Was tun im Fall von Sauerstoffknappheit bei Mars-Kolonien? Ein kontroverser Vorschlag lautet: Ärmere Menschen müssen dann weniger atmen.

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Für die meisten von uns ist eine Reise zu Mond oder Mars ein unrealistisches Unterfangen. Aber die vielen Male, die der Unternehmer Elon Musk seine Visionen der Kolonisierung anderer Planeten in den vergangenen Jahren geteilt hat, geben etliche Denkimpulse: Wie kann man sich Leben und Zusammenleben außerhalb der Erde vorstellen? Welche Regeln müsste es dafür geben?

Die aktuelle Gesetzeslage ist dürftig: Sie stützt sich in erster Linie auf den Weltraumvertrag von 1967, der nur eine friedliche Nutzung erlaubt und die nationale Aneignung von Himmelskörpern verbieten soll. Allerdings werden Weltraumtechnologien wie Satelliten bereits zu militärischen Zwecken genutzt.

Und private Firmen wie Space X oder Blue Origin wollen sich so viele Freiheiten wie irgend möglich sichern – sie haben teils sogar per Klausel in ihren AGBs angegeben, dass sie internationales Recht auf dem Mars nicht anerkennen wollen.

"Der Weltraum ist eine Sphäre, die verstärkt zeigt, welche gewaltsamen Tendenzen das Rechtssystem hat", sagt Daniela Gandorfer.
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"Zu beobachten sind vermehrt Versuche, das Weltraumrecht zu beugen und zu unterminieren", sagt die Rechts-, Kultur- und Sozialwissenschafterin Daniela Gandorfer, die sich in ihrer Dissertation an der Universität Princeton mit dem Thema auseinandersetzte. "Das Weltraumrecht hat private Unternehmen nicht explizit mitbedacht, daher gibt es in den USA viele Rechtskontroversen, ob das Aneignungsverbot auch für sie gilt. Es ist unumstritten, dass wir eine Überarbeitung des Weltraumrechts brauchen."

Wo beginnt der Weltraum?

Zur Entwicklung einer internationalen Rechtsgrundlage will beispielsweise die Den-Haag-Arbeitsgruppe beitragen, die mehrere Organisationen zusammenführt und die Industrie miteinbeziehen soll. "Für meine Forschung stellt sich die Frage, welche Interessen dabei verfolgt werden", sagt die 32-jährige Österreicherin. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den rechtlichen Engpässen und Diskussionen, die sich im und um den Weltraum abspielen, und damit, was diese über unser Rechtsdenken aussagen.

Das fängt schon damit an, dass bislang unklar ist, wo der Weltraum überhaupt beginnt. Es gibt zwar verschiedene Definitionsversuche, etwa anhand von physikalischen Kräften, die auf einen Körper in unterschiedlichen Höhen einwirken. Rechtlich ist das aber nicht eindeutig festgelegt.

"Dabei ist diese Grenze wichtig, weil sie zwei Rechtsordnungen trennt – den staatlichen Luftraum und den Weltraum, der hoheitsfrei ist und international betrachtet werden muss", sagt Gandorfer, die aktuell an der University of California in Santa Cruz forscht und dabei eng mit einer Quantenphysikerin und einer Rechtsphilosophin zusammenarbeitet. Bei solchen Überlegungen spielen physikalische Regeln und Materie eine Rolle, werden jedoch in abstrakten Rechtssystemen kaum bedacht.

Kein Recht auf Atmung

Ein Beispiel zeigt deutlich, was für uns selbstverständlich scheint und daher nicht rechtlich geregelt wird: Gesetze auf der Erde nehmen an, dass Sauerstoff zum Atmen vorhanden ist. Daher gibt es kein verankertes "Recht auf Atmung". Im Weltraum sieht das anders aus – aber eigentlich nicht nur dort. "Es stellt sich ganz aktuell auch die Frage, was Atmen im Kontext einer Pandemie bedeutet, wie beim Verweigern des Maskentragens zum Schutz vor Covid-19", sagt Gandorfer.

Weitere Parallelen ließen sich zum Slogan "I can’t breathe" der Black-Lives-Matter-Bewegung ziehen. Außerdem spielt etwa Luftverschmutzung eine große Rolle: "Es gibt Bemühungen um ein Menschenrecht auf saubere Luft. Das ist ein wichtiges Thema – doch ein Recht auf Atmung kann eigentlich nicht universal gedacht werden, weil die Lage nicht überall gleich ist und man dadurch viele Ungerechtigkeiten nicht berücksichtigen würde", sagt Gandorfer. "Das zeigt die Limits unseres Rechtsdenkens auf."

Gefahren werden dort deutlich, wo wir bisherige problematische Merkmale unserer Rechtssysteme auf den Weltraum übertragen wollen. Um das zu zeigen, analysierte die Forscherin, wie sich die akademische Weltraumliteratur Recht im All und auf fremden Planeten vorstellt.

Viele Überlegungen aus ganz unterschiedlichen Disziplinen klingen, als hätte man sie aus einem dystopischen Science-Fiction-Roman kopiert: Da ist etwa die Rede von Strafkolonien auf dem Mars, in denen "kriminelle Elemente der Gesellschaft" für den Aufbau einer Siedlung benutzt werden. Andere Autorinnen und Autoren schlagen im Fall einer Sauerstoffknappheit vor, dass Menschen, die es sich nicht leisten können, weniger atmen – eine Sauerstoffdiät also.

Juristisches Umdenken

"Hier zeigt sich die bewusste und unbewusste Stärkung von kolonialen, gewaltsamen Tendenzen, die auch leider zur Wurzel des Völkerrechts gehören", sagt Gandorfer. Hinzu kommt der zweifelhafte Fokus auf Profit. Vergleichen lassen sich derartige Überlegungen für andere Planeten aber zum Beispiel ganz irdisch mit der Bekämpfung von Waldbränden in Kalifornien: An den gefährlichsten Stellen löschen Gefängnisinsassen für einen Dollar pro Stunde Feuer.

"Immer mehr Forschende argumentieren, dass eine solche Behandlung von Strafgefangenen rechtlich wie Sklavenarbeit betrachtet werden sollte", sagt Gandorfer. Ausführlicher lassen sich ihre Fallstudien im Buch "Matterphorics: On the Laws of Theory" nachlesen, das demnächst erscheint.

"Der Weltraum ist eine Sphäre, die verstärkt zeigt, welche gewaltsamen Tendenzen das Rechtssystem hat, das wir uns oft als universal und gerecht vorstellen", sagt die Wissenschafterin. Sie plädiert für ein neues Verständnis von Recht, das weniger allgemein und abstrakt ist, sondern enger mit der Welt und ihren Prozessen verknüpft.

Um in diese Richtung weiterzudenken, hat sie mit Kolleginnen die Forschungsagentur "Logische Phantasie Lab" gegründet. Diese ist unter anderem Teil des Ethikinstituts der Northeastern University in Boston, Massachusetts, und soll Projekte unterschiedlicher Disziplinen fördern, die sich mit Formen sozialer Ungerechtigkeiten befassen. (Julia Sica, 25.2.2021)