In der Pandemie ist die Arbeitslast für Zusteller, die sowieso schon unter sehr schwierigen Bedingungen beschäftigt werden, enorm gestiegen.

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Es ist ein Ärgernis, das dem Zusteller DPD nun sogar ein Verfahren der Regulierungsbehörde RTR eingebrockt hat: Eigentlich sitzt man daheim, das Paket sollte in der nächsten Stunde kommen – bis man plötzlich die Benachrichtigung liest, dass ein Zustellversuch unternommen worden sei. Zu Hause wurde man angeblich nicht angetroffen, weshalb das Paket zu einer Abholstation gebracht werde. Gerade während der Pandemie, in der Käufer erst recht aufgrund von Lockdowns und Homeoffice daheim sind, sorgt das für Frustrationen. Die Arbeiterkammer (AK) empfiehlt, derartige Fälle bei der RTR zu melden.

Doch was sich bei Betroffenen oft als Ärger gegenüber den Zustellern kanalisiert, ist häufig ein Ergebnis der prekären Bedingungen, unter denen die Boten arbeiten müssen. Der durch die Pandemie bedingte Boom im Onlinehandel hat die Arbeitslast massiv gesteigert. Das zeigt beispielsweise ein Blick auf die ausgelieferten Pakete der Post: 2020 waren es mit 165 Millionen transportierten Packerln ein Drittel mehr als 2019, als noch 127 Millionen Pakete ausgeliefert wurden. Im Vergleich dazu waren es 2009 gerade einmal 50 Millionen.

Wenig Zeit für viele Pakete

In der Praxis bedeutet das aber nicht, dass die Infrastruktur entsprechend ausgebaut wurde – sondern vorwiegend, dass die Boten während ihrer Arbeitszeit weitaus mehr Pakete ausliefern müssen als in der Vergangenheit. Dadurch kommen sie unter einen enormen Zeitdruck, der häufig dazu führt, dass sie den Weg zur Abholstation bestreiten. Der Gewerkschaft Vida zufolge hätten die Zusteller häufig nicht mehr als drei bis vier Minuten Zeit, um ein Paket zuzustellen. Der Arbeitsdruck sei vor allem während des Weihnachtsgeschäfts enorm hoch, 2019 mussten sie der Gewerkschaft zufolge 200 Pakete täglich ausliefern, 2020 waren es geschätzt zwischen 250 und 300.

Dazu kommt die branchenübliche Praktik von Dienstleistern, die Auslieferung an Subunternehmen und Selbstständige auszulagern, erklärt Mathias Grandosek von der Arbeiterkammer Wien im STANDARD-Gespräch. Dadurch sind die Fahrer nicht angestellt, sondern arbeiten meistens als Selbstständige oder zum Teil auf Werkvertragsbasis. Bezahlt werden sie oft nicht nach Stundensatz, sondern nach zugestellten Paketen.

"Prekäre Verhältnisse"

Durch ein solches Vorgehen würden "prekäre Beschäftigungsverhältnisse" geschaffen, kritisiert Vida-Gewerkschafter Karl Delfs. So lagert etwa Amazon, in Österreich der mit Abstand populärste Onlinemarktplatz, die Zustellung seiner Pakete auf Subunternehmen aus. Dort werden die Beschäftigten Teil der sogenannten Gig Economy: Anstatt fest angestellt zu sein, erhalten sie Aufträge und fungieren so als Vermittler zwischen Kunden und Händlern. So funktionieren etwa auch Essensbestelldienste wie Mjam oder der Fahrdienstleister Uber. Effektiv bedeutet das, dass sie das gesamte unternehmerische Risiko auf sich nehmen müssen – inklusive der Sozialversicherung oder der Besteuerung der Einnahmen, die sie selbst erledigen müssen. Die genauen Vertragskonditionen vieler Fahrer sind aufgrund der zahlreichen Geflechte an Auftragsauslagerungen intransparent, merkt Grandosek an.

Bei einer Razzia im vergangenen Jahr bei Amazon Austria fand die Finanzpolizei gleich 987 Beanstandungen, darunter Schwarzarbeit und Abgabenhinterziehung. "Ich kann mich an keine Kontrolle erinnern, bei der wir auf derartig viele Gesetzesübertretungen gestoßen sind", sagte der Leiter der Finanzpolizei, Wilfried Lehner. Der US-Konzern unterhält bei seiner Österreich-Niederlassung nur 13 Vertragspartner direkt, über Geflechte aus Unternehmen, Subunternehmen und Subsubunternehmen sind es aber 133 Dienstleister. Auf diese Weise würden große Unternehmen die Verantwortung von sich schieben, kritisiert Vida.

Bis zu 16 Stunden täglich

Wie Grandosek erläutert, käme die Problematik hinzu, dass die Arbeitnehmer eigentlich geringfügig oder Teilzeit beschäftigt werden, effektiv aber viel mehr leisten müssten. Delfs geht von Arbeitszeiten von bis zu 16 Stunden aus – an bis zu sechs Tagen die Woche. Ein Problem sei auch, dass es im Kleintransportgewerbe – im Vergleich zu Lastwagen – keine verpflichtende Arbeitszeitaufzeichnung gebe. "Von den Unternehmen wird der Standort sowieso oft in Echtzeit oder im Minutentakt getrackt, für die Behörden wird das aber nicht aufgezeichnet", so Grandosek.

Vida fordert daher die Aufzeichnung von Lenk- und Ruhezeiten auch bei Fahrzeugen unter 3,5 Tonnen – sowie ein stärkeres Vorgehen der Finanzpolizei gegen Scheinselbstständige. Die Gewerkschaft GPA ruft dazu auf, "das System Amazon endlich zu beenden", wie Vorsitzende Barbara Teiber sagt. Einerseits ginge es um die Besteuerung, andererseits um die Arbeitssituation, die der US-Konzern schaffe: "Letztendlich ermöglicht dieses gesetzeswidrige Dumpingsystem einen Wettbewerbsvorteil im Konkurrenzkampf." (Muzayen Al-Youssef, 17.2.2021)