Wien – "Willi" wäre in der Causa Bierwirt gegen Maurer vor dem Saal 203 des Wiener Straflandesgerichts am Mittwoch um Punkt 10 Uhr jedenfalls bereitgestanden – und so sieht er aus: unauffällig, ungefähr Mitte fünfzig, korpulent, aber nicht zwider, wie man in Österreich gern sagt. Ob er die obszönen Privatnachrichten an die Grüne Sigrid Maurer Ende Mai 2018 abgesetzt habe? "Nein", sagt er kurz und bündig zum STANDARD. Nachsatz: "Ich hab' gar kein Facebook." Schon vor der Verhandlung bildet sich ein Knäuel aus Fotografen und Journalisten um den Mann. Doch seine Aussagen werden wenige Minuten später nicht mehr relevant sein.

Waren vom plötzlichen Freispruch völlig überrascht: Maurer und ihre Anwältin Windhager – der Bierwirt selbst blieb am Mittwoch dem Straflandesgericht fern.
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Denn kurz nach 10 Uhr steht im gut gefüllten Saal fest: Der Bierwirt, Maurers Privatankläger, erscheint heute nicht. Stattdessen lässt er sich durch seinen neuen Rechtsbeistand Gregor Klammer vertreten, nachdem Adrian Hollaender als dessen Rechtsanwalt einen Abgang gemacht und seine Profession überhaupt an den Nagel gehängt hat.

Klammer überreicht ein Schriftstück an Richter Hartwig Handsur, der das Schreiben kurz überfliegt und dann festhält, dass es "beim Richter bleibt". Großes Rätselraten bei allen Kiebitzen. "Das war eine Zurückziehung!", klärt Klammer, gerade erst von der Rechtsanwaltskammer Wien dem Bierhändler zugewiesen, den Saal lautstark auf. "Sie haben recht!", bestätigt der Richter nach neuerlicher Lektüre. "Ich habe das beim ersten Mal Lesen nicht wahrgenommen."

Kurzer Schock nach Knalleffekt

Der Knalleffekt muss erst sickern. Beim Richter, bei der Angeklagten Maurer, bei ihrer Anwältin Maria Windhager, die sich als Erste aufrappelt und die Verlesung des Schriftstücks beantragt. Das ist für die Entscheidung "nicht relevant", weist Handsur ihr Begehren ab. Nun steht fest: Nach fast zweieinhalb Jahren Anklage wegen übler Nachrede gegen Maurer – die Grüne hatte nach Erhalt äußerst vulgärer Botschaften von dem Geschäftsaccount des Bierwirts seine Identität über die Netzwerke preisgegeben – lässt der Bierhändler diese fallen.

Der Richter schließt die Verhandlung mit einem Freispruch für Maurer. Der junge Anwalt des Bierwirts meldet prompt Rechtsmittel gegen den expliziten Freispruch an, doch nicht nur der Richter, auch Windhager weist darauf hin, dass das gemäß Paragraf 259 Absatz 2 der Strafprozessordnung alles seine Rechtmäßigkeit hat.

In einem Schlussstatement, das ihr der Richter gewährt, hält Windhager fest, dass sie es enttäuschend finde, dass der Fall in einer Zurückziehung endet – weil damit nicht erwogen werden könne, wer denn sonst (außer dem Bierwirt, Anm.) die Nachrichten von einst abgesetzt habe. Bekanntlich bestreitet der Lokalbetreiber bis heute, die Nachrichten gesendet zu haben, Gäste in seinem Lokal hätten Zugang zu seinem PC gehabt. Im September hatte er plötzlich ein Geständnis von einem "Willi" in der Stromstraße vorgelegt, der die Nachrichten verfasst haben will.

Willis einsamer Auftritt

Nach zehn Minuten leert sich der Saal schlagartig, doch dort hat der geladene "Willi" doch noch seinen kleinen Auftritt. Ob er eine Entschuldigung für den Arbeitgeber brauche, fragt ihn der Richter, "Willi" nimmt kurz Platz.

Draußen stellt sich die grüne Klubchefin Maurer, die sich nun schon sichtlich gefangen hat, der Presse – "froh und erleichtert", wie sie sagt, dass es endlich vorbei ist. "Schade" sei nur, dass es kein begründetes Urteil gebe. Bei ihrem Verfahren habe es sich um einen "Präzedenzfall" gehandelt, der eine öffentliche Debatte über "Hass im Netz" angestoßen sowie Verbesserungen für Betroffene gebracht habe. Seit heuer können Opfer eine Unterlassung solcher Botschaften rasch und problemlos bei den Bezirksgerichten beantragen.

Der Vertreter des Bierlokalbetreibers begründet den Rückzieher seines Mandanten damit, dass ein Gerichtssaal nicht der richtige Ort für eine "politische Entscheidung" sei – "die Überlegung war, dass auf so eine Frage von einem Richter keine Antwort zu erwarten ist". Klammer selbst macht aus seinem "Gefühl" kein Hehl, dass der Bierwirt diesen Prozess nicht gewinnen könne, obwohl er recht habe. Maurer sei "politisch und wirtschaftlich stärker aufgestellt".

Das neue, mittlerweile dritte Urteil in der Causa war vorerst nicht rechtskräftig. Der Anwalt des Bierwirts hat die Berufung angemeldet und wollte mit seinem Mandanten beraten, ob er sie noch "ausführen wird". Am Mittwochnachmittag erklärte Klammer dem STANDARD: Seine Partei werde davon absehen – also sei eine Berufung vom Tisch. Mit dem rechtskräftigen Freispruch muss der Ankläger die Kosten des äußerst langwierigen Verfahrens tragen. (Nina Weißensteiner, 17.2.2021)