Foto: Maria von Usslar

PRO: Nützliches Naturdenkmal

von Nina Wessely

Schon Napoleon als Allee-Fan wusste: Die Platane ist ein toller Baum. Flachwurzler, hochwachsend, und alt wird sie auch. Wie die Bäume, die die Grazer Elisabethstraße säumen. Ein echtes Platanenerlebnis.

Nicht so viel Glück hatte die 80-jährige Artgenossin in der Wiener Josefstadt. Ihre Gesellschaft bestand aus einem Trafikstandl, und jetzt kommt dort, wo sie steht, ein U-Bahn-Eingang hin. Ergo: Die Platane muss weichen. Dass sie nicht gefällt, sondern übersiedelt wird, ist ein Glücksfall für alle.

Dank kostenfreier fachlicher Leitung sowie das Stellen von Mitarbeitern und Ausrüstung durch den Baumchirurgen Manfred Saller und der Wiener Linien, die ihre Gerätschaften für die Baumverlegung zum Schmerlingplatz leihen, ist es ein Nullsummenspiel für den Steuerzahler. Monetär wohlgemerkt, denn auf dem Spiel stehen fünf Tonnen Staub, die der Baum nicht mehr schluckt, sowie ein Abkühlen von bis zu fünf Grad, das ohne die Platane ausbleibt. Das ist eine Produktivität, wie sie nur ein Rudel aus 2500 Jungbäumen fertigbringt. Und ein einzelner Jungbaum kostet laut Saller 300 Euro.

Doch es heißt Daumen halten. Es dürfen nicht mehr als 40 Tonnen Baum, Wurzeln und Erdreich übersiedelt werden, weil sonst Kran samt Baum durch den Straßenbelag auf die darunter verlaufende U2 krachen. Dass die Platane diese gewichtsreduzierende Wurzelbehandlung überlebt, bleibt zu hoffen. Zumindest ist sie am neuen Standort mit dem Eisenbaum, einem geschützten Naturdenkmal, in guter Gesellschaft. (Nina Wessely, 15.2.2021)

KONTRA: Baumpopulismus

von Eric Frey

In Wien stehen mehr als acht Millionen Bäume, und die Stadt braucht noch viel mehr. Die Begrünung der Straßen und Fassaden ist eines der effektivsten Mittel gegen die Auswirkungen der Erderwärmung.

Aber Wien braucht auch mehr U-Bahn, und für den Ausbau muss so mancher Baum weichen. Das ist wirtschaftlich notwendig, ökologisch vertretbar und geschieht laufend – außer es kämpft eine Bürgerinitiative für einen bestimmten Baum und gewinnt den Boulevard für ihre Sache. Dann startet die Stadtregierung die größte Baumrettung aller Zeiten und verkauft dies mit allerlei Tricks als Gratisaktion – als ob die Wiener Linien, die das Ganze bezahlen, nicht im Eigentum der Gemeinde stünden. Wären solche Umsiedlungen tatsächlich günstiger als Neupflanzungen, müsste es sie ja ständig geben.

Weder ist eine Platane ein besonders seltener Baum, noch sind 80 bis 90 Jahre für sie ein extrem hohes Alter; die Mozart-Platane am Rennweg ist rund 230 Jahre alt. Die Mega-Umpflanzung ist reiner Baumpopulismus, der nichts zur Verbesserung von Klima und Lebensqualität beiträgt. Und ob die Platane die Aktion überlebt, ist höchst unsicher.

Viele sehen in dem Baum ein Symbol, das gerettet werden muss. Aber mit Symbolpolitik wird eine Großstadt nicht klimaneutral. Das verlangt harte Entscheidungen, die auch wehtun können – etwa wenn ein schöner Baum gefällt werden muss. (Eric Frey, 15.2.2021)