Der Vorsitzende und Eigentümer von Klubrádió, András Arató, protestiert gegen die Einstellung des Radiosenders.

Foto: AFP / Attila Kisbenedek

Das Ende verlangte nach einer Inszenierung voller Bitterkeit und Sarkasmus. Ein namenloser Mitarbeiter in Henkerskutte und -kapuze trat Sonntagnacht im Studio des unabhängigen Budapester Klubrádió an den Kasten mit dem kleinen Hebel und der Aufschrift "Hauptschalter".

Auf seiner weißen Corona-Schutzmaske prangte die Buchstabenfolge NER – sie ist das Akronym für "Nemzeti Együttmüködési Rendszer", zu Deutsch: System der Nationalen Zusammenarbeit, die offizielle, Orwell-haft anmutende Bezeichnung für die im Aufbau befindliche ungarische Autokratie. Um 23 Uhr, 59 Minuten und 59 Sekunden legt der Henker den Schalter um. Klubrádió ist damit auf der Frequenz FM 92,9 MHz vom Sender genommen.

Hohelied auf Orbán

Der Kuttenmann exekutierte das Gesetz des rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán. Dieses Gesetz diktierte dem populären Klubrádió , dass es seine Sendelizenz am 15. Februar verlor, weil der Medienrat, ein aus bedingungslosen Orbán-Gefolgsleuten zusammengesetztes Aufsichtsorgan, diese Lizenz nicht verlängerte. Mehr schlecht denn recht berief sich der Medienrat auf andere Orbán-Gesetze, gegen die das Klubrádió verstoßen hätte, weil es in zwei Fällen statistischen Meldepflichten nur verspätet nachgekommen war. Im Orbán-Reich wird gemunkelt, dass sich andere Sender schon weniger lässlicher Sünden schuldig gemacht hätten, aber keine derlei schweren Konsequenzen zu tragen hatten, weil sie nie müde werden, das Hohelied auf Orbán zu singen.

Klubrádió hat sich in diesem Genre ausdrücklich nie betätigt. Vielmehr war es – und ist es, denn der Betrieb geht im Internet weiter, eben mit reduzierter Hörerschaft – ein Medium, das sich als offene Plattform für unzensierte Debatten, für Diskurs und Streit versteht. Nicht immer nach jedermanns Geschmack, aber auch wegen seiner Call-in-Programme beliebt, in denen sich auch Orbán-Anhänger freimütig aussprechen konnten. Bis zu 500.000 Hörer erreichte es über den Äther, und das, obwohl es durch Orbáns Gesetz auf den Großraum Budapest eingeschränkt wurde.

András Arató will sich weiterhin um eine Sendelizenz bewerben

Die Verbannung ins Internet bedeutet ein Handicap. Das wurde in den letzten Sendeminuten deutlich, als eine treue Stammhörerin anrief, die sich Tante Jutka nannte. "Ich bleibe hier im Zimmer zurück, stumm wie eine Pflanze", klagte die 76-jährige Frau über das Verstummen ihres Lieblingssenders im Radioempfänger. Das Internet sei doch nichts mehr für sie. Und dennoch: Ihre Enkel versuchten jetzt "etwas zu machen", fügte sie hinzu.

Retten die Enkel das Klubrádió für ihre Großeltern? Passende Endgeräte müssten angeschafft, Internet-Nutzerverträge mit den Providern abgeschlossen werden. Das erfordert beträchtliche Aktivitäten, und viele Kleinrentner werden die Kosten nicht in ihrem kargen Haushaltsbudget unterbringen können. András Arató, der Eigentümer des Senders, will sich weiterhin um eine Sendelizenz bewerben und vor Gericht um sein Recht kämpfen. Letztlich hofft er auf einen Regierungswechsel nach der nächsten Wahl im Frühjahr 2022. "Es irrt sich, wer glaubt, dass sich das Klubrádió endgültig zum Schweigen bringen lässt, und deshalb glaubt, nächstes Jahr wieder die Wahl gewinnen zu können", gab er sich trotzig in den letzten Sendeminuten.

Mit der Verbannung aus dem Äther stirbt jedenfalls ein weiteres Stück der schon stark dezimierten Medienvielfalt in Ungarn. Die Europäische Union sowie die neue US-Administration kritisieren dies in ihren Stellungnahmen. Die EU-Kommission stellte ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest in Aussicht. Doch ihre Mühlen mahlen langsam. Das Gesetz der Union soll den Bürger- und Freiheitsrechten zum Durchbruch verhelfen – gegenüber Orbáns Gesetz wirkt es immer wieder machtlos. (Gregor Mayer aus Budapest, 15.2.2021)