalls ein Fakt. Dies in Zahlen zu gießen ist für Wissenschafter aber schwer. Eine Reihe an Forscherinnen empfiehlt in einer Studie aber, in das Habitat von Raufußhühnern keine Windparks zu bauen, besonders dort, wo die Population gefährdet ist. Auch Greifvögel sorgen immer wieder für Debatten. Der Biologe Tobias Friedel, der mit seinem Ingenieurbüro für Betreiber von Windparks arbeitet, fordert einen Blick auf Populationen statt auf einzelne Tiere.

"Wenn man den Artenschutz radikal interpretiert, darf man nicht mehr Auto fahren, weil man alle 3000 Kilometer einen Vogel überfährt." Es seien zwar Kollisionen von Windrädern etwa mit Seeadlern dokumentiert, aber die Population in Österreich sei aufstrebend, wie beim Sakerfalken oder beim Rotmilan. Man müsse Populationen schützen, aber einzelne Tiere seien ein Kollateralschaden, bis man die Erneuerbaren weit genug ausgebaut habe. Hier wäre entscheidend, das übergeordnete, öffentliche Interesse an Windrädern einzubeziehen.

3. Sie sind laut und sorgen für Kopfweh

Von Anrainern hört man immer wieder, dass die Windräder zu laut sind und bei manchen sogar für Kopfweh oder Schlafprobleme sorgen. Windräder sorgen für Lärmemissionen, das steht fest. Sie müssen deshalb Abstände zu Siedlungen und Schallgrenzen einhalten. Das ist in Österreich gesetzlich geregelt. Der Psychologe Johannes Pohl sagt, dass jene Personen, die im Vorfeld gegen Windparks sind, häufiger über Beschwerden klagen. Deshalb sei es wichtig, im Vorfeld auf die Sorgen der Menschen möglichst einzugehen. Das vermindere die Wahrscheinlichkeit späterer Beschwerden.

Wen also das Windrad nervt, der bekommt auch eher Kopfweh davon. Das betrifft aber nur einen kleinen Teil der Menschen. Immer wieder gibt es Beschwerden über Infraschall. So nennt man Schallwellen im Frequenzbereich von unter 20 Hertz. Sie sind für die meisten Menschen nicht hörbar. Eine Untersuchung zeigte, dass eine 3,5-stündige Autofahrt für eine gleiche Belastung mit Infraschall sorgt, wie wenn man 27 Jahre in 300 Meter Abstand zu einem Windrad stehen würde. "Der Infraschall, der bei Menschen ankommt, ist viel zu schwach, als dass er allein Schlafprobleme oder Gereiztheit erklären könnte", sagt Psychologe Pohl.

Ein neuer Flaschenhals

Experten sind zuversichtlich, dass der Windkraftausbau funktionieren kann. Die Technologie wird besser und billiger, und die Fördertöpfe des Bundes sollen großzügiger werden. Bleibt nur noch die Frage: Wie sieht es mit der Akzeptanz der Bevölkerung und der der Lokalpolitik aus. In vielen Bundesländern tut sich die Windkraft noch schwer. Die Landesregierung in Oberösterreich sagt, es gebe keinen Platz mehr für Windräder. Von den 1.307 Windrädern in Österreich stehen 30 in Oberösterreich. Auch in Salzburg, wo es noch kein einziges gibt, scheiterten einige Projekte an Widerstand.

In Vorarlberg und Tirol gibt es ebenfalls noch kein einziges Windrad. Auch dort ist eine Mehrheit der Menschen bereit, ein Windrad in bzw. in der Nähe der Gemeinde zu akzeptieren. Es sind aber mit 64 bzw. 66 Prozent weniger als in anderen Bundesländern. Im kleinen Burgenland, wo gleich 437 Anlagen stehen, ist die Akzeptanz besonders hoch: 88 Prozent. Im föderalen Österreich ist es im Prinzip so: Der Green Deal der EU oder die ambitionierten Klimaziele können die Bundesländer einfach ignorieren, wenn sie möchten. Sie sind Herr der Flächenwidmungen.

"Der Bund hat aber alle Möglichkeiten", sagt Stefan Moidl von der IG Windkraft. "Bis 2020 gab es die Vereinbarung, dass die Bundesländer mitzahlen müssen, wenn wir die Klimaziele verfehlen." Derzeit sei die Verantwortung nicht mehr verschränkt. Wenn der politische Wille da sei, könnte der Bund hier mehr Druck ausüben. Er müsse sich nur trauen.

Partizipation als A und O

Auch der Naturschutz liegt in den Händen der Bundesländer. Spielen sie mit, könnten sie den Ausbau der Windkraft möglichst schonend für den Artenschutz vorantreiben – etwa durch Zonierungen, wie es sie in Niederösterreich gibt. Die Politik hat, gemeinsam mit Experten, festgelegt, wo Zonen für Windkraft sind und wo diese von vornherein ausgeschlossen wird.

Neben der Landespolitik sind auch die Bürgermeister essenziell. "Sie müssen vorangehen", sagt Patrick Scherhaufer von der Boku, der zu Akzeptanz von erneuerbaren Energien forscht. "Sie müssen sich trauen zu sagen, das ist sinnvoll und gscheit." In Österreich hat sich zudem eingebürgert, dass Windkraftbetreiber eine Abgabe mit der Gemeinde ausschnapsen. Man könnte öffentlich diskutieren, was man mit dem Geld finanzieren wolle, so Scherhaufer.

Er hält Partizipation für das A und O guter Projekte. Im Prinzip kann jeder, der ein Windrad bauen möchte, einfach ein Stück Grund pachten, der Gemeinderat kann das ohne Befragung der Bevölkerung beschließen, und nach dem Okay der Behörden steht das Ding. Das ist aber oft das beste Rezept, um die Menschen gegen Windräder aufzubringen. Würden Betreiber mehr auf die Bevölkerung eingehen, was etwa Höhe oder Anzahl von Windrädern betrifft, hätten sie mehr Chancen. "Es passiert aber selten, dass darauf wirklich reagiert wird."

Yimby statt Nimby

Fest steht: Windräder brauchen Platz und nehmen manchen Arten Lebensraum weg. Der ist aber besser investiert als bei vielen Straßen oder Einkaufszentren, die meist ohne Proteste gebaut werden. Fest steht auch, dass das Artensterben auch durch die globale Erhitzung vorangetrieben wird. Und diese lässt sich ohne Windräder, die Öl und Gas ersetzen, nicht aufhalten. Es braucht einen Konsens für mehr Windkraft und Photovoltaik in Österreich.

Dann diskutieren wir bei neuen Windparks künftig vielleicht weniger über Infraschall und mehr darüber, wie wir sie umweltfreundlicher machen. Moderne Anlagen schalten sich jetzt schon zu den Zeiten ab, an denen Fledermäuse am aktivsten sind. Türme und Flügel könnte man vielleicht anmalen. Laut der Wildtierökologin Nopp-Mayr gibt es erste Hinweise, dass das Raufußhühnern helfen könnte, seltener dagegen zu fliegen.

Was können Sie tun? Auf Englisch hat sich der Ausdruck "Nimby" ("Not in my backyard") für Gegner von Projekten eingebürgert, die für Einzelne manchmal ärgerlich sind, aber für die Gesellschaft wichtig – etwa neue Wohnhäuser in Städten oder eben Windräder. Wer etwas gegen den Klimawandel machen möchte, kann also ein "Yimby" werden: Yes, in my backyard. Her mit den Windrädern! Dann sind irgendwann nicht mehr nur die Gegner laut.

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