Hierzulande müssen Menschen unter 80 Jahren noch lange auf die Impfung warten, die Britinnen und Briten sind viel weiter.

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Wenig mehr als zwei Monate nach seinem Beginn hat die britische Regierung am Montag das nationale Covid-Impfprogramm gefeiert. Seit 8. Dezember haben mehr als 15 Millionen Menschen über 70 Jahre sowie das Personal im Gesundheitswesen und Pflegedienst mindestens eine Dosis der beiden zur Verfügung stehenden Medikamente von Biontech/Pfizer oder Oxford / Astra Zeneca erhalten. Gemeinsam habe man eine "hervorragende Leistung" erzielt, lobte der konservative Premierminister Boris Johnson, warnte die Briten aber vor Nachlässigkeit im Kampf gegen Sars-CoV-2: "Wir haben noch eine weite Strecke vor uns."

Frage: Wie erklärt sich der Erfolg?

Antwort: Inmitten einer Vielzahl verheerender Fehlentscheidungen – viel zu lange Missachtung der eindringlichen Corona-Warnungen von Wissenschaftern, zu später Lockdown, praktisch unkontrollierte Grenzen, mangelhafter Schutz von Alten- und Pflegeheimen, komplettes Fehlen effizienter Rückverfolgung von Kontaktinfizierten – setzte die Regierung im Frühjahr schon früh auf Impfungen als den besten Ausweg. Premier Johnson warb als Leiterin der entsprechenden Taskforce die erfahrene Wagniskapital-Bankerin Kate Bingham an. Deren jahrzehntelange Erfahrung in der Unterstützung junger Biotech-Firmen wog dabei schwerer als ihre Ehe mit dem Finanzstaatssekretär Jesse Norman.

Von Anfang an behielt Binghams Team nicht nur die Impfstoff-Forschung, sondern auch die anschließende industrielle Fertigung der Medikamente im Auge. Dafür wurden sowohl die Wissenschafter an der Uni Oxford als auch die beteiligten Firmen, vor allem Astra Zeneca, großzügig subventioniert, und es wurden garantierte Abnahmemengen vereinbart. Auch wurden sie von der sonst üblichen Produkthaftung entbunden.

Biontech/Pfizer erhielt einen Auftrag über 40 Millionen Dosen, bei Astra Zeneca orderte Bingham sogar 100 Millionen. Als dritter Impfstoff ist mittlerweile auch das Präparat der US-Firma Moderna freigegeben. Mit der deutschen Firma Curevac ist der Kauf von zusätzlichen 50 Millionen Dosen vereinbart.

Frage: Wie verhielt sich die Genehmigungsbehörde?

Antwort: Kooperativ. Der Medikamentenaufseher MHRA bat die beteiligten Firmen darum, parallel zu ihren umfangreichen klinischen Studien bereits sämtliche Unterlagen zur Verfügung zu stellen. So konnte MHRA-Chefin June Raine als weltweit erste Aufsichtsbehörde bereits Anfang Dezember dem Biontech-Präparat die Genehmigung erteilen.

Frage: Wie verhielt sich die Bevölkerung?

Antwort: Von Beginn an gaben sich die generell technikaffinen Briten aufgeschlossen. Als hilfreich erwies sich, dass die Hochbetagten, in Weltkrieg und Entbehrung aufgewachsen, großen Enthusiasmus zeigten. Wichtig war auch, dass das ohnehin hochangesehene nationale Gesundheitssystem NHS die logistische Herausforderung mithilfe der Armee hervorragend meisterte. Zu den Impfzentren zählen größere Arztpraxen ebenso wie leer stehende Galopprennbahnen, Kathedralen, Moscheen und Museen. Erhebliche Beschleunigung erfuhr das Programm Ende vergangenen Jahres durch die Entscheidung der Regierungswissenschafter, das Intervall zwischen den beiden Impfdosen von drei Wochen auf drei Monate zu erweitern. So haben bisher nur wenige Hunderttausend Briten den gesamten Impfschutz, viele Millionen aber bereits hohe Immunität nach der ersten Teilimpfung.

Frage: Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Antwort: Dem Plan der unabhängigen Impfkommission zufolge sollen von dieser Woche an alle Menschen über 50 Jahre und sämtliche gesundheitlich vorbelastete Erwachsene geimpft werden.

Frage: Welche politischen Folgen gibt es?

Antwort: Trotz vieler schlimmer Mängel im Kampf gegen die Pandemie sind die Konservativen in den Umfragen nie mehr als fünf Prozent hinter die Labour-Opposition zurückgefallen. Inzwischen liegen sie sogar wieder deutlich vorn, was gewiss mit dem Erfolg des Impfprogramms zu tun hat. (Sebastian Borger aus London, 15.2.2021)