Anhand von Egon Schieles Aquarell "Kauernder weiblicher Akt" (1917) lassen sich die Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich im Umgang mit Restitution studieren.

Foto: Rheinisches Bildarchiv Köln

Die Stadt Köln wird ein Aquarell von Egon Schiele aus dem Bestand des Museums Ludwig an die Erben nach Heinrich Rieger restituieren. Eine Entscheidung, die in einschlägigen Kreisen hierzulande aus unterschiedlichen Gründen für Aufmerksamkeit sorgt.

Sei es, weil in der vergangene Woche veröffentlichten Empfehlung der Beratenden Kommission (Berlin) auf einen Beschluss des österreichischen Kunstrückgabebeirats verwiesen wird, den es so nie gab. Oder sei es, weil der konkrete Fall anhand des österreichischen Kunstrückgabegesetzes womöglich anders gewertet worden wäre.

Die Causa in aller Kürze: Von Beruf war Heinrich Rieger Zahnarzt, seine private Passion galt jedoch der Kunst. Im Jahr 1935 umfasste seine Sammlung mehr als 720 Arbeiten, darunter eine nennenswerte Anzahl an Hauptwerken von Egon Schiele, aber auch vieler zeitgenössischer Künstler. Im Gegensatz zu anderen Kollektionen jüdischer Besitzer wurde jene von Rieger nach der Nazi-Machtergreifung nicht sofort enteignet.

Bis Jänner 1939 veräußerte er einige Werke, wie viele, welche genau und an wen, das ist bis heute nur teilweise rekonstruierbar. Den Großteil überließ Rieger Friedrich Welz, Inhaber der arisierten Galerie Würthle (Wien) und einer Kunsthandlung in Salzburg, sowie dem Künstler und Inhaber der arisierten Kunsthandlung Halm & Goldmann (Wien), Luigi Kasimir.

Ungeklärte Fragen

Im September 1942 wurde das Ehepaar Rieger deportiert, Heinrich starb einen Monat später in Theresienstadt, seine Frau Berta wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet. Nur ein Viertel der ursprünglichen Sammlung konnte nach dem Zweiten Weltkrieg sichergestellt und an Riegers in die USA emigrierten Sohn Robert retourniert werden.

Ob und welche Kunstwerke, eben auch Zeichnungen oder Aquarelle von Egon Schiele, vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten von Rieger getauscht oder verkauft wurden und damit nicht Gegenstand nichtiger Rechtsgeschäfte in der NS-Zeit waren, ist eine der bisher ungeklärten Fragen. Die Erben nach Rieger oder auch Provenienzforscher der Israelitischen Kultusgemeinde Wien verneinen dies kategorisch. Belege gibt es weder für noch gegen diese Annahme, allenfalls Indizien.

In Österreich waren Werke aus der Sammlung Rieger in Beständen öffentlicher Museen bereits Gegenstand mehrerer Empfehlungen: Aus dem Wien-Museum wurde ebenso restituiert wie aus dem Belvedere oder der Neuen Galerie Joanneum (Graz). Der Entzug war hier eindeutig nachweisbar. Ganz anders im Fall einer Kohlezeichnung Schieles aus dem Leopold-Museum. 2009 legte Provenienzforscher Michael Wladika das Dossier zur Sich aufstützenden Frau in Unterwäsche (1917) der zuständigen Kommission vor, die einst vom Kulturministerium unter dem Vorsitz des ehemaligen Justizministers Nikolaus Michalek eingesetzt wurde. In Berlin verwechselte man diese jetzt mit der für Bundesbesitz zuständigen Kommission. Der im Juni 2011 erfolgte Beschluss empfahl jedenfalls eine weiterführende Recherche, da die Beweislage zum damaligen Zeitpunkt für eine Beurteilung nicht ausreichte.

Beweislast liegt bei Beklagten

Ob die Erkenntnisse der von Köln beauftragten Provenienzforscher eine Neubewertung zur Folge haben könnte? Wladika hat da so seine Zweifel. Man werde sich das ansehen, erklärt Clemens Jabloner, Vorsitzender des Kunstrückgabebeirats. Er verweist auf die unterschiedlichen Verfahrensweisen und Rechtsgrundlagen der beiden Länder.

Zusammengefasst: In Österreich erfolgt die Provenienzforschung systematisch, in Deutschland punktuell. Die Beratende Kommission wird nur dann aktiv, wenn sie von beiden Parteien angerufen wird. Und vor allem: Deutschland hat kein Kunstrückgabegesetz. Stattdessen bietet eine sogenannte Handreichung eine "rechtlich nicht verbindliche Orientierungshilfe". Diese unterscheidet sich in einem Aspekt ganz maßgeblich: in der Beweislast. Da die Stadt Köln den NS-Entzug nicht widerlegen konnte, muss eine Rückgabe erfolgen.

Das Aquarell Kauernder weiblicher Akt (1917) war 1965 im Besitz eines gewissen Walter Geyerhahn, der es über einen Wiener Kunsthändler an eine Schweizer Kollegin verkaufte, die es 1966 für 18.000 DM an die Stadt Köln abtrat. Wie Geyerhahn in den Besitz des Blattes kam, blieb ungeklärt. Dessen Vater, ein jüdischer Kaufmann, war 1938 nach Brasilien geflüchtet: Mit dabei hatte er 23 Werke von Egon Schiele, darunter sei laut den Nachfahren auch das Kölner Aquarell gewesen. Ein Beweis fand sich nicht. (Olga Kronsteiner, 16.2.2021)