Regierung, Parlament und Rechtsprechung müssen sich endlich mit dem BVG Kinderrechte auseinandersetzen, fordert Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez vom Netzwerk Kinderrechte Österreich.

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Abschiebung von Minderjährigen rückte Kinderrechte in den Mittelpunkt. Im Regierungsprogramm ist die Evaluierung des Verfassungsgesetzes verankert. Passiert ist aber wenig.
Foto: Getty Images

Der "Präsident schwächelt. In der Abschiebe-Causa hat sich auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen exponiert, und zwar für die Kinder. Fazit: Im aktuellen Politbarometer rutscht er um vier Punkte auf 20 Prozent ab", heißt es in einer Österreich-Umfrage. Was genau hat das Staatsoberhaupt in der Beliebtheit bei der Bevölkerung sinken lassen? Er hatte sich doch "für die Kinder" starkgemacht. In seiner Videobotschaft sagte er: "Was ist mit den Rechten der Kinder, den Kinderrechten, die gewährleistet sind? Wurden die Kinder ausreichend gehört? […] Und ich appelliere an alle, die hier Verantwortung tragen: Geben wir dem Wohl von Kindern und Jugendlichen Vorrang."

Van der Bellen hat schlicht und einfach auf das "Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern" verwiesen, das heute vor zehn Jahren, am 16. Februar 2011, in Kraft getreten ist. Doch nicht wortwörtlich. Er mag das BVG Kinderrechte im Kopf gehabt haben, er, der glühende Verfechter der "Eleganz unserer Verfassung". Aber er hat das Kind nicht beim Namen genannt. Selbst der Bundespräsident hat "seine klare Haltung" nicht mit der Verfassung untermauert. Hoch anzurechnen ist ihm aber, dass er als Einziger zumindest den Begriff der Kinderrechte bemüht hat.

"Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein." "Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise."

"Jedes Kind hat das Recht auf angemessene Beteiligung und Berücksichtigung seiner Meinung in allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, in einer seinem Alter und seiner Entwicklung entsprechenden Weise."

Aus Artikel 1 und 4, Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern

Unbekanntes Gesetz

Was soll’s? Wen juckt die Verfassung, ist man verführt zu entgegnen. Es hätte einen Unterschied gemacht, doch! Dem Reigen der Entrüstung zu den Abschiebungen von Kindern, aus welchen Gründen auch immer, hätte von Beginn an Wind aus den Segeln genommen werden können. Auf den immer selben Tenor von "Politik und Verwaltung müssen auf Basis der Gesetze agieren!" hätte reflexartig von allen Menschen besseren Wissens aus Politik und Medien die Klarstellung folgen müssen:

"Ja, richtig, wir leben in einem Rechtsstaat mit Regeln. Nur sind auch die Kinderrechte Teil dieser Regeln, die einzuhalten sind. Noch dazu Verfassungsrecht, also ganz oben im Stufenbau der Rechtsordnung. Und dieser Teil unserer Verfassung wurde hier nicht beachtet, nicht im Asylverfahren und nicht bei der Form der Abschiebung." So hat das aber niemand gesagt. Also drehte sich schnell alles nur noch um Begriffe wie Menschlichkeit, Betroffenheit, Moral, Nächstenliebe, Vernunft oder Verhältnismäßigkeit. Dabei ging es um Recht, um das BVG Kinderrechte, das in den vergangenen zehn Jahren seiner Gültigkeit verschwiegen, ignoriert und missachtet wurde. In einem Gespräch mit dem STANDARD hat Verfassungsexperte Heinz Mayer erst kürzlich analysiert, dass vor allem das Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern aus dem Jahr 2011 dem Gericht (Anm. dem Bundesverwaltungsgericht) offenbar unbekannt war.

Schell, schnell

Wie kann das sein? Dazu ein Blick in die Historie: Die UN-Kinderrechtskonvention war 1992 im Zuge der Ratifikation vom Nationalrat nicht als Verfassungsgesetz genehmigt worden wie zum Beispiel die Europäische Menschenrechtskonvention. Ihre unmittelbare Anwendbarkeit vor Gericht und Behörden war 19 Jahre lang, von 1992 bis 2011, ausgeschlossen. 2011 schließlich wählten die beiden Regierungsparteien SPÖ und ÖVP einen selektiven Ansatz für das BVG Kinderrechte: Ein allgemeiner Anspruch auf Schutz und Fürsorge, Kindeswohl und Partizipation, das Verbot von Kinderarbeit und Gewalt und ein Diskriminierungsverbot von Kindern mit Behinderung schafften es in den Verfassungsrang. Dafür wurde ein weitreichender, der UN-Kinderrechtskonvention nicht entsprechender Gesetzesvorbehalt eingefügt.

Es ging alles schnell, schnell damals. Bedenken wurden vom Tisch gewischt. Also keine Aufnahme von sozialen Rechten bezüglich Armutsbekämpfung, Gesundheit, Freizeit und Spiel. Was sich aber schon 2011 als besonders problematisch abzeichnete, war das Fehlen von wirksamen Garantien zur effektiven, an den Bedürfnissen von Kindern orientierten Umsetzung und Geltendmachung der Kinderrechte. Schulungen von Richtern und Richterinnen zum BVG Kinderrechte? Fehlanzeige. Wurden in den vergangenen zehn Jahren Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit dem BVG Kinderrechte explizit geprüft? Keine Antwort. Auch zur "Evaluierung des Grundrechtsschutzes im BVG Kinderrechte" aus dem Regierungsprogramm 2020–2024 hat niemand bisher öffentlich aufgezeigt. Bleiben ja noch drei Jahre.

Unbeliebtes Thema

Zehn Jahre BVG Kinderrechte, und niemand in der Regierung brannte je für Kinderrechte. So wurde Anfang des Jahres zum Nachfolger einer scheidenden Ministerin für Arbeit, Familie und Jugend ein Ökonom bestellt – und die übrig gebliebenen Agenden wurden dem Frauen- und Integrationsressort zugeschoben. Wie es jungen Menschen geht, was sie belastet, was sie brauchen, wie sie ticken, Stichwort Recht auf Mitbestimmung – wer schert sich darum? Erst Hilferufe zur belasteten psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Corona-Krise müssen die Regierung wachrütteln, dass sie sich den Schulöffnungen widmet.

Nein, es ist nicht der Präsident, der schwächelt. Es schwächeln vielmehr alle in Regierung, Parlament und Rechtsprechung, die sich nicht endlich umfassend mit dem BVG Kinderrechte auseinandersetzen. (Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez, 16.2.2021)