Werden wir uns mit Außerirdischen verständigen können? Im Film "Arrival" klappt die Kommunikation zunächst nur zögerlich.
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Die Frage, ob wir allein im Weltall sind, beflügelt die Fantasie der Menschheit seit jeher. Doch was tun, sollten wir wirklich auf eine Form extraterrestrischer Intelligenz stoßen? In seinem Buch "Sie sind da – Wie der Erstkontakt mit Aliens unsere Gesellschaft verändern könnte" (Komplett-Media 2020) skizzieren der Soziologe Michael Schetsche und sein Koautor Andreas Anton mögliche Szenarien. Mit seinen Gedankenexperimenten will Schetsche die Exosoziologie etablieren – eine Disziplin, die sich mit den Folgen einer Mensch-Alien-Begegnung befasst.

STANDARD: Wie hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass sich intelligentes Leben im All befindet – und auch gefunden wird?

Schetsche: In der Zukunftsforschung bezeichnet man die Frage nach dem Kontakt zu außerirdischen Zivilisationen als "Wildcard". Das sind Ereignisse, die, wenn sie eintreten, sehr schwerwiegend sein können, aber bei denen die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht berechnet werden kann, weil sie so selten sind oder eben noch nie eingetreten sind. Ich gehe aber davon aus, dass es außer der Erde noch andere belebte Planeten, auch in unserer Milchstraße, gibt und dass einige davon auch Zivilisationen hervorgebracht haben könnten. Das heißt, es gibt eine Möglichkeit, dass wir in Kontakt mit außerirdischen Zivilisationen kommen. Es kann in nächsten zehn Jahren passieren, dass wir ein Signal empfangen oder ein Artefakt finden, es kann aber auch sein, dass es noch hunderte Jahre dauert.

STANDARD: Wann geht eine außerirdische Lebensform als intelligent durch?

Schetsche: Intelligenz ist relativ. Wir streiten schon seit 60 Jahren darüber, ob Delfine intelligent sind oder nicht. Wenn wir ein Signal außerirdischen Ursprungs empfangen, wenn wir Überbleibsel einer extraterrestrischen Raumsonde finden oder ein fremdes Objekt in unser Sonnensystem eintritt, würde allein aufgrund der dafür nötigen technischen Fähigkeiten niemand daran zweifeln, dass es sich um intelligente Wesen handelt. Wenn wir eines fernen Tages, höchstwahrscheinlich Jahrtausende in der Zukunft, zu fremden Sonnensystemen reisen und dort Lebensformen antreffen, wird es allerdings sehr schwer zu beantworten sein, ob sie intelligent sind. Dann sind wir hoffentlich mit unserer Intelligenzdefinition schon weiter. Ich denke, je weiter die Entwicklung von künstlichen Intelligenzen (KI) fortschreitet, desto genauer wird unsere Vorstellung von Intelligenz.

STANDARD: Sie halten es für wahrscheinlich, dass, wenn überhaupt, intelligente Maschinenwesen zur Erde reisen – ist das nicht nur eine Spiegelung unserer menschlichen Entwicklung?

Schetsche: Weltweit wird an der Entwicklung einer starken KI gearbeitet, die sich mit menschlichen Fähigkeiten messen kann. Es gibt ja Überlegungen von Zukunftsforschern wie Nick Bostrom, dass in 100 Jahren künstliche Intelligenzen die Menschheit als dominierende Spezies ablösen könnten. So gesehen haben andere Zivilisationen vielleicht eine ähnliche Entwicklung schon längst durchgemacht. Wenn es in 200 oder 300 Jahren zu einem Erdkontakt kommt, könnte es also durchaus sein, dass wir auf Außerirdische stoßen, die die Nachfolger einer biologischen Zivilisation sind. Die Basis der Überlegung ist natürlich: Andere Zivilisationen sind auch nicht schlauer als wir.

STANDARD: KI-Aliens würden zumindest das Problem lösen, dass es für biologische Wesen kaum möglich ist, die gewaltigen Distanzen im Universum zu überwinden und uns zu erreichen.

Schetsche: Wenn ein Raumflugkörper in die Nähe der Erde kommt, würde ich davon ausgehen, dass er von einer KI gesteuert wird oder es sich um einen Repräsentanten einer auf KI basierenden Zivilisation handelt. Maschinenwesen könnten Tausende von Jahren durch das Universum reisen und dann in der Nähe eines Sonnensystems aktiviert werden. Wir Menschen sind womöglich nie in der Lage, von Sternensystem zu Sternensystem zu fliegen, bestenfalls können wir automatische Stellvertreter losschicken. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es außerirdische Lebensformen gibt, die eine Lebenserwartung von 10.000 Jahren haben, dann sieht es wieder anders aus.

"Die beiden Szenarien, die wir aus der Science-Fiction kennen – auf der einen Seite Aliens, die uns helfen oder nur nach Hause telefonieren wollen, auf der anderen die bösen Aliens, die uns erobern wollen –, sind menschliche Wunschbilder und Albträume", sagt Michael Schetsche.
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STANDARD: Von welchen Szenarien eines Erstkontakts gehen Sie aus – und was wären die Auswirkungen für die Menschheit?

Schetsche: Wir haben drei Szenarien näher untersucht. Im ersten nehmen wir an, dass ein Signal aus dem Weltraum eingefangen wird. Die Folgen hängen davon ab, von welcher Entfernung das Signal kommt. Wenn es aus 5000 Lichtjahren Entfernung kommt, wissen wir gar nicht, ob diese Zivilisation überhaupt noch existiert. Auch die Idee eines kosmischen Dialogs wäre hinfällig– die Antwort würde ja wieder 5000 Jahre brauchen. So ein Szenario wäre für die Wissenschaft von Bedeutung, aber auf das Leben auf der Erde hätte hätte es kaum Auswirkungen.

Das Artefaktszenario nimmt an, dass wir innerhalb unseres Sonnensystems, vielleicht auf einem Mond oder im Asteroidengürtel Spuren einer fremden Zivilisation finden, Reste einer Raumsonde oder Abfall einer kosmischen Expedition. Das wäre mit einem massiven Weltbildwechsel auf der Erde verbunden, da wir dann sagen können: Interstellare Entfernungen lassen sich tatsächlich überbrücken. Das hätte vielleicht Folgen für die Forschungspolitik. Das könnte die Menschen durchaus mitreißen und motivieren, würde aber den Alltag nicht sehr beeinflussen.

Starke Veränderungen sehen wir beim Begegnungsszenario, also wenn sich ein Raumflugkörper der Erde nähert. Es gäbe viele Fragen: Wer ist das? Woher kommen sie? Was wollen sie? Wie handlungsmächtig sind sie, sind sie freundlich oder aggressiv, teilen sie Technologie mit uns? Das wäre politisch und ideologisch, aber auch ökonomisch und religiös relevant und sicher das Szenario mit den schwerwiegendsten Auswirkungen.

STANDARD: Nehmen wir an, es kommt zu einer wie auch immer gearteten Begegnung. Ein Schlüssel dabei ist die Kommunikation. Wie könnte diese aussehen?

Schetsche: Es gibt in der Forschung, die sich mit dem Thema beschäftigt, zwei Positionen: Kommunikationsoptimisten und -pessimisten, wobei ich mich zu den Letzteren zähle. Wir haben schon erhebliche Schwierigkeiten, Botschaften von anderen Menschen zu entschlüsseln, etwa jene auf dem jahrtausendealten Diskos von Phaistos. Ein Signal von Außerirdischen werden wir vielleicht nie entschlüsseln. Bei einem Artefakt vielleicht nie verstehen, wozu es gut war. Bei einer direkten Begegnung könnte es sein, dass im Lauf der Zeit durch gemeinsame Praktiken Kommunikation möglich wird. Ich vermute aber: Wir werden sie lange Zeit überhaupt nicht verstehen. Vorab haben wir keine Möglichkeit, etwas über die Motive der Außerirdischen herauszufinden. Die Frage, ob sie friedlich oder aggressiv sind oder Informationen austauschen wollen, ist schwer zu beantworten, da es sich dabei um menschliche Kategorien handelt. Die beiden Szenarien, die wir aus der Science-Fiction kennen – auf der einen Seite Aliens, die uns helfen oder nur nach Hause telefonieren wollen, auf der anderen die bösen Aliens, die uns erobern wollen –, sind menschliche Wunschbilder und Albträume.

STANDARD: Eine optimistische Sichtweise wäre, dass Aliens bei ihrer Ankunft schon wissen, wie die Menschheit tickt, und ein Interesse an Verständigung haben.

Schetsche: Meine Spekulation ist: Wenn sie so fortgeschritten sind, dass sie unsere Kommunikate durch Fernbeobachtung verstehen, werden sie wahrscheinlich nicht kommen. Dann schicken sie kein Raumschiff los, sondern denken: Das ist ja eine komplett verrückte Zivilisation, die gerade dabei ist, den Planeten zu zerstören. Dann werden sie als friedliche Zivilisation gar keinen Kontakt suchen.

STANDARD: Wie können wir uns dennoch besser vorbereiten auf ein Kontaktszenario?

Schetsche: Wir gehen davon aus, dass am wahrscheinlichsten ein Artefaktfund ist, also dass wir irgendwo im Sonnensystem Hinterlassenschaften einer fremden Zivilisation finden. Es gibt dafür allerdings keinerlei internationale Regelungen, wem so ein Objekt gehören würde und was damit geschehen soll. Es würde eine Art Goldrausch losgehen, wer die Teile bergen kann, es könnte zu Konflikten zwischen Staaten und Konzernen kommen – insbesondere wenn die Artefakte neue Technologien enthalten. Deswegen denken wir, dass es einen international verbindlichen Vertrag braucht, der von den Vereinten Nationen ausgearbeitet werden könnte. Es wäre natürlich auch erstrebenswert, genau festzulegen, wer bei einem Begegnungsszenario für die Menschheit spricht. Ich fürchte aber, dass in so einem Fall jede Nation versuchen wird, für sich zu handeln – Vertrag hin oder her. (Karin Krichmayr, 20.2.2021)