Das Schweizer Team im Feiermarathon. Michelle Gisin (links oben) und Loic Meillard (rechts oben) holten mit jeweils Bronze in der Kombination die Medaillen sechs und sieben für Swiss-Ski. Mittlerweile sind es acht.

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Cortina d'Ampezzo – "Bei uns läuft das ganze System recht rund", sagt Urs Lehmann. Der Präsident von Swiss-Ski hat keinen Grund zur Sorge. Die eidgenössischen Rennläufer liefern sowohl im Weltcup (elf Siege) als auch bei dieser Ski-WM, dass es nur so klimpert. Zweimal Gold, einmal Silber, fünfmal Bronze lautet die bisherige Ausbeute. Damit liegen sie im Medaillenspiegel hinter Österreich (vier Goldene) auf Platz zwei. "Es könnte schlimmer sein", sagt Lehmann.

Dabei gab es für die Schweizer auch weniger erfreuliche Zeiten. Etwa 2012/2013, als Lara Gut-Behrami für den einzigen Saisonsieg sorgte. "Wir hatten damals die famose Skikrise. Das hat uns erlaubt, dass wir wirklich die Strukturen von Grund auf überarbeiten und auch gewisse Themen angehen konnten, die bis dahin ‚untouchable‘ waren", sagt der promovierte Betriebswirt, der seit 2008 die Geschicke des Schweizer Verbands lenkt.

Gut gepflastert

Man habe damals "die Steine für den Weg richtig gelegt". Heutzutage verfügt man über eine ausgewogene Mischung, hat in allen Disziplinen potenzielle Siegläufer am Start. "Wir haben bei den Herren die Arrivierten wie Beat Feuz, er liefert und liefert. Dann haben wir die Jungen wie Marco Odermatt oder auch Loic Meillard", sagt Lehmann (51). Sie habe man kontinuierlich aufbauen können, wie auch die Slalomtruppe um Ramon Zenhäusern und Daniel Yule. "Der Entscheid ist 2011 gefallen, das muss man sich vorstellen. Und seit zwei, drei Jahren sind sie nun wirklich top."

Auch bei den Frauen habe man rund um Wendy Holdener und Michelle Gisin "ein Team hochgefahren". Nicht zu vergessen Super-G-Seriensiegerin Lara Gut-Behrami, die nach Verletzung wieder zu alter Stärke fand. "Unsere Trainer haben es auf allen Ebenen geschafft, das Beste herauszuholen. Und das alles zusammen ergibt dann wirklich zwei, drei Dimensionen. Ich glaube, dass die Resultate im Moment dem Ansinnen der Strategie und unserem Vorgehen recht geben."

Lehmann glaubt, dass es auch in Österreich nicht anders sei. "Ihr seid auch ungemein stark, wenn ihr mal in einem Tief seid, dann muss man nicht Angst haben. Es geht schnell, dass ihr wieder im Hoch seid. Ich glaube, dass in unseren Ländern auch die Verankerung in den Regionen, in den Skiklubs, im Volk wichtig ist." Das sei sowohl in Österreich als auch der Schweiz ein wichtiger Eckpfeiler für den Erfolg.

Urs Lehmann ist darauf bedacht, dass sich kein Rädchen verklemmt.
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Ein entscheidender Faktor des Erfolgs ist laut dem Abfahrtsweltmeister von 1993 in Morioka-Shizukuishi – der damals die einzige Medaille für die Schweiz holte, aber nie ein Weltcuprennen gewinnen konnte –, dass auch Leute aus der zweiten Garde plötzlich mitfahren, auch wenn man über Jahre das Gefühl hatte, dass sie den Sprung nicht schaffen würden. Man habe ihnen länger als früher eine Chance und Zeit gegeben.

So etwa dem Weltmeister 2017 in der Kombination, Luca Aerni, der Probleme mit dem Material hatte. "Wir haben immer an ihn geglaubt, weil er einen schnellen Schwung hat." Die Dichte an Spitzenathleten ist beeindruckend. "Wenn einer nicht funktioniert, kommt der Nächste", sagt Lehmann. "Ich sage immer, lieber einen zu lange halten als zehn zu kurz. Das zahlt sich im Moment aus."

Finanziell kann die Schweiz aus dem Vollen schöpfen. In Cortina ist man mit einer Delegation von 80 Leuten vertreten. Im Skiservice-Bereich setzt man auf Eins-zu-eins-Betreuung. "Wir haben massiv investiert, individuell gearbeitet und doch auch in Gruppen." Man habe nicht auf Insellösungen vertraut, sondern auf klein, aber fein gesetzt. "Und das zahlt sich aus."

In seinem "eigenen Tun und Wirken" kann sich Lehmann als Boss von Swiss-Ski "auf die Gestaltung der Zukunft fokussieren, ich muss nicht nach hinten absichern". Das ergebe ein ganz anderes Selbstverständnis. "Die Leute sind selbstbewusst, wissen, was sie können, wissen auch, wo wir noch blinde Flecken haben. Dieses Selbstverständnis ist auch ein Teil der Stärke."

Gut versorgt

Das Gesamtbudget von Swiss-Ski betrug 2008 26 Millionen Franken, mittlerweile ist man bei 60 Millionen (rund 55,5 Millionen Euro) angelangt. "Und es wurden Weichen gestellt, dass wir in Kürze bei 70 Millionen sind. Unsere Philosophie ist, dass jeder Franken in den Sport muss. Und das zahlt sich aus."

Unter Lehmann läuft der Laden, er kann sich als CEO eines Unternehmens zur Herstellung von homöopathischen Arzneimitteln auch anderen Arbeitsbereichen widmen. Er ist sporadisch als Co-Kommentator bei Eurosport engagiert und ist auch an der Nachfolge des nach 23 Jahren abtretenden Gian Franco Kasper als Fis-Präsident interessiert. Die Bewerbung wurde 2020 eingereicht. Große Konkurrenz droht ihm aber von Schwedens Multimillionär Johan Eliasch, CEO der Skifirma Head.

Das Nachwuchskonzept hat man bereits vor 13 Jahren "völlig über den Haufen geworfen und eine sogenannte Nachwuchspyramide entwickelt. Die Leute, die jetzt oben sind, sind aus diesem Nachwuchskonzept herausgekommen." Dem nicht genug: In den letzten zwölf Monaten habe man bereits wieder ein neues, "bahnbrechendes Nachwuchskonzept" erarbeitet. Die Früchte seien aber erst "in gefühlten acht bis zehn Jahren" zu ernten.

Gut geschmiert

Freilich weiß man auch in der Schweiz, dass die besten Trainer im Nachwuchs einzusetzen sind. "Wir nehmen immer wieder Leute, die lange an der Spitze waren, runter", sagt Lehmann. So habe etwa Wendy Holdeners langjähriger Coach Werner Zurbuchen vor der Saison die C-Mannschaft übernommen. "Und Franz Heinzer, Abfahrtsweltmeister 1991 in Saalbach, macht bei uns seit Jahren einen sensationellen Job im Speedaufbau bei den Herren. Am Schluss zählt jedes Rädchen, das stimmen muss. Wenn nur eines sich verklemmt, kann das gesamte System zum Hängen kommen." (Thomas Hirner aus Cortina d’Ampezzo, 16.2.2021)