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"Freiheit für Disha Ravi": In mehreren indischen Städten wird seit ihrer Verhaftung täglich für Klimaaktivistin protestiert.

Foto: Reuters / Samuel Rajkumar

Alles begann mit einem Link zu einem sogenannten "Toolkit" – einem Online-Dokument, in dem Informationen, Hintergründe und Hilfsmöglichkeiten rund um einen internationalen Vorfall gesammelt sind. Es ist ein Dokument, wie es von Aktivisten routinemäßig erstellt wird, gedacht dafür, über die sozialen Medien verbreitet zu werden und so internationalen Druck aufzubauen.

Doch die 21-jährige indische Klimaaktivistin Disha Ravi brachte ein solches Toolkit nun hinter Gitter. Sie hatte es ihrer schwedischen Kollegin Greta Thunberg weitergeleitet, die es anschließend auf Twitter teilte: "Hier ist ein Toolkit von Menschen vor Ort, falls ihr helfen möchtet", schrieb sie dazu.

Bauernproteste in der Hauptstadt

Das Thema des Toolkits waren die Bauernproteste, die Indien seit gut einem halben Jahr in Atem halten. Zehntausende Landwirte zogen letzten Winter in die Hauptstadt Neu-Delhi, um gegen eine Landwirtschaftsreform einzutreten. Drei neue Gesetze sollen den Markt liberalisieren, die Bauern sollen ihre Produkte künftig nicht mehr in staatlichen Großmärkten, sondern direkt an Privatfirmen verkaufen.

Doch die Bauern fürchten dadurch einen Preisverfall und noch schlechtere Arbeitsbedingungen als bisher. Am 26. Jänner eskalierte die Lage: Ein geplanter Traktorkonvoi der Bauern durch Neu-Delhi wuchs sich zu einem gewaltsamen Protest aus, ein Mensch kam dabei durch einen Unfall ums Leben.

"Krieg gegen Indien"

Anfang Februar leitete Disha Ravi dann das Toolkit zu den Protesten an Greta Thunberg weiter. In den Augen der indischen Regierung hatte sich Ravi damit der "Anstiftung zum Aufruhr" schuldig gemacht. "Das war ein Aufruf, einen ökonomischen, sozialen, kulturellen und regionalen Krieg gegen Indien zu führen", sagte ein Sonderbeauftragter der Polizeibehörde von Neu-Delhi.

Am 13. Februar wurde Ravi vorgeladen und für zunächst fünf Tage inhaftiert. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr die Teilnahme an einer Verschwörung vor. "Ich wollte nur die Bauern unterstützen", so Ravi in ihrer Verteidigung. "Die Bauern sind die Zukunft, denn ohne sie haben wir nichts zu essen."

"Unterstützung von Landwirten auf Twitter ist kein Anstiftung zum Aufruhr", ist auf den Schildern dieser Protestierenden zu lesen, die Ravis Freilassung fordern.
Foto: EPA / Rajat Gupta

Gründerin von Fridays for Future Indien

Die in Bengaluru geborene Ravi ist die Gründerin von Fridays for Future Indien. Sie organisierte und koordinierte die Proteste der Bewegung – anfänglich während ihres Studiums, später neben ihrer Arbeit bei einer veganen Lebensmittelfirma. Als Enkelin von Bauern habe sie von klein auf gesehen, welche Auswirkungen Umweltverschmutzung und Klimawandel auf ihre Großeltern gehabt hätten, erzählte sie in einem Interview mit Auto Report Africa.

Das erste Mal geriet sie mit der Regierung in Konflikt, als Fridays for Future Indien im Frühjahr 2020 in einer Kampagne eine Umweltverträglichkeitsprüfung des indischen Umweltministeriums beanstandete. Die Website ihrer Bewegung wurde daraufhin vom Netz genommen. "Wir leben in einem Land, in dem Widerspruch unterdrückt wird", so Ravi damals. "Nur eine Regierung, die Profite vor die Menschen stellt, würde die Bitte um saubere Luft, sauberes Wasser und einen bewohnbaren Planeten als Terrorismus bezeichnen."

Regierung sieht Verschwörung

Tatsächlich behauptet die indische Regierung rund um die Bauernproteste eine terroristische Gefahr – ausgehend von der Khalistan-Bewegung. Die nationalistische Bewegung strebte einen unabhängigen Sikh-Staat an und erreichte ihren Höhepunkt in den Achtzigerjahren. Da viele der protestierenden Bauern Sikhs sind, bringt die Regierung die Proteste mit der Bewegung in Zusammenhang – und stilisiert Ravi wegen ihres Toolkits nun zur Schlüsselfigur einer nationalistischen Verschwörung.

Dem widersprechen Demonstrierende heftig, die in Neu-Delhi, Bengaluru und anderen Städten für die Freilassung Ravis protestieren. "Tweets sind keine Anstiftung zum Aufruhr", war auf manchen Schildern zu lesen. 50 indische Persönlichkeiten unterzeichneten eine Unterstützungserklärung, auch Intellektuelle und ehemalige Politiker forderten ihre Freiheit. Greta Thunberg löschte ihren Tweet über das Toolkit, nachdem das rechtliche Vorgehen gegen Ravi ruchbar wurde – und ersetzte ihn mit einer Meldung, dass sie die Landwirte trotz Menschenrechtsverletzungen und Einschüchterungsversuchen immer unterstützen werde. (Ricarda Opis, 16.2.2021)