"Ohne Satelliten würde unser Leben ganz anders aussehen", sagt Josef Aschbacher.

Foto: AFP/Alex Halada

Das Erdbeobachtungsprogramm der Esa leistet wichtige Beiträge zur Klimaforschung. Im Bild: das Ganges-Delta.

Foto: Esa

Anfang März wird der gebürtige Tiroler Josef Aschbacher als Generaldirektor an die Spitze der Europäischen Weltraumorganisation (Esa) treten. Ins Zentrum seiner Agenda will der Geophysiker den Nutzen der Raumfahrt für die Gesellschaft rücken. Gerade in Zeiten der Pandemie und der Klimakrise brauche es Aktivitäten im Weltraum dringender denn je – sei es als Datengrundlage für den Klimaschutz oder als Quelle der Inspiration, um nach der Covid-Krise wieder durchzustarten.

STANDARD: Raumfahrt ist nicht billig. Angesichts der großen Probleme, die es auf unserem Planeten gibt, könnte man die Frage stellen, ob wir dieses Geld nicht dringender für die Bewältigung der Probleme auf der Erde benötigen. Was entgegen Sie?

Aschbacher: Dazu gibt es sehr viel zu sagen, aber ich würde gern eine Frage an die Leserinnen und Leser stellen: Was glauben Sie, wie viel Geld wird für den Weltraum in Europa pro Kopf pro Jahr ausgegeben?

STANDARD: Wahrscheinlich ist es weniger, als man vermuten würde.

Aschbacher: Es sind zwölf Euro pro Kopf pro Jahr. Was ich damit sagen will: Natürlich, alles kostet Geld. Allerdings, wenn man das in Relation setzt, sind die Ausgaben für den Weltraum in Europa relativ gering. Zwölf Euro – das ist ein Kinobesuch oder ein Kaffee mit einem Kipferl. Europa gibt nur ein Sechstel dessen für Raumfahrt aus, was die USA oder China ausgeben. Wenn ich in zwei Wochen meinen Job als Generaldirektor der Esa antrete, werde ich eine Diskussion anstoßen, auch mit Politikern, über die Ambition Europas im Weltraum: Wo will Europa stehen im Vergleich zu anderen? Was bedeutet der Weltraum für die Politik und für die Gesellschaft?

STANDARD: Soll am Ende des Diskussionsprozesses auch mehr Geld für die Esa herauskommen?

Aschbacher: Es ist mir vollkommen klar, dass wir derzeit mitten in einer Pandemie stecken, wo die Leute um ihre Gesundheit und Jobs besorgt sind. Ich will daher meine Agenda 2025 so ausrichten, dass der Weltraum wirklich für die Leute da ist. Ich will, dass die Esa Teil des frischen Starts nach der Pandemie ist und wir aus dem Weltraum neuen Schwung holen, um die Wirtschaft und die Gesellschaft zu motivieren und zu inspirieren. Ich glaube, die Gesellschaft will wieder neuen Mut fassen und neue Ideen bekommen, und sich auch wieder auf ambitioniertere Projekte einlassen. Der Weltraum ist perfekt prädestiniert, um hier einen Beitrag zu leisten.

STANDARD: In welchen Bereichen hat die Raumfahrt heute unmittelbaren Einfluss auf unser Leben?

Aschbacher: Die Raumfahrt umfasst viele Bereiche, die für die Gesellschaft essenziell sind. Das fängt an bei der Meteorologie und der Wettervorhersage. Die numerischen Wettervorhersagezentren wie das Europäische Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersage in Reading, UK, oder die Zentralanstalt für Meteorologie (eine Forschungseinrichtung des österreichischen Wissenschaftsministeriums, Anm.) beziehen 80 Prozent ihrer Daten von Satelliten, um die tägliche Wettervorhersage zu machen. Auch in der Landwirtschaft, der Forstwirtschaft, im Tourismus sowie Umwelt- und Katastrophenschutz finden Satellitendaten täglich Eingang. Wir könnten keine Liveübertragungen aus Amerika sehen, wenn es keine Telekommunikationssatelliten gebe. Das Gleiche gilt für Navigation. Kurz gesagt: Ohne Satelliten würde unser Leben ganz anders aussehen.

STANDARD: Die Raumfahrt ist auch ein starker Wirtschaftsfaktor. Wie viel bringt sie uns konkret?

Aschbacher: Es gibt eine Studie, die unabhängige Beratungsunternehmen durchgeführt haben. Sie kam zu dem Ergebnis, wenn man zum Beispiel einen Euro in das Copernicus-Weltraumprogramm investiert, ist der gesellschaftliche Nutzen rund zehn Euro.

STANDARD: Wie funktioniert das?

Aschbacher: Zum einen wird das Geld in Europa ausgegeben und die Industrie damit gefördert. Die Industrie macht nicht nur das, was wir mit dem Euro finanzieren, sondern entwickelt weitere Möglichkeiten – zum Beispiel Dienstleistungen. Wenn mit Copernicus-Erdbeobachtungsdaten landwirtschaftliche Produktionsinformationen abgeleitet werden, gibt es dafür jede Menge Dienstleistungen, die sich vervielfältigen und neue Dienste anbieten. Deswegen ist dieser Euro, investiert in einen Satelliten, ein Euro, der sehr viele andere Euro erzeugen kann. Die Investmentbank Morgan Stanley hat kürzlich die gesamte Weltraumwirtschaft abgeschätzt und ist auf 300 Milliarden US-Dollar (rund 250 Milliarden Euro, Anm.) gekommen. Es wird erwartet, dass sich das bis 2040 auf eine Billion Dollar (825 Milliarden Euro) vervielfältigt. Die Weltraumwirtschaft ist ein sehr schnell wachsender Sektor mit sehr vielen kommerziellen Möglichkeiten.

STANDARD: Welche weiteren Beiträge kann die Raumfahrt leisten?

Aschbacher: Es gibt sehr viele Faktoren, durch die die Raumfahrt die Gesellschaft positiv beeinflussen kann, allen voran der Umgang mit dem Klimawandel. Die Erdbeobachtung durch Satelliten liefert Klimadaten, die man sonst nicht bekommt: zum Anstieg des Meeresspiegels, zur Eisbedeckung der Arktis und Antarktis. Auch die Veränderungen über die Zeit werden von Satelliten global gemessen. Das ist enorm wichtig, nicht nur um zu wissen, was passiert, sondern auch für Vorhersagen. Weiters fließen Satellitendaten in Sicherheitssysteme ein – in den Katastrophenschutz, den Grenzschutz und humanitäre Hilfe. Ein anderer Aspekt, der mir besonders wichtig ist, ist die Inspiration.

STANDARD: Was finden Sie an der Raumfahrt besonders inspirierend?

Aschbacher: Ich nehme hier das Beispiel Astronauten und wissenschaftliche Missionen: Wenn man andere Kometen oder Planeten erkundet – das ist einfach faszinierend. Diese Faszination erzeugt auch positive Energie, ein Gefühl des Zusammenhalts, der Überzeugung, etwas schaffen zu können, das in viele Bereiche hineinwirken kann. Gerade nach der Pandemie, wenn die Leute aus der Frustration herauskommen wollen, ist der Weltraum ein perfektes Mittel, um neuen Schwung zu holen.

STANDARD: Sie selbst haben sich einst für die Mission Austromir als Astronaut beworben. Geflogen ist dann Franz Viehböck, der bisher einzige Österreicher im All. Wann ist mit einer heimischen Astronautin zu rechnen?

Aschbacher: Das kann bald möglich werden. Die Esa startet heuer zum ersten Mal seit elf Jahren wieder einen Call for Astronauts, um neue Astronauten zu finden. Ob eine Österreicherin oder ein Österreicher dabei sein wird, hängt ganz vom Auswahlverfahren ab. Wir sind sehr interessiert, eine gute Gender-Balance zu erreichen, und unterstützen besonders Bewerbungen von Frauen. Wir werden außerdem zum ersten Mal das Konzept Paraastronauten verfolgen, um Personen, die geistig höchst aktiv und fit sind, aber eine körperliche Challenge haben, als Astronauten einzusetzen. Wir wollen, dass der Weltraum und die Astronautik alle Menschen inkludieren, nicht nur einen kleinen erlesenen Kreis von Kampfpiloten.

STANDARD:Welche Chancen bieten technische Entwicklungen wie künstliche Intelligenz (KI) und Machine-Learning für die Zukunft der Raumfahrt?

Aschbacher: Das ist ein Bereich, der sich enorm schnell entwickelt – in erster Linie leider außerhalb Europas. Ich habe vor zwei Jahren einen Wettbewerb gestartet, wo zum ersten Mal ein KI-Chip auf einem Kleinsatelliten installiert wurde. Der Satellit Phi-Sat-1 ist mittlerweile gestartet und hat erstaunliche erste Ergebnisse geliefert. Der KI-Chip kann am Boden programmiert werden, um im Weltraum automatisch Dinge zu erkennen und dort zu rechnen und nur die abgeleitete Information zurück an die Erde zu schicken. Phi-Sat-1 haben wir so programmiert, dass er bewölkte Gebiete von wolkenlosen unterscheiden kann. Wir können die Datenmenge damit unmittelbar auf die Hälfte reduzieren. Das war so erfolgreich, dass wir diese Technologie auf großen Satelliten installieren wollen.

STANDARD: Welche Möglichkeiten bieten Quantencomputer?

Aschbacher: Im vergangenen Jahr haben wir eine Initiative gestartet, um Quantencomputing für die Erdbeobachtungsdaten zu verwenden. Wir produzieren hier täglich riesige Datenmengen. Mit KI und Quantencomputing könnten wir die Prozesse um einiges vereinfachen.

STANDARD: Im Bereich Quantenkommunikation hat China mit dem Satelliten Micius eine Vorreiterrolle eingenommen – wie sollte sich die Esa in diesem Feld positionieren?

Aschbacher: Das ist eine sehr spannende Technologie! Es tut mir wirklich leid, dass auch österreichische Technologie in diesem Bereich so stark in China eingesetzt wird. Wenn ich in zwei Wochen in meinem neuen Job als Generaldirektor einsteige, will ich auch das Thema Quantentechnologie vorantreiben und die Esa dabei stärker engagieren, um dazu in Europa eine starke Position aufzubauen.

STANDARD: Wenn alles gutgeht, landet die Nasa am Donnerstag zum zehnten Mal auf dem Mars. Die Esa ist bisher am Roten Planeten gescheitert. Welche Rolle spielen Risiko und die Bereitschaft, auch einmal zu scheitern, in der Raumfahrt?

Aschbacher: Das ist eine ganz wichtige Frage. Gerade im Weltraum bewegen wir uns ständig an der Grenze des Machbaren. Das ist der Punkt, wo auch Fehlschläge passieren und passieren müssen. Man darf das nicht immer negativ sehen. Denn wenn man keine Fehlschläge hat – so traurig sie auch immer sind –, kann man keine Schritte nach vorn machen. Ich nenne da gern das Beispiel Space X: Die erste Landung einer wiederverwendbaren Rakete ist missglückt. Was hat Elon Musk gesagt? Nicht: "Um Gottes willen, was für ein Schaden!" Sondern: "Okay, schlechte Landung, viel gelernt, auf und weiter geht’s." Dieser Spirit ist in Amerika stärker ausgeprägt als in Europa.

STANDARD: Wird die Esa unter Ihrer Führung riskanter agieren?

Aschbacher: Man muss immer unterscheiden: Wo kann man Risiko nehmen und wo kann man es weniger akzeptieren. Bei kleinen, billigen Satelliten kann man ganz neue Technologien verwenden und ins All schicken. Und wenn es nicht funktioniert, dann hat es halt nicht funktioniert, aber man hat sicherlich viel dabei gelernt. Dieses Bewusstsein, das gerade im Silicon Valley stark ausgeprägt ist – "Fail fast, fast forward" –, will ich auch in Europa stärker im Weltraum einbringen. Ich habe das schon in der Erdbeobachtung verstärkt und werde das Esa-weit propagieren, dass man in gewissen Bereichen unter bestimmten Voraussetzungen risikobereiter ist. Nur so kann man wirklich Fortschritte machen. (David Rennert, Tanja Traxler, 17.2.2021)