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Die signifikante Mehrheit der QAnon-Sympathisanten ist laut Studien männlich.

Foto: REUTERS/STEPHANIE KEITH

Plötzlich haben wir es mit einem "Querdenker" zu tun. Nicht auf dem US-Kapitol, nicht auf dem Wiener Heldenplatz. Nein, mitten in der Verwandtschaft. Als wäre die ganze Mischpoche nicht schon bunt genug. Haben wir erste Symptome übersehen? Natürlich.

Schon vor Jahren fielen beim gemeinsamen Besuch einer Ausstellungseröffnung Randbemerkungen über die Clintons, kleine Kinder und einen Pizzeriakeller. Die Behauptungen waren abstrus, man beließ es bei einer kurzen Gegenrede. Glaubte, so etwas würde sich von selbst wieder verspielen. Meist war ja auch reichlich Alkohol im Spiel.

Es war wie bei diesen Großonkeln, die einem bei Hochzeiten zu lange über den Rücken tatschten oder in den Ausschnitt blinzelten: Dem Familienfrieden zuliebe hatte man als junges Mädchen gelernt, derartige Übergriffe wie Mundgeruch zu tolerieren. Später war man erwachsen genug, um sich zu wehren. Wie aber wehrt man sich gegen paranoide Faktenverdrehung und Falschmeldungen?

Irrlichter

Im Fall unseres Verwandten (eines interessanten, charmanten und attraktiven Mannes in den besten Jahren) hat der Kummer über den Zustand der Welt atemberaubend an Fahrt aufgenommen. Er ist jetzt einer von vielen. Gefällt sich als Teil einer neuen Systemkritikavantgarde.

Wohlgemerkt: Ich halte seinen Kummer für mehr als berechtigt – erschreckend sind für mich seine Schlüsse daraus. Inzwischen setzt er in den sozialen Netzwerken bildgewaltig die Corona-Schutzmaßnahmen mit dem Hitler-Faschismus gleich.

Die Mondlandung, eine Inszenierung? Covid-19, eine Erfindung der Pharmaindustrie? Meghan Markle, von Außerirdischen programmiert? Die Verschwörungstheorien im Netz variieren. Erschreckend ist, dass heute schon fast jeder einen ihrer Anhänger persönlich kennt.

Ratlos, nicht nur in Seattle

Aktuelle Studien belegen, dass die signifikante Mehrheit der QAnon-Sympathisanten männlich ist. Mich überrascht das nicht. Wer als Singlefrau auf Partnerschaftsportalen nach einer Romanze sucht, braucht nur eine Woche lang die Zuschriften von bindungswilligen Kandidaten zu lesen und kommt zum Schluss: Das ratloseste Wesen auf diesem Planeten ist der Heteromann.

Geplättet von manipulativen Müttern und desinteressierten Vätern, steht diese Spezies all den emanzipierten, anspruchsvollen, "neuen" Frauen gegenüber und benimmt sich wie der Kartoffelbauer beim Galadinner im Schloss Versailles: Linkisch und wütend verschlingt er den Braten, macht sich aber auf alles "seinen eigenen Reim".

Das ist kein Anlass für abfällige Witze. Schuld am Dilemma des Heteromannes sind auch wir Frauen. Egal ob als Mütter oder Partnerinnen: Wir halten das System aufrecht, solange wir – aus Angst vorm Alleinsein – Lügner, Betrüger, Schläger, Ignoranten und Querschwurbler gewähren lassen.

Nicht umsonst hat die verstorbene dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen den letzten Band ihrer autobiografischen Romantrilogie, in dem es um ihre Liebesbeziehungen geht, "Abhängigkeit" genannt. (Ela Angerer, RONDO, 3.3.2021)