Im Gastkommentar kritisiert Birgit Schatz, Kinderrechtsbeauftragte der SOS-Kinderdörfer, dass Kinderrechten von der Politik zu wenig Beachtung geschenkt wird. Nicht nur bei Abschiebungen, sondern auch in der Corona- und Klimakrise.

Die jüngsten Abschiebungen von in Österreich geborenen Kindern haben ein weiteres Mal gezeigt: Die tatsächliche Wirksamkeit von Kinderrechten liegt hierzulande bei praktisch null. Die neue Kindeswohlkommission unter der Leitung von Irmgard Griss soll diesem Problem auf den Zahn fühlen. Eh nett. Doch mit einer tatsächlichen Evaluierung des Bundesverfassungsgesetzes zu den Kinderrechten, so wie im Regierungsprogramm versprochen, hat das nur am Rande zu tun. Zwar werden gerade im Asylwesen die Rechte von jungen Menschen besonders dreist und augenscheinlich ignoriert – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen. Und ja, im Asylbereich besteht dringender Handlungsbedarf. Doch leider gibt es darüber hinaus eine Reihe weiterer Kinderrechtsbaustellen, vor denen die Regierung ganz offensichtlich weiterhin ihre Augen verschließen will.

Alle fünf Jahre wird Österreich vom Kinderrechteausschuss der Vereinten Nationen geprüft, wie es mit der Umsetzung der Kinderrechtskonvention steht. Ergebnis dieses komplexen Verfahrens ist ein Empfehlungsbericht, zuletzt 2020 erschienen. Darin werden für Österreich eine ganze Reihe dringlicher Handlungsfelder identifiziert. Etwa im Bildungssystem (Diskriminierung aufgrund des sozialen Hintergrunds), im Gesundheitssystem (zu wenige Therapieplätze), im Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen (Unterfinanzierung der Betreuung) – um nur drei Beispiele zu nennen.

Kaum Beachtung

Was nun? Bis heute weigern sich die jeweils zuständigen Ministerien, Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. Das sei ein zu großer Arbeitsaufwand. Wie bitte? Schublade auf, Schublade zu, wenn es um das Wohl unserer Kinder geht? Aussitzen, bis der nächste Prüfdurchgang in vier Jahren startet? Und: Wird das Ergebnis der Griss'schen Kindeswohlkommission mehr Respekt erfahren?

Dass Kinderrechte in der politischen Praxis kaum eine Rolle spielen, hat auch die Corona-Krise gezeigt. Studien belegen, dass junge Menschen jene gesellschaftliche Gruppe sind, die die Corona-Maßnahmen am stärksten belastet hat. Sie wurden durch Distance-Learning und soziale Kontaktbeschränkungen in eine Dauerkrise gestoßen. Würde die Regierung die Rechte von Kindern so ernst nehmen, wie die Verfassung es verlangt, hätten viele politische Entscheidungen des letzten Jahres anders ausfallen müssen.

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Das Kindeswohl ist auch beim Klimaschutz kein Thema.
Foto: Reuters / Leonhard Foeger

Oder nehmen wir den Klimawandel. Mit Fridays for Future haben junge Menschen geschafft, was vielen Erwachsenen zuvor nicht gelungen ist: auf das Thema Klimaschutz weltweit aufmerksam zu machen. 88 Prozent aller Elf- bis 18-Jährigen in Österreich sind der Meinung, dass umgehend gehandelt werden muss, bevor es zu spät ist. Doch macht sich die Regierung etwa daran, die Forderungen des von zigtausenden Jugendlichen unterstützten Klimavolksbegehrens aufzugreifen? Seit Wochen wird im Parlament darüber verhandelt. Zu weitgehend, zu übertrieben, heißt es – im Interesse strukturkonservativer Wirtschaftssektoren. Das Kindeswohl ist auch hier kein Thema.

Grüne Verantwortung

Zehn Jahre Kinderrechte in der Verfassung – das ist also kein Anlass für großen Jubel. Allerdings könnte dieser symbolische Zeitpunkt gemeinsam mit der Einsetzung der Kindeswohlkommission ein Anstoß sein, sich endlich mit einer tatsächlichen Wirksammachung der Kinderrechtskonvention auseinanderzusetzen.

Dazu braucht es zuerst einmal die versprochene Evaluierung des Verfassungsgesetzes zu den Kinderrechten, und zwar durchgeführt von einem unabhängigen wissenschaftlichen Institut. Verknüpft mit den Empfehlungen des UN-Kinderrechteausschuss kann so ein klarer Leitfaden für kinderrechtlichen Handlungsbedarf erstellt und Maßnahmen umgesetzt werden.
Dafür muss jemand in dieser Regierung verantwortlich sein. Es stünde den Grünen, speziell Vizekanzler und Interimsjustizminister Werner Kogler, gut an, nach der Einsetzung der Kindeswohlkommission das Thema Kinderrechte weiter auf der Top-Agenda zu halten. Kogler hat völlig recht, wenn er sagt, im Regierungsprogramm stehe nichts über kinderrechtsfeindliche Abschiebungen. Was aber sehr wohl drinsteht: Das Bundesverfassungsgesetz zu den Kinderrechten muss auf seine Umsetzung hin überprüft werden. Also – auf geht's! (Birgit Schatz, 16.2.2021)