1995 waren die Weltbilder noch in Ordnung. Die grüne Parteichefin Madeleine Petrovic stand in der ORF-Sendung "Help TV" devot und hingerissen einem ganz besonders charismatischen Guru zur Seite: dem Sektenführer Ryke Geerd Hamer. Es ging um das an einem Tumor im Bauch leidende neunjährige Mädchen Olivia Pilhar. Deren Eltern versuchten auf Anraten des ehemaligen Arztes Hamer und dessen "Neuer Germanischer Medizin" eine nötige Operation zu verhindern. Hinter dem Schicksal des Mädchens und den dramatischen Bildern blieb der Öffentlichkeit verborgen, welche Thesen Hamer vertrat: Er hat mit der "Germanischen Heilkunst" den Schlüssel zur Heilung aller Krankheiten entdeckt, just die Juden hätten sich das für sich gekrallt, den arischen Michel indes vergifteten sie mit Impfungen ("Impfholocaust") und Chemotherapie.

Das alles musste Petrovic bekannt gewesen sein. Doch das Faible für "Alternatives" im Mindset der Grünen war Mitte der 90er Jahre scheinbar größer als die Bereitschaft, den offensichtlichen Wahnsinn zu erkennen. Die Grünen stellten zu der Zeit eine parlamentarische Anfrage an Gesundheitsministerin Christa Krammer (SPÖ), die auch der rabiate Antisemit Hamer formuliert hätte können. Man solle sich doch mit den Thesen Hamers und anderen "alternativen Krebsheilmethoden" auseinandersetzen, war darin zu lesen. Krammer antwortete nüchtern: Wer mit neuen Theorien aufkreuze, habe diese plausibel zu machen: "Dies ist im Fall der Thesen des Dr. Hamer nicht gegeben."   

Die FPÖ hat die Grünen als Schutzmacht des Humbugs abgelöst

Ein Vierteljahrhundert später sind die politischen Koordinaten der Unterstützer der Scharlatanerie verrückt. Die Schutzherrschaft über medizinischen Unfug hat die FPÖ von den Grünen übernommen. Weitgehend unbemerkt blieb ein parlamentarischer Entschließungsantrag der Freiheitlichen vom Dezember 2020. Darin wird gefordert, "Komplementärmedizin" und "Integrative Medizin" in der universitären Ausbildung zu verankern, das Angebot in den Spitälern zu etablieren und die "komplementärmedizinischen Ärztekammer-Diplome" sicherzustellen. Als Quelle für den Segen der "Komplementärmedizin" wird unter anderem eine Umfrage angeführt, die vom Homöopahtieunternehmen Dr. Peithner in Auftrag gegeben wurde. Die Tatsache, dass es in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz von "Alternativmedizin" gibt, wird flugs dahingehend umgedeutet, dass derlei Angebote tatsächlich Sinn machen würden.

Alternativmedizinern geht der Arsch auf Grundeis

Der Antrag der FPÖ ist auf den ersten Blick ärgerlich, bei nüchternem Hinsehen zeigt sich: Den Freunden und den Profiteuren der medizinischen Scharlatanerie geht der Arsch auf Grundeis. Die Jahrzehnte einer bizarren und fast unwidersprochen hingenommenen Koexistenz von Humbug und Wissenschaft an Universitäten und in Kliniken scheinen vorüber zu sein. Vor allem die "Königsdisziplin" des Medizin-Humbugs, die Homöopathie, wird zunehmend kritisch hinterfragt. Dass sogar die deutschen Grünen dem Zuckerkugel-Voodoo im Vorjahr unmissverständlich die Rute ins Fenster gestellt haben, verdeutlicht das. Vor 20 Jahren schien es noch vernünftiger, auf die Errichtung eines Eislaufplatzes in der Hölle zu warten als darauf, dass die Grünen der Homöopathie den Mittelfinger zeigen. 

Wenn den Influencern und Profiteuren der Szene nur noch die Waffenbrüderschaft mit der FPÖ bleibt, ist Feuer am Dach. Gut drei Dutzend Mediziner mit Bezeichnungen und Titeln, die sehr honorig klingen, werden im FPÖ-Antrag als Unterstützer angeführt. Sie sind Vorstände von Gesellschaften für Homöopathie, Anthroposophie, Traditioneller Chinesischer Medizin oder Vertreter kleinerer Schulen der Schwurbelei: Man erfährt von der Existenz der Gesellschaften für Mesotherapie, Aromapflege, Maharishi Ayurveda Medizin und einigem mehr. 

Professor für Alternativmedizin warnt vor dieser Alternativmedizin

Der Blogger ist sich seiner Rolle als medizinischer Laie bewusst und übergibt die Evaluierung des Antrags einem Experten: Edzard Ernst. Er ist nicht irgendjemand: Er hat von 1993 bis 2012 das Institut für Komplementäre und Alternative Medizin an der University of Exeter in Großbritannien geleitet, ist Autor zahlreicher Bücher (zuletzt: "Alternativmedizin: Was hilft, was schadet") und wurde mit 17 wissenschaftlichen Preisen ausgezeichnet. Der emeritierte Professor ist kein A-priori-Gegner von Alternativmedizin, er kennt 400 Methoden und evaluiert sie nüchtern nach den Regeln der Evidenz.

Sein Fazit zum Antrag der FPÖ: "Die im Antrag genannten komplementärmedizinischen Methoden sind weitgehend Pseudomedizin. Belastbare Wirksamkeitsnachweise wurden hierzu nicht erbracht. Sie sollten daher auf akademischem Boden nicht gelehrt und nicht am Patienten eingesetzt werden.(...) Diese von Lobbyisten der Komplementärmedizin betriebene Initiative ist ein gefährlicher Vorstoß gegen die evidenzbasierte Medizin, dem man sich widersetzen sollte." Auch die "Gesellschaft für kritisches Denken" äußert sich unzweideutig zum Vorstoß im Namen von "komplementärer" und "integrativer" Medizin: In einem offenen Brief beklagen Krista Federspiel und Ulrich Berger die bewusste Irreführung der Patienten: "Der Begriff 'integrative Medizin' klingt für Laien gut, bedeutet aber, dass sinnvolle medizinische Maßnahmen stets mit unbewiesenen, oft esoterischen Therapieverfahren unter einen Hut gebracht werden sollen."

FPÖ als Partei der "Alternativmediziner".
Foto: REUTERS/Eric Gaillard/Illustration

Homöopathie ist im Jahr 2018 von der Med-Uni Wien geflogen

Der Antrag der FPÖ thematisiert und beklagt gleich zu Beginn die Streichung des Wahlpflichtfachs für Homöopathie an der Uni Wien im Jahr 2018. Was der Antrag verschweigt: Dabei geht es um die Vorlesungen des Homöopathen Michael Frass. Für die Wiener Uni beendete Rektor Markus Müller den Spuk vor drei Jahren mit der unmissverständlichen Aussage, wonach sich "die Med-Uni von unwissenschaftlichen Verfahren und Scharlatanerie klar distanziert". Frass wurde vorgeworfen, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit "Alternativmedizin", die man sich von der Vorlesung erwartet hatte, für eine Werbeveranstaltung für seine homöopathische Agenda zu missbrauchen. Frass führt im Antrag der FPÖ die Liste der Unterstützer an. Wie glaubwürdig sich Frass für die Wissenschaft einsetzt, zeigt sein Auftritt in der Bewerbung eines "Atox Bio Computers". Dabei handelt es sich um ein Amulett, das um den Hals getragen wird und das "unverdauliche elektromagnetische Brocken in komplexen mathematischen Prozessen (...) auf mundgerechte kleine Stücke verkleinert und genießbar macht". 

Eine Liste, um die man einen Bogen machen sollte

Der Antrag der FPÖ hat aber auch seine guten Seiten. Wir sehen, um welche Ärzte, Institute und Einrichtungen man einen Bogen machen sollte, wenn man ernsthaft auf seine Gesundheit achten will. Wir erfahren, dass in Österreich ein Viertel der Ärzte Ausbildungen für allerlei "komplementärmedizinische" Praktiken absolviert haben. Das alles geschieht unter den Augen der Ärztekammer, die dafür Fortbildungspunkte abstempelt. Wir kennen die Argumentation der Kammer: Die Patienten würden derlei Methoden nun einmal verlangen. Ärzte allein könnten abschätzen, wann es gefährlich wird und sie hätten das Pouvoir, den Patienten mit Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, sich in die Hände von Professionisten zu begeben. Würde den Ärzten die "Alternativmedizin" weggenommen, würde 
man Patienten in die Hände von Scharlatanen treiben.

Das ist ein Fehlschluss. Ärzte, die Pseudomedizin im Portfolio führen, sind Scharlatane. Sie sind Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. (Christian Kreil, 19.2.2021)

Christian Kreil bloggt seit drei Jahren rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. Soeben erschien sein Buch "Fakemedizin".

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