Ein intensives Leben zwischen Tradition und Moderne: der Komponist Friedrich Cerha.

Foto: Heribert Corn

Es ließe sich behaupten, Musik würde aus der Stille heraus entstehen. Stille muss allerdings bei schöpferischen Menschen als jene äußere Prämisse betrachtet werden, die nur das innere Toben der Klänge schützt, das sich im komponierenden Kopf obsessiv, also ohne Unterlass abspielt.

Besonders auch Traumphasen, so Friedrich Cerha einmal, können von langsam sich formender Musik bedrängt werden. Infolgedessen wären jene von morgendlicher Stille umrahmten Momente zwischen Schlaf und Wachsein wichtig, um kompositorische Probleme zu klären. Womöglich auch stilistische: Cerha, 1926 in Wien geboren, erprobte zunächst Bereiche der neoklassizistischen Tradition und vertiefte sich nachhaltig auch in die Zweite Wiener Schule, die das Trio Schönberg, Berg und Webern definierte. Er hatte an der Musikhochschule Komposition bei Alfred Uhl und Violine bei Váša Příhoda studiert. Kontakte pflog er aber auch zur Avantgarde des Art Club; und natürlich gab es die Auseinandersetzung mit der nach dem Krieg dominanten seriellen Schule.

Zweimal desertiert

Aus dem riesigen Gesamtwerk ragen vor allem Spiegel I–VII hervor, die als Pionierwerk der Klangflächenkomposition gelten müssen. Essenziell natürlich Cerhas Opern: Baal, Der Rattenfänger, der wunderbar poetisch-elegische Riese vom Steinfeld oder das heitere Spätwerk Onkel Präsident. Immer wieder thematisiert Cerha in seinem Musiktheater das Individuum, welches im Spannungsverhältnis zu einer brutal ausgrenzenden Gesellschaft steht. Dies wird auch mit Cerhas Biografie in Zusammenhang zu stellen sein: Cerha musste in die Hitlerjugend und erlebte als 17-Jähriger (subtil Widerstand leistend) den Krieg. Er desertierte zweimal und landete schließlich in den Tiroler Bergen, wo er sich in einer Schutzhütte dem Krieg entzog. Das Kriegstrauma wie auch das Rettende der Natur lassen sich aus den Spiegeln heraushören, die auch Cerhas Willen zur musikalischen Zeitgenossenschaft dokumentieren.

Die Verbundenheit zur klassischen Moderne wie auch zum Neuen drückt sich zudem in der Vollendung von Bergs Lulu aus wie auch in der Gründung des Ensembles "die reihe", das neue Werke in Wien präsentierte. Das bis vor wenigen Jahren aktive Ensemble war der erfolgreiche Versuch, die konservative Ödnis der Donaustadt aufzulösen.

Aufregend skandalöse Versuche

In den 1960ern konnte dieser Versuch aufregend skandalös wirken: Als Cerhas Kollege und Ensemblemitbegründer Kurt Schwertsik etwa John Cages Klavierkonzert dirigierte, kam es im Saal zu Ausbrüchen akustischen Protestes, dessen Verursacher von Freunden der Moderne durchaus etwas unsanft aus dem Saal entfernt wurden. Die Musikkritik schrieb hernach von Zuständen, die angeblich ausschließlich mit der Straßenbahnlinie 47 zu erreichen gewesen wären – es war jene Linie, die einst nach Steinhof führte.

Wäre das Konzertleben nicht gegenwärtig im Tiefschlaf, beim Festkonzert zu Friedrich Cerhas 95. Geburtstag hätte man am Mittwoch im Musikverein wohl auch an diese Zeiten erinnert (das Konzert wurde auf 21. Juni verlegt). Am 22. März wird im Radiokulturhaus hingegen zu Ehren Cerhas konzertiert.

Zwar sind die Interessierten womöglich nur per Livestream dabei. Immerhin erklingen aber gleich drei Cerha-Uraufführungen. (Ljubiša Tošić, 17.2.2021)