Bei einem so miserablen Status quo stellt es keine große Schwierigkeit dar, einen vernünftigen Reformvorschlag zu machen. Die Forderung der ÖVP nach einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt ist also richtig, aber nicht mutig. Schließlich ist fast alles besser als ein politisch besetztes Regierungsmitglied an der Spitze der Weisungskette. Wirklich herausfordernd wird die Umsetzung der im Kern grundvernünftigen Idee, dass eine von der Politik unabhängige Person die letzte Instanz für Entscheidungen der Staatsanwaltschaften sein soll. Denn es gibt bei dieser Reform viel zu gewinnen, aber man kann sie auch ordentlich vermurksen.

Sitz des Obersten Gerichtshofs und des Oberlandesgerichts in Wien.
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Wie ist die Umgestaltung der Justizweisungsspitze anzugehen? Die zentralen Motive müssen Unabhängigkeit und Gewaltenteilung sein. Beides ist derzeit nicht gegeben: Oberste Chefin der Staatsanwaltschaften ist die Justizministerin. Sie kann per Weisung Ermittlungen lenken, fortführen oder einstellen lassen – auch in politisch heiklen Fällen. Nun passiert das nicht jeden Tag, und dem Regierungsmitglied ist der Weisenrat zur Seite gestellt. Aber schon bei der Möglichkeit zur politischen Einflussnahme handelt es sich um einen rechtsstaatlichen Konstruktionsfehler.

Eine Reform darf dieses Problem nicht verschlimmbessern. Der geforderte Bundesstaatsanwalt muss tatsächlich unabhängig sein. Das zu gewährleisten ist gar keine einfache Aufgabe. Es beginnt mit dem Vorschlagsrecht: Wer sucht die Person aus, die künftig die Hoheit über Weisungen an die Staatsanwaltschaften haben soll? Das Justizministerium? Das Nationalratspräsidium? Der Bundespräsident? Und wer trifft letztlich die Entscheidung, ob diese Person es auch tatsächlich wird? Das Parlament? Der Weisenrat im Ministerium? Nichts davon ist einwandfrei im Sinne der Gewaltenteilung. Umso gründlicher müssen die Verantwortlichen nach der besten Lösung suchen.

Stabilität

Ein weiterer wichtiger Punkt: die Amtszeit. Eine lange Dauer sorgt für Stabilität und nützt auch der Unabhängigkeit. Eine Abberufung bei Verfehlungen muss aber auch möglich sein – in Deutschland, von der ÖVP als Vorbild genannt, kann der Justizminister das jederzeit tun. Da muss eine bessere Lösung her.

Noch ist unklar, wie die Reform ausschauen wird – sofern die Volkspartei überhaupt lang genug Interesse an dem Vorhaben zeigt, um es durchzuziehen. Es ist jedenfalls nicht vertrauenserweckend, dass sich der plötzliche Meinungswechsel in eine Reihe von türkisen Nebelgranaten einreiht, die offenbar von den Vorwürfen gegen Finanzminister Gernot Blümel ablenken sollen.

Genauso wenig fördert es den Eindruck eines ernsthaften Vorschlags, dass seine Begründung eine Reihe von Vorwürfen gegen die bei Türkis unbeliebte Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft enthält. Wer es mit dem Bestreben nach einer unabhängigen Justiz ernst meint, dem fallen Reformvorschläge nicht erst dann ein, wenn gegen ein Regierungsmitglied ermittelt wird.

Dass die Grünen den Vorstoß der ÖVP als Verhandlungserfolg verkaufen, zeigt hauptsächlich, wie dringend sie einen solchen brauchen. Es wird an ihnen liegen, aus der Reform das Beste zu machen. Weder darf sie wieder im Sande verlaufen, wenn sie der Kanzlerpartei nicht mehr nützt – noch darf sie eine schlechte Situation unter einem neuen Titel fortschreiben. (Sebastian Fellner, 15.2.2021)